SPIEGEL-Umfrage Mehrheit der Deutschen hält Studie zu Rassismus bei der Polizei für notwendig

Trotz des jüngsten Skandals in NRW lehnt Innenminister Seehofer eine Studie zu Rassismus in der Polizei ab. Laut einer SPIEGEL-Umfrage sieht die Mehrheit der Bevölkerung dies anders.

Ein Polizeiskandal erschüttert Nordrhein-Westfalen. Es geht um rechtsextreme Nachrichten in Chatgruppen, die Inhalte sind widerwärtig bis menschenverachtend. 29 Polizisten und Polizistinnen wurden vorläufig aus dem Dienst entfernt . Der Fall befeuert erneut die Diskussion über Rassismus in der Polizei. Eine flächendeckende Untersuchung zu dem Thema will Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) allerdings nach wie vor nicht. Mit dieser Haltung stellt er sich gegen die Mehrheit der Bevölkerung.

Denn fast 55 Prozent der Deutschen halten eine Studie zu Rassismus innerhalb der Polizei für notwendig. Das geht aus einer aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey im Auftrag des SPIEGEL hervor.

Zwischen dem 18. und 21. September haben mehr als 5000 Personen die Frage beantwortet, ob sie es für notwendig halten, dass der Bund eine Studie zu Rassismus innerhalb der Polizei in Auftrag gibt. Rund 39 Prozent der Befragten beantworteten die Frage mit "Nein, auf keinen Fall" oder "Eher nein".

In fast allen Altersgruppen überwiegen die Befürworter einer Rassismus-Studie. In der Gruppe über 65 Jahren und bei den 18- bis 29-Jährigen sind die Unterstützer einer solchen Untersuchung am stärksten vertreten. In ersterer Altersgruppe sprechen sich rund 60 Prozent der Befragten für eine entsprechende Untersuchung aus, in letzterer sind es mehr als 58 Prozent.

Nah beieinander liegen auch die Altersgruppen zwischen 40 und 49 Jahren und zwischen 50 und 64 Jahren. In beiden Fällen halten mehr als 54 Prozent eine Untersuchung zu Rassismus innerhalb der Polizei für notwendig. Vergleichsweise niedrig sind die Werte bei den 30- bis 39-Jährigen. Dort bejahen nur rund 45 Prozent die Frage, ob sie eine Untersuchung für notwendig halten.

Unionsanhänger sind gespalten

Mit Blick auf die Wahlabsicht werden deutliche Unterschiede zwischen den Anhängern der verschiedenen Parteien sichtbar. Rund 80 Prozent der SPD-Anhänger halten eine Rassismus-Studie bei der Polizei für notwendig. Unter den Anhängern von Grünen und Linken sind es sogar mehr als 80 Prozent.

Der Anteil der Befürworter liegt bei der FDP dagegen nur bei etwa einem Drittel. Und nur gut fünf Prozent der AfD-Anhänger halten eine Studie zu Rassismus bei der Polizei für notwendig.

Die Entscheidung über die Untersuchung müsste im unionsgeführten Bundesinnenministerium fallen. Bisher lehnt Minister Seehofer eine solche Erhebung allerdings ab. Er will einen breiteren Ansatz "für die gesamte Gesellschaft", sagte er kürzlich. Dem Willen der Unionsanhänger kommt er damit nicht unbedingt nach. In der Frage, ob eine solche Studie notwendig ist, zeigen sie sich gespalten. Rund 46 Prozent beantworten die Frage mit "Ja", etwa 47 Prozent mit "Nein" und etwa 7 Prozent sind unentschieden.

Unterschiede zwischen Stadt und Land

Für die Beantwortung der Frage ist offenbar außer der politischen Orientierung auch relevant, wo man lebt. Die SPIEGEL-Umfrage zeigt Unterschiede zwischen der Stadt- und der Landbevölkerung.

Mit wachsender Bevölkerungsdichte wächst auch der Anteil der Befragten, die eine Rassismus-Studie in der Polizei für notwendig halten. In ländlichen Regionen mit sehr niedriger Bevölkerungsdichte sprechen sich rund 50 Prozent dafür aus, in Regionen mit sehr hoher Bevölkerungsdichte sind es mehr als 60 Prozent.

Die Frage, Rassismus in der Polizei erforschen zu lassen, löst in der Bundesregierung schon seit Monaten Streit aus. Die SPD hat sich bereits mehrfach dafür stark gemacht, die sozialdemokratische Justizministerin Christine Lambrecht forderte ihren Kabinettskollegen Seehofer zum Umdenken auf.

Auch aus der Union gibt es Stimmen, die sich deutlich für eine Studie aussprechen. "Ich würde auch eine wissenschaftliche Untersuchung zu möglichen rechtsextremistischen Tendenzen in der Polizei mittragen", sagte Schleswig-Holsteins Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack (CDU) kürzlich dem SPIEGEL - und widersprach damit Seehofer.

Das Meinungsforschungsinstitut Civey  arbeitet mit einem mehrstufigen voll automatisierten Verfahren. Alle repräsentativen Echtzeitumfragen werden in einem deutschlandweiten Netzwerk aus mehr als 20.000 Websites ausgespielt (»Riversampling«), es werden also nicht nur Nutzer des SPIEGEL befragt. Jeder kann online an den Befragungen teilnehmen und wird mit seinen Antworten im repräsentativen Ergebnis berücksichtigt, sofern er sich registriert hat. Aus diesen Nutzern zieht Civey eine quotierte Stichprobe, die sicherstellt, dass sie beispielsweise in den Merkmalen Alter, Geschlecht und Bevölkerungsdichte der Grundgesamtheit entspricht. In einem dritten Schritt werden die Ergebnisse schließlich nach weiteren soziodemografischen Faktoren und Wertehaltungen der Abstimmenden gewichtet, um Verzerrungen zu korrigieren und Manipulationen zu verhindern. Weitere Informationen hierzu finden Sie auch in den Civey FAQ .

Der aktuelle Polizeiskandal in Nordrhein-Westfalen dürfte den Druck auf den Bundesinnenminister erhöhen. Zumal der Fall längst nicht der Erste dieser Art ist – und das volle Ausmaß bisher noch nicht geklärt ist.

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