Nikolaus Blome

Deutsche Bahn Wenn Gewerkschafter den Bossen die Boni zuschanzen

Nikolaus Blome
Eine Kolumne von Nikolaus Blome
Die Manager scheitern – und kassieren Millionen. Schuld ist jedoch nicht »der Markt«, auch wenn das manche gern hätten.
Bahn-Logo: Der Konzernchef hat die Rente durch, wie man sagt

Bahn-Logo: Der Konzernchef hat die Rente durch, wie man sagt

Foto: Julian Stratenschulte / dpa

Dieser Artikel gehört zum Angebot von SPIEGEL+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.

Gerade an den Starkreisetagen um Ostern dürfte es zu den beliebtesten privaten Gewaltfantasien zählen, den Bossen der Deutschen Bahn mal so richtig den Marsch zu blasen. Sie an Gleis 13einhalb in Detmold-Dingsbums auszusetzen, hilfsweise auf freier Strecke irgendwo im leeren Hunsrück. Oder drei Tage am Stück »keine heißen Getränke und Speisen« im Bordbistro in sie reinzustopfen beziehungsweise sie bei voller Fahrt die ICE-Tür zuhalten zu lassen, die »leider heute nicht richtig schließt«.

Eine Lösung ist das natürlich nicht, eine österlich-friedvolle schon gar nicht, und Bahn-Chef Lutz würde es vermutlich sowieso nicht kratzen: Der Mann hat die Rente durch, wie man sagt. Er kassierte 2022 insgesamt 2,24 Millionen Euro, dank eines Millionenbonus war das rund doppelt so viel wie im Jahr davor. Mit 92,7 Millionen wurden allerdings auch gut doppelt so viel an Entschädigung  verspäteter und gestrandeter Kunden fällig. Die »Pünktlichkeitsquote« der Bahn lag 2022 nämlich »bei 65,2 Prozent und damit so niedrig wie seit zehn Jahren nicht mehr«, wie der SPIEGEL schrieb. In der laufenden Tarifauseinandersetzung wiederum lässt Herr Lutz den Beschäftigten erklären, dass zehn und mehr Prozent Gehaltserhöhung geschäftsschädigend zu viel seien. Branchenspezifisch nennt man das wohl mehrgleisige Entkopplung.

Ansonsten werden privatwirtschaftliche Dysfunktionalitäten dieses Ausmaßes gern herbei genommen, wenn es darum geht, die Marktwirtschaft weiträumig zu diskreditieren: als kalt, ungleich und gerechtigkeitsvergessen. Und es stimmt ja. Wenn Leistung und Lohn vor aller Augen nicht mehr viel miteinander zu tun haben, dann zersetzt es das Wettbewerbsprinzip und in der Folge die Marktwirtschaft als meritokratisches Fundament jeder freien Gesellschaft. Solche Boni solcher Bosse sind eine Steilvorlage erster Klasse gegen einen (vermeintlich) maßlosen Kapitalismus und den morallosen Markt. Sänck you for gar nichts, das sage ich selbst seit ewigen Zeiten.

Wer, wenn nicht die Gewerkschaften, wären also berufen, das mit aller Kraft zu geißeln, zumal in Zeiten eines großen Streiks und großer Worte? Auch die Parteien links der Mitte könnten vollen Herzens einstimmen und die rechts der Mitte eigentlich ebenso, denn um Anstand und Augenmaß geht es ja auch. Allein: Es unterbleibt, soweit ich sehen kann. Warum? Follow the money! Der Markt ist nicht anonym und sein Missbrauch schon gar nicht. Der Markt ist generell sehr viele, nämlich jeder von uns. Und an der speziellen Sache mit den Boni ist nicht er schuld, sondern der Aufsichtsrat.

Jedermann auf der Welt hat nämlich einen Chef, auch der Bahn-Chef. Herr Lutz und seine Vorstandsfreunde werden nach einem System bezahlt, das in Struktur und Volumen vom Aufsichtsrat diskutiert und beschlossen wird. Im Aufsichtsrat dieses steuerfinanzierten Staatskonzerns sitzen mitnichten nur Hardcore-Kapitalistas und Politiker als Staatseigentümervertreter, sondern genau zur Hälfte auch Gewerkschaftsfunktionäre. Die meisten von ihnen nehmen nicht zu knapp Geld dafür, darunter auch der stellvertretende Vorsitzende des Aufsichtsrates, der EVG-Vorsitzende Martin Burkert. Er sagte im Zuge seines großen Warnstreiks  viele sehr garstige Dinge über den Bahnvorstand und dessen schwachmatige Unternehmensführung. Fair enough, das tat der Bahn-Gewerkschafter ja in seiner Rolle als hart ringende Tarifpartei. Dass derselbe Bahn-Gewerkschafter in seiner Rolle als Aufsichtsrat Widerstand gegen die grotesken Erfolgsboni derselben Unternehmensführung angemeldet hat, konnte ich indes nirgendwo finden. Manchmal liegen Doppelrolle und Doppelmoral eben klebrig-kollusiv beieinander.

Für Burkerts Tätigkeit im Aufsichtsrat ist bahnseitig 2022 eine »Jahresvergütung« von 38.500 Euro vermerkt , kleinere Teile davon stehen noch unter dem Vorbehalt, dass die Bahn von der staatlichen Strompreisbremse profitiert. Bei der ebenfalls für die Streik-überschatteten Tarifverhandlungen zuständigen EVG-Gewerkschafterin Cosima Ingenschay stehen 43.500 Euro zu Buche – etwas mehr als das durchschnittliche Bruttojahresgehalt eines Lokführers bei der Bahn, wie es das Jobportal Stepstone ausweist .

Insgesamt wurden für die Gewerkschaftsvertreter in einem Jahr ca. 400.000 Euro verbucht. Nur zwei Angehörige des Aufsichtsrates verzichteten 2022 den Unterlagen zufolge auf eine Vergütung, darunter die Grüne Staatssekretärin Anja Hajduk. Aber damit wir uns nicht falsch verstehen: Ich gönne jedem Aufsichtsrat sein ersessenes Geld ebenso wie die schöne Auswahl zwischen einer »persönlichen Bahncard 100 First oder fünf Freifahrtscheinen«. Was ich hingegen verheerend finde, ist die fortgesetzte Verantwortungsverschleierung, wenn es ins Politische geht. Darum halten wir heute fest: Nicht ein ruchloser Marktkapitalismus macht den Bahn-Chef reich. Es ist ein zu mehr als der Hälfte SPD-, Grün- und Gewerkschafts-besetzter Aufsichtsrat, der nicht begreifen mag, dass eine mit Steuergeld betriebene Staatsbahn ein eminent politisches Ding ist und entsprechend zu behandeln. Warum nur?

An mangelndem Problembewusstsein kann es nicht liegen, die Diskussion um sogenannte Erfolgsprämien für versagende Vorstände ist wirklich nicht neu. Erst vor einigen Tagen statuierte die Schweizer Regierung ein kleines Exempel an den Bankrott-Bankern der auch mit Staatsgeld geretteten Credit Suisse. Alle ausstehenden variablen Vergütungen in der Chefetage würden gestrichen, hieß es. Geht doch.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Playlist
Speichern Sie Audioinhalte in Ihrer Playlist, um sie später zu hören oder offline abzuspielen. Zusätzlich können Sie Ihre Playlist über alle Geräte mit der SPIEGEL-App synchronisieren, auf denen Sie mit Ihrem Konto angemeldet sind.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten