
Gesundheit Neues Periodensystem


Ein Gesetz wie das in Spanien kann heftige Krämpfe nicht abschaffen, aber dabei helfen, Tabus zu brechen und Rücksichtnahme zur Regel machen.
Foto: vPlainpicture / www.plainpicture.comÜber ein Volksleiden, das fast die Hälfte der Bevölkerung betrifft, redet hierzulande kaum jemand offen: Regelschmerzen. Auch ich würde nie auf die Idee kommen, ein »Wie geht’s?« mit einem »Frag besser nicht! Ich habe meine Tage« zu beantworten. Monatlich wiederkehrende Bauchkrämpfe, Kopfschmerzattacken, Übelkeit oder Stimmungsschwankungen sind Privatsache. Niemand würde von Vater Staat Gerechtigkeit für etwas verlangen, das Mutter Natur verbockt hat.

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Ganz anders in Spanien. Damit sich keine Spanierin vollgepumpt mit Schmerzmitteln an den Arbeitsplatz zwingt, sollen sich Frauen künftig mit einem Attest vom Arzt drei Tage im Monat krankschreiben lassen dürfen – auf Kosten des Staates . Tritt das Gesetz in Kraft, wäre es ein Novum in Europa. Und könnte auch in anderen Ländern zu einem weniger schamhaften Umgang mit Regelschmerzen führen.
Hier können Arbeitnehmerinnen zwar schon jetzt ihren Arzt bitten, sie bei akuten Schmerzen an den kritischen Tagen krankzuschreiben. Aber sei es aus typisch deutschem Pflichtbewusstsein, aus Angst vor dummen Sprüchen oder aus der Erfahrung heraus, dass viele Schmerztabletten auch viel helfen, machen das nur wenige. Dabei quälen sich die meisten der gebärfähigen Frauen jeden Monat zeitweise mit Schmerzen durch den Tag. Das Zähnezusammenbeißen ist womöglich gesellschaftlich anerzogen. Ein Gesetz wie das in Spanien kann heftige Krämpfe nicht abschaffen, aber dabei helfen, Tabus zu brechen und Rücksichtnahme zur Regel machen.
Warum der Staat ein Interesse daran haben sollte? Vielleicht, weil Menstruation eine biologische Voraussetzung dafür ist, dass regelmäßig neue Steuerzahler und Steuerzahlerinnen nachwachsen. Schade, dass die Berliner Ampel nichts mit Spanien Vergleichbares plant. Maßnahmen zur Enttabuisierung des weiblichen Zyklus sucht man im Koalitionsvertrag jedenfalls vergebens. Das Wort »Periode« kommt darin zwar 17-mal vor, allerdings meistens als Bestandteil von »Legislaturperiode«.
Periodenlegislatur gab es zuletzt im Jahr 2019 unter Angela Merkel, als ihr Finanzminister Olaf Scholz die Mehrwertsteuer auf Monatshygieneartikel von 19 auf 7 Prozent senkte. Was einige Hersteller umgehend mit einer Preiserhöhung beantworteten.
Es mag ein schwacher Trost sein, aber immerhin will Gesundheitsminister Karl Lauterbach noch dieses Jahr einen Gesetzentwurf zur Legalisierung von Cannabis vorlegen. Das in Hanf enthaltene THC macht Schmerzen häufig erträglicher. Sollte die Ampel diese Legislaturperiode keine Maßnahmen zur Enttabuisierung von Regelschmerzen auf den Weg bringen, könnte sie zumindest überlegen, folgenden Passus ins Gesetz zur Cannabislegalisierung einzufügen: Arbeitnehmerinnen, die bis zu drei Tage im Monat high am Arbeitsplatz erscheinen, dürfen dafür nicht mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen belangt werden.