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Alexander Neubacher

Die Gegendarstellung Das Feinstaub-Rätsel

Alexander Neubacher
Eine Kolumne von Alexander Neubacher
Kaum noch Straßenverkehr, trotzdem herrscht dicke Luft in der Umweltzone. Wie passt das bloß zusammen?
aus DER SPIEGEL 17/2020
Von Umweltaktivisten aufgestelltes "Verbotsschild für Dieselautos" in Stuttgart 2016

Von Umweltaktivisten aufgestelltes "Verbotsschild für Dieselautos" in Stuttgart 2016

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Lino Mirgeler/ dpa

Die Natur erobert gerade Berlin zurück. In Tempelhof nistet die Feldlerche, durch Schöneberg schnürt der Fuchs, in Frohnau soll es Rehe geben. Nur vom Himmel droht weiter das Anthropozän: Es gibt Feinstaubalarm, auch bei mir in Steglitz. Zwei Tage in Folge wurde der zulässige Grenzwert an der Messstation Schildhornstraße überschritten. So habe ich es den Daten der Berliner Senatsverwaltung für Ende März entnommen.

Wie ist das möglich? Müsste die Berliner Luft nicht frisch und klar sein, seitdem sich das Land im Shutdown befindet? Büros, Schulen und Geschäfte sind geschlossen, Zigtausende im Homeoffice. So leer wie jetzt sind die Straßen sonst nur an Heiligabend.

Doch bei der Luftqualität zeigt sich deutschlandweit kein eindeutig positives Bild: Der Verkehr ist weg, der Dunst bleibt. Mal liegt's am Feinstaub, mal am Stickstoffdioxid. Hier einige Stichproben. Dresden: Stickstoffdioxid gegenüber dem Vorjahr gleich geblieben, Feinstaub gestiegen. Halle: mehr Feinstaub als vor einem Jahr. Hamburg: Erst gingen die Werte runter, dann lagen plötzlich drei von vier Messstationen über dem Stickstoffdioxid-Grenzwert. Weiter im Süden in Gelsenkirchen: die ganze erste Aprilwoche dicke Luft.

Ich erinnere mich gut daran, wie erbittert in den vergangenen Jahren darüber gestritten wurde, was gegen Feinstaub und Stickoxide zu tun sei. Erst wurden nur die alten Schrottkisten aus vielen Innenstädten verbannt. Dann mussten auch neuere Dieselautos draußen bleiben. In mehreren Städten wurden Fahrverbotszonen eingerichtet, sogar in den Zentren der deutschen Automobilindustrie wie Stuttgart und München. Vertreter der Konzerne fühlten sich weggemobbt aus dem eigenen Land. Allerdings hatten sie durch ihre Betrügereien bei der Abgasmessung selbst ihre Glaubwürdigkeit verspielt.

Müsste die Luft nicht frisch und klar sein?

In Teilen war der Autokrieg schon damals reichlich übertrieben. Während die Deutsche Umwelthilfe eine Stadt nach der anderen verklagte, weil sie angeblich zu wenig gegen die Vergiftung ihrer Bewohner unternahmen, lösten sich einige Probleme bereits von selbst. Die Autos wurden sauberer, der Schadstoffausstoß sank.

Nun zeigt sich, dass der Feinstaub oft ganz andere Ursachen hat als den Autoverkehr. Mal sind es Stürme mit Saharasand, die den Alarm auslösen, so war es kürzlich in Dresden und Halle. Mal sind es ausgerechnet die Holzpelletöfen der ökologisch bewussten Nachbarn, die ihren Ruß verteilen. Auch wenn die Bauern auf dem Land ihre Böden beackern, spielen die Messstationen in den Städten verrückt, ohne dass ein Autofahrer dafür verantwortlich wäre. Zwei entscheidende Größen scheinen hier Wind und Wetter zu sein. Wenn es aus der falschen Richtung bläst, hilft auch keine Umweltzone.

Es wird derzeit viel darüber diskutiert, welche Lehren wir aus der Coronakrise ziehen können. Ich würde es nicht auf Platz eins der Prioritätenliste setzen, aber weniger Panikmache bei manchen Umweltthemen wäre für Deutschland gewiss kein Nachteil.

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