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Deutsch-chinesischer Gipfel Hauptsache, das Geschäft blüht

Große Harmonie zwischen Angela Merkel und Wen Jiabao: Gast und Gastgeberin freuen sich über den Abschluss von Verträgen und künftige lukrative Geschäfte. Da stören außenpolitische Differenzen ebenso wenig wie die rituelle Mahnung der Deutschen an Peking in Menschenrechtsfragen.

Berlin - Eigentlich ist alles rund gelaufen. Die Kanzlerin hat zu Ehren ihres Gastes ein Abendessen am Wannsee gegeben, am Dienstagmorgen haben Wirtschaftsminister Philipp Rösler, Angela Merkel und Premier Wen Jiabao vor dem Wirtschaftsforum im Hotel Maritim geredet, anschließend kommt es zur gemeinsamen Kabinettssitzung im Kanzleramt.

Die historische Premiere, die ersten deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen, scheint schon Routine.

Doch dann gibt es eine kleine Panne. Ausgerechnet in jenem Augenblick versagt beim chinesischen Premier die Ohrmuschel, als Merkel auf der Pressekonferenz über den heikelsten Punkt des Treffens spricht. Es gebe in der Frage des Schutzes des geistigen Eigentums eindeutige Fortschritte, bei anderen Themen wie der Durchführung rechtsstaatlicher Verfahren habe man aber noch "weite Wegstrecken" vor sich. Da fummelt Wen Jiabao an seinem Gerät. "Ich will auch sagen", setzt die Kanzlerin fort, "dass wir erfreut zur Kenntnis genommen haben, die Freilassung von..."

Doch da fällt endgültig die Ohrmuschel des Gastes aus. Dem Ministerpräsidenten muss ein richtiger Kopfhörer gereicht werden, jetzt kann ihm nichts mehr entgehen. Merkel muss ihre Sätze zum Rechtsstaatsdialog unfreiwillig noch einmal wiederholen. So wirken sie erst recht. Ihr Gast verzieht keine Miene. Sie begrüßt die Freilassung des Künstlers Ai Weiwei und Hu Jia und anderer Inhaftierter, mahnt ein "transparentes Verfahren" an. Und sie erinnert an das, was sie am Abend zuvor, in der Villa Liebermann, ihrem Gast im bilateralen Gespräch mitgegeben hat: dass es gute Arbeitsbedingungen für deutsche Journalisten in seinem Land geben müsse, "um fair und umfassend berichten zu können".

Merkel hat öffentlich angesprochen, was sie ansprechen musste. Wen Jiabao ist an solche Mahnungen westlicher Regierungschefs mittlerweile gewöhnt. Er reagiert mit Sätzen, die seit jeher von der kommunistischen Führung zu hören sind, wenn es um Menschen- und Bürgerrechte geht. Beide Seiten sollten in ihren Beziehungen "eher nach Gemeinsamkeiten suchen als nach Unterschieden".

Wenige Demonstranten begleiten den Besuch

Vor dem Kanzleramt, mitten in der prallen Sonne, demonstrieren verschiedene Gruppen mit Plakaten und Transparenten gegen die Menschenrechts- und Tibet-Politik der chinesischen kommunistischen Führung. Sie wirken verloren, wie sie da so stehen. Peking hat es verstanden, den Protest in westlichen Städten, der sich nach der Festnahme Weiweis im April aufbaute, durch die Freilassungen des Künstlers und anderer Betroffener zu dämpfen. Auch auf seinen Reisestationen Budapest und London hielten sich die Demonstrationen in Grenzen.

Wie dort, so steht auch bei dem Treffen in Berlin die Wirtschaft im Mittelpunkt. China will sich weiter modernisieren, es braucht dafür auch deutsche Technik. Das Land will weg von der Herstellung billiger Produkte, es will mit technisch besseren Produkten künftig mehr im Export verdienen als mit Massenware. Vor der gemeinsamen Pressekonferenz im Kanzleramt werden eine Reihe von Verträgen abgeschlossen - 14 insgesamt, dazu gehören eine Vereinbarung über China als Partnerland der Hannover-Messe 2012, zur Erleichterung gegenseitiger Investitionen und die Errichtung eines deutschen Generalkonsulats in der chinesischen Metropole Shenyang. Beide Seiten vereinbarten zudem einen engeren Austausch in den Bereichen Justiz, Klimaschutz und erneuerbare Energien.

Verträge im Wert von 10,6 Milliarden Euro

Vier Verträge sind darunter, die zwischen deutschen Unternehmen und der chinesischen Seite geschlossen wurden, nach chinesischen Angaben im Wert von 10,6 Milliarden Euro:

  • China kauft beim europäische Flugzeugbauer Airbus 88 Flugzeuge vom Typ A320.
  • Volkswagen vereinbart mit seinem chinesischen Partner FAW den Bau einer neuen Fabrik in China.
  • Daimler und Siemens schließen Investitionsprojekte mit chinesischen Partnern ab.

Es gehe um ein "neues Kapitel" in der strategischen Partnerschaft, betont Merkel und wiederholt damit wortgleich Formulierungen der chinesischen Seite. Nicht immer waren die Beziehungen so gut: Vor vier Jahren hatte Merkel, zum Entsetzen auch der deutschen Wirtschaft, den Dalai Lama ins Kanzleramt eingeladen. Peking war verärgert über die Geste an den Exil-Tibeter, wirklich eingetrübt haben sich die Beziehungen nicht. Dazu sind beide Staaten zu sehr auf Kooperation angewiesen.

In Berlin geht es auch um die Lage des Euro. China hat rund 26 Prozent seiner Devisenreserven in Euro angelegt, es hat ein massives Eigeninteresse daran, dass die Währung stabil bleibt. "Wenn Europa Schwierigkeiten hat, strecken wir die helfende Hand aus", sagt Wen Jiabao. China werde, wenn nötig, Staatsanleihen von Euro-Staaten in angemessener Menge kaufen. Merkel sichert ihm zu, "dass wir uns um Solidarität und Solidität in der Euro-Zone kümmern".

Differenzen in der Außenpolitik

Bei so viel Gemeinsamkeiten in Wirtschaft und Währungspolitik stören außenpolitische Differenzen der Partner wenig. China und Deutschland hatten sich im Frühjahr zusammen mit Russland im Uno-Sicherheitsrat bei der Libyen-Resolution der Stimme enthalten. Doch aus dieser Abstimmung, die in Deutschland zum Teil heftig kritisiert wurde, erwachsen noch keine Gemeinsamkeiten. Während sich Wen für eine friedliche Lösung mit politischen Mitteln in Libyen ausspricht, unterstreicht Merkel die Legitimität des Militäreinsatzes, die Uno-Resolution 1973 sei mit Mehrheit im Sicherheitsrat beschlossen worden, nun seien alle Mitglieder aufgerufen, diese umzusetzen.

Und sie streicht heraus: Deutschland gehöre der Nato an, der EU, "diese Bindungen sind für uns von allergrößter Wichtigkeit". Auch in anderen Fragen gibt es Differenzen. China unterstützt den internationalen Strafbefehl gegen Libyens Herrscher Muammar al-Gaddafi nicht, und auch in der von Berlin mit initiierten Uno-Resolution gegen das Regime in Syrien gibt es kein Vorankommen.

Merkel reagiert angesichts der Unterschiede pragmatisch. Man werde immer wieder "um Positionen ringen". Die Kanzlerin lässt sich von einer chinesischen Journalistin sogar ein Bekenntnis entlocken: "Ich habe immer sehr gerne China besucht und werde das auch in Zukunft tun."

Am Ende sorgt ein NDR-Journalist der Satiresendung "Extra Drei" für Unruhe. Noch-Moderator Tobias Schlegl, der die Sendung im Sommer abgibt, will Wen Jiabao und Merkel eine goldene Katzenfigur überreichen, die in der einen Pfote einen Knüppel hält. "Freie Fahrt für die Wirtschaft, wer braucht da noch Menschenrechte", ruft er. Doch Merkel und ihr Gast, sie eilen schnell weg. Nur die chinesischen Journalisten sind ganz neugierig: Wer das denn gewesen sei, fragt einer auf Englisch.

mit dpa/AFP
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