Deutsch-israelische Beziehungen "Kämpfen Sie für Ihre Demokratie"

Antisemitismus, Israel, Nahostkonflikt: Zwei Stunden diskutierten Berliner Schüler mit Israels Botschaftsgesandtem Ilan Mor - der gab den Jugendlichen eine klare Botschaft mit auf den Weg.

Berlin - Die 19 Berliner Gymnasiasten schütteln verlegen den Kopf: Mit seiner ersten Frage hat Israels Botschaftsgesandter Ilan Mor sie auf dem falschen Fuß erwischt. Nein, niemand unter ihnen war schon einmal in Israel.

Eine Stunde, bevor die zwei Politik-Leistungskurse eines Weddinger Gymnasiums der Einladung der israelischen Botschaft und der integrationspolitischen Sprecherin der Berliner Grünen, Bilkay Öney, folgen, versammeln sie sich. Manche haben sich rausgeputzt, als sei es ein festlicher Anlass. Ihnen stehen massive Sicherheitskontrollen bevor, ehe sie in die Botschaft gelangen: Um mit Ilan Mor über Antisemitismus zu sprechen.

Der steige seit dem Jahr 2001 unter Berliner Schülern bedrohlich an, sagt Öney – egal, ob mit oder ohne Migrationshintergrund. Für sie ist es daher "Ehrensache", die Schüler des Lessing-Gymnasiums in die Botschaft zu bringen. Die Schule liegt in ihrem Wahlkreis und bemühe sich sehr um den "interkulturellen Dialog", sagt sie. In der Praxis gehören dazu Palästinensertücher auf dem Schulhof, meint ein Schüler.

Merkels Knesset-Rede zur Vorbereitung

Ilan Mor, seit 1992 Diplomat in Deutschland, nennt die Schüler "meine Damen und Herren". Israel und der Nahost-Konflikt spielen im Politikunterricht fast keine Rolle, sagt Schüler Christoph. Zur Vorbereitung auf den Termin mit dem Botschafter lasen sie die Knesset-Rede von Angela Merkel und ein Israel-Heftchen der Bundeszentrale für politische Bildung. Der Rest ihrer Kenntnisse stammt aus den Medien: Bilder von Grenzzäunen und Selbstmordattentaten.

"Sie sind die Hoffnung", begrüßt Mor die Jugendlichen, "aus Ihnen werden die künftigen Akademiker, Wissenschaftler und Künstler Deutschlands". Die Schüler machen sich keine Notizen, stellen aber Fragen. Die sind vor allem eines: israelkritisch: "Was halten Sie von einem neutralen Jerusalem?", fragt Schülerin Jana. "Als Jude: nichts", entgegnet Ilan Mor, und kommt dann auf sein Mantra: den Ruf nach Verständigung zwischen Israelis und Palästinensern. Aber: "Wir müssen uns nicht umarmen und küssen."

Israels Ansehen sei "nicht positiv", so sieht es Mor, und versucht die Schüler mit "Paradebeispielen" für sein Land zu gewinnen, zwei Nobelpreise 2004, ein Nobelpreis 2005, und das erste Motorola-Handy: in Israel erfunden. Die Schüler schauen so kritisch, als sei es Konzept.

Es geht um den Nahost-Konflikt, um Israels Selbstverständnis, um die Zukunft des Landes. "Wir sind das unerwünschte Kind im Nahen Osten", charakterisiert es Mor, reiht mehrmals die Bedrohungen durch Mahmud Ahmadinedschad, al-Qaida, Hisbollah und Hamas auf. "Wir sind das einzige Land der Welt, dessen Existenzrecht immer wieder bezweifelt wird", die Schüler schauen, als hörten sie zum ersten Mal von Zweifeln am Existenzrecht. Mor versucht es mit Basiswissen, erzählt von der Staatsgründung 1948 und Camp David.

Da verweist ihn eine Schülerin auf die Genfer Konvention: Besiedelungen seien völkerrechtswidrig. Wie es also um die Siedlungen im Gaza-Streifen stünde, fragt sie, wäre es nicht an der Zeit, die abzubauen? "Das ist bereits abgeschlossen", sagt Mor, seit drei Jahren, er verzieht keine Miene. "Und die im West-Jordanland?"

Ilan Mor ist freundlich zu seinen Gästen, den "Damen und Herren", aber er spricht die Politikersprache. Erst als er von seinem Neffen zweiten Grades erzählt, dessen Vater Auschwitz überlebte und der deutsche Produkte, "Autos, Waschmaschinen, Musik" meidet und das Land niemals besuchen würde, verschwindet der routinierte Diplomat aus ihm. Mor erzählt von seiner Tochter, 26, und seinem Sohn, 24, bei deren Geburten sich die Eltern wünschten, sie würden niemals die militärische Pflichtausbildung durchlaufen müssen – ihre Hoffnung blieb unerfüllt.

"Antisemitismus ist nicht mein Problem. Das ist Ihr Problem."

Bilkay Öney hält sich zurück, übernimmt den Part der Moderatorin, fragt: "Gibt es arabische Abgeordnete in der Knesset?" "Zehn", antwortet Mor, die Schüler schauen erstaunt, das passt nicht so richtig in ihr kritisches Israel-Bild.

Fast sind die zwei Stunden vorüber, da kommt sie doch, die Frage, die der Anlass sein sollte für die Begegnung. "Glauben Sie, es existiert noch Antisemitismus in Deutschland"?", will eine Schülerin wissen, und Mor antwortet sehr höflich, von den "zwei lebendigen Demokratien" Deutschland und Israel, vom Ziel, deutsche, israelische und palästinensische Jugendliche in Kontakt zu bringen. Doch dann wird er plötzlich ernst: "In Israel gibt es keinen Antisemitismus." In Deutschland dagegen kursieren Zahlen, nach denen 20 Prozent der Bevölkerung antisemitische Einstellungen hegen. "Aber das ist nicht mein Problem. Das ist Ihr Problem. Sie müssen aufstehen und für die Demokratie kämpfen."

Wenige Minuten später stehen die Schüler tatsächlich auf. Sie versammeln sich für das Gruppenfoto.

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