

Stuttgart - Bundespräsident Joachim Gauck hat ein stärkeres Engagement Deutschlands in der Weltpolitik gefordert. "Unser Land ist keine Insel. Wir sollten uns nicht der Illusion hingeben, wir könnten verschont bleiben von den politischen und ökonomischen, den ökologischen und militärischen Konflikten, wenn wir uns an deren Lösung nicht beteiligen", sagte Gauck am Donnerstag bei der zentralen Feier zum Tag der Deutschen Einheit in Stuttgart.
"Ich mag mir nicht vorstellen, dass Deutschland sich groß macht, um andere zu bevormunden", sagte Gauck. "Ich mag mir aber genau so wenig vorstellen, dass Deutschland sich klein macht, um Risiken und Solidarität zu umgehen. Ein Land, das sich so als Teil eines Ganzen versteht, muss weder bei uns Deutschen auf Abwehr noch bei den Nachbarn auf Misstrauen stoßen."
Gaucks Worte zielen sowohl auf Deutschlands immer wieder unentschlossene Rolle in der Euro-Krise, als auch auf die oft zögerliche Haltung der bisherigen Bundesregierung in internationalen Konflikten, wie etwa 2011 in Libyen oder unlängst in Syrien.
Kampf für mehr Datenschutz
Gauck sagte, da Deutschland einen ständigen Platz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen anstrebe, müsse es sich auch fragen, welche Rolle es bereit ist, bei Krisen in ferneren Weltregionen zu spielen. "Es stellt sich tatsächlich die Frage: Entspricht unser Engagement der Bedeutung unseres Landes?"
Der Bundespräsident sprach auch die deutsche Vergangenheit mit der Nazi-Herrschaft und dem Holocaust an, die die Diskussion um die Rolle des Landes in der Welt immer wieder prägt. Vor wenigen Wochen sei er bei einem Besuch in Frankreich mit der Frage konfrontiert worden: "Erinnern wir Deutsche auch deshalb so intensiv an unsere Vergangenheit, weil wir eine Entschuldigung dafür suchen, den heutigen Problemen und Konflikten in der Welt auszuweichen? Lassen wir andere unsere Versicherungspolice zahlen?"
Gauck sprach in seiner Rede auch die digitale Revolution an, die die Gesellschaft so grundlegend umwälze wie einst der Buchdruck oder die Dampfmaschine. Dabei verschwinde die Privatsphäre, "die unsere Vorfahren sich einst gegen den Staat erkämpften und die wir in totalitären Systemen gegen Gleichschaltung und Gesinnungsschnüffelei zu verteidigen suchten". Künftig müsse der Datenschutz für den Erhalt der Privatsphäre so wichtig werden wie Umweltschutz für den Erhalt der Lebensgrundlagen. "Wir wollen die Vorteile der digitalen Welt nutzen, uns gegen ihre Nachteile aber bestmöglich schützen."
Als drittes Thema widmete Gauck sich dem demografischen Wandel. Dabei forderte er von der Politik, wichtige Aufgaben wie den Ausbau frühkindlicher Betreuung, die Verbesserung der Pflegesysteme und die Modernisierung der Einwanderungspolitik anzugehen.
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Die ranghöchsten Menschen des Landes und des Ländles: Bei der Einheitsfeier in Stuttgart trafen sich Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann, Bundestagspräsident Norbert Lammert, Bundespräsident Joachim Gauck, Bundeskanzlerin Angela Merkel und der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle (v.l.).
Gauck begrüßt die Zuschauer: Der Bundespräsident gab sich volksnah - und hielt eine starke Rede.
Der Präsident als Star: Mit deutlichen Worten forderte Gauck von der Bundesregierung, mehr Verantwortung in der Welt zu übernehmen.
Gauck mit Lebensgefährtin Daniela Schadt: "Entspricht unser Engagement der Bedeutung unseres Landes?", fragte Gauck in seiner Rede.
Angela Merkel auf Tuchfühlung: Auch die Kanzlerin schüttelte bei den Feierlichkeiten fleißig Hände.
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