Geheime Rückholaktion Deutsche Dschihadistinnen aus Gefangenenlager in Syrien gerettet

Eine verschleierte Frau betritt am späten Mittwochabend aus der Gangway einer Chartermaschine heraus einen abgeschirmten Bereich der Bundespolizei am Flughafen Frankfurt
Foto: Boris Roessler / dpaAm Frankfurter Flughafen sind am Mittwochabend kurz vor Mitternacht acht deutsche Anhängerinnen der Terrorgruppe »Islamischer Staat« (IS) mit ihren 23 Kindern gelandet. Die mutmaßlichen Dschihadistinnen im Alter von 30 bis 38 Jahren saßen mit ihren Kindern zum Teil jahrelang in dem von kurdischen Kämpfern bewachten Anti-Terror-Gefangenenlager al-Hol in Nord-Syrien ein. Im Zuge einer humanitären Aktion wurden sie nun zurück in ihre Heimat gebracht.
Die monatelang geplante Geheimaktion gelang am Ende durch die Unterstützung der US-Armee, die die deutschen Frauen mit ihren Kindern aus Syrien mit einem Militärflugzeug ausflog. Auf einer US-Basis in der Region wurden sie an deutsche Diplomaten und eigens eingeflogene BKA-Beamte übergeben. Von dort flogen die Frauen, die sich zur Hochzeit des IS zwischen 2014 und 2016 nach Syrien aufgemacht hatten, mit einem angemieteten Charterjet nach Deutschland.
Neben den acht Frauen aus Deutschland sind auf dem Charter-Jet auch drei dänische IS-Anhängerinnen mit ihren 14 Kindern.
Mittwochnacht haben Dänemark und Deutschland gemeinsam 37 Kinder und 11 Frauen aus dem Lager Roj in #Nordostsyrien zurückgeholt. Wir danken den Stellen vor Ort für die Zusammenarbeit. 1/2 pic.twitter.com/Qdls56irlc
— Auswärtiges Amt (@AuswaertigesAmt) October 6, 2021
Gegen sechs der acht Frauen aus Deutschland liegen Haftbefehle der Justizbehörden vor, sie sollten noch am Flughafen Frankfurt festgenommen und in Justizvollzugsanstalten überstellt werden. In einer Erklärung von Außenminister Heiko Maas hieß es in der Nacht zu Donnerstag, »ein Großteil« der Frauen sei in Haft genommen worden.
In den meisten Fällen der sogenannten »IS-Frauen« ermitteln die Behörden wegen der Unterstützung der Terrorgruppe IS, allerdings ist die Beweislage gegen die mutmaßlichen Dschihadistinnen sehr unterschiedlich.
Gegen drei der Frauen ermittelt der Generalbundesanwalt
Die zurückkehrenden Frauen stammen ursprünglich aus Berlin, Bremen, Bayern, Hamburg, Hessen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen. Gegen drei von ihnen hat der Generalbundesanwalt in Karlsruhe Haftbefehle erwirkt, da man bei ihnen konkrete Beweise für die Unterstützung der Terrormiliz IS in der Hand hat. Die Terrorgruppe wurde in Syrien und dem Irak erst 2019 durch die massive Unterstützung der USA militärisch besiegt.
Gegen einige der Frauen wiegen die Vorwürfe schwer. So soll zum Beispiel Verena M. aus Nordrhein-Westfalen, die 2015 nach Syrien zog, beim IS auch an Waffen ausgebildet worden sein und war wohl später bei der Sittenpolizei des IS aktiv. Auch für ihren heute zwölfjährigen Sohn, dem sie im Krisengebiet den Namen Mohammed gab, strebte die Mutter offenbar eine Kämpferkarriere an. 2016 musste der Siebenjährige für Fotos mit einer Waffe posieren und einen Treueschwur auf den IS leisten.
Die Mutter gilt den Ermittlern des Generalbundesanwalts als radikalisiert, offenbar hat sich Verena M. bis zuletzt nicht vom IS abgewandt. Die Fahnder haben wegen der konkreten Hinweise auf die Mitgliedschaft in der Terrorgruppe und der Radikalisierung ihres Sohns erfolgreich einen Haftbefehl beantragt. Folglich sollte Verena M. noch am Flughafen festgenommen werden. Der Sohn wird dann zunächst vom Jugendamt betreut und später vermutlich von einer Pflegefamilie aufgenommen.
Auch gegen die 37-jährige Solale M. aus Hamburg hat der Generalbundesanwalt einen Haftbefehl erwirkt. Die junge Frau war im Sommer 2014 mit zwei Kindern nach Syrien gezogen und folgte ihrem damaligen Partner, der sich ebenfalls dem IS angeschlossen hatte. Auf sie kommt nun ein Verfahren wegen Mitgliedschaft bei einer Terrorgruppe, Kindeswohlgefährdung und Kindesentziehung zu.
Der dritte Haftbefehl der Karlsruher Ermittler wurde für Romina Sch. aus Niedersachsen ausgestellt. Die 33-jährige Frau reiste 2014 nach Syrien und nahm ihre Tochter mit. Zudem soll Romina Sch. in Onlineforen regelrecht Werbung für den IS betrieben und andere Frauen aufgefordert haben, ebenfalls nach Syrien zu reisen. Laut den Erkenntnissen der Ermittler soll sich daraufhin eine 16-jährige Deutsche tatsächlich auf den Weg gemacht haben.
Gegen Sch. ermittelt der Generalbundesanwalt nicht nur wegen der Mitgliedschaft beim IS, sondern auch wegen Beihilfe zur Sklavenhaltung. So gibt es Erkenntnisse, dass Romina Sch. während eines dreitägigen Besuchs im Haushalt eines IS-Kämpfers dessen jesidischer Sklavin Arbeitsanweisungen gegeben und die Frau bei Einkäufen beaufsichtigt haben soll. Zudem lobte sie offenbar die Terroranschläge von Nizza und Würzburg, die beide dem IS zugeschrieben werden.
Noch gut 70 Deutsche sitzen in Gefangenenlagern in Syrien
Die Geschichten der anderen zurückgekehrten Frauen sind unterschiedlich. Einige zogen allein aus Deutschland nach Syrien und ließen sich dort mit Kämpfern des IS verheiraten. Andere wiederum reisten mit ihren Partnern ins Kriegsgebiet und heirateten nach deren Tod andere Kämpfer der IS-Miliz. Nach dem Niedergang des IS, der zeitweise große Teile von Syrien beherrschte, wurden die Frauen von kurdischen Kämpfern gefangen und in das Lager al-Hol gebracht.
Deutschland hat sich seit Jahren aus humanitären Gründen intensiv um die sogenannten »IS-Frauen« gekümmert und auch schon in den letzten Jahren mehrmals kleinere Gruppen von Frauen und Kindern aus Syrien geholt. Zum einen stand dabei der Schutz der teilweise erst in Syrien geborenen Kinder im Vordergrund. Andere Frauen, zum Beispiel die 30-jährige Josephine B. aus Berlin, klagten auch vor Gericht auf ihr Recht zur Rückkehr. Die junge Frau gilt bis heute als radikal und wird direkt vom Flughafen in eine Haftanstalt verlegt.
In Nordsyrien sitzen bis heute noch knapp 70 Deutsche in den Lagern für IS-Kämpfer, gegen gut die Hälfte von ihnen liegen in Deutschland gültige Haftbefehle vor. Die USA hatten unter Präsident Donald Trump immer wieder gefordert, dass europäische Staaten wie Deutschland ausgereiste IS-Kämpfer aufnehmen sollten. Trump drohte sogar damit, die mutmaßlichen Terroristen einfach auf einer US-Basis in Deutschland »abzuladen«.
Für Deutschland ist der Umgang mit den Dschihad-Rückkehrern nicht einfach. Zwar wurden die einschlägigen Gesetze in den letzten Jahren drastisch verschärft, seitdem gilt selbst das Kochen für IS-Kämpfer oder der Betrieb eines Hauses für den IS als Unterstützungshandlung. Trotzdem aber reichen die vorliegenden Beweise gerade gegen die in den Boulevardmedien gern als »Dschihad-Bräute« bezeichneten Frauen nicht in allen Fällen aus.