Deutschland-Plan Steinmeier rückt Jobs ins Zentrum des Wahlkampfs
Berlin - Montagmorgen, SPD-Parteizentrale, Auftritt Frank-Walter Steinmeier. Der Kanzlerkandidat will seinen "Deutschland-Plan" vorstellen. Plötzlich schiebt ihm sein Chefkommunikator Thomas Steg einen Zettel hinüber, mitten im Vortrag. Steinmeier hält kurz inne, liest, und blickt seinen Vertrauten dann leicht irritiert an. "Lauter sprechen? Spreche ich zu leise?", fragt Steinmeier in die Runde. Das ist nicht der Fall, jedenfalls äußert niemand im Saal eine entsprechende Beschwerde. "Da muss wohl der Thomas Steg sein Hörgerät ausgeschaltet haben", juxt Steinmeier.

Steinmeier: Vier Millionen neue Jobs sollen entstehen
Foto: Herbert Knosowski/ APLustig gemeint, aber insgeheim dürfte der Kanzlerkandidat gedacht haben: Nicht schon wieder so eine Kommunikationspanne.
So wie am Wochenende. Kaum waren am vergangenen Samstag erste Details von Steinmeiers ambitioniertem Plan, bis 2020 vier Millionen zusätzliche Jobs schaffen zu wollen über den SPIEGEL bekannt geworden, stürzte sich die politische Konkurrenz auf den Kanzlerkandidaten. "Steinmeier bekommt den Goldenen Pferdeapfel für das unglaubwürdigste Wahlversprechen", ätzte CSU-General Alexander Dobrindt. "Ein Akt der Verzweiflung", lästerte FDP-Generalsekretär Dirk Niebel.
Die Kritik der Konkurrenz konnte gar nicht scharf genug sein - von der SPD-Spitze war bis zum Montagmorgen nichts zum Steinmeier-Papier zu hören, wenn man mal von Generalsekretär Hubertus Heil absieht. "Was hätten wir auch sagen sollen? Wir kannten das Papier ja bis dahin gar nicht", bemängelt ein prominenter Sozialdemokrat, der ansonsten recht schnell an vertrauliche Papiere kommt.
Und so findet sich Steinmeier plötzlich abermals in der Defensive - mit einem Plan, der eigentlich dazu gedacht ist, die SPD endlich aus dem Umfragetief zu hieven. "Mich wundert die Schlagseite der Argumente", verteidigt er sich am Morgen im Willy-Brandt-Haus.
Tatsächlich ist das Papier mit dem Titel "Die Arbeit von morgen" eines, über das sich ernsthaft zu reden lohnt. Es ist eine wahre Fleißarbeit geworden: Monatelang haben Steinmeier und sein Team sich mit Praktikern aus Unternehmen, Industrie, Mittelstand und Wissenschaft beraten, hochrangige Wirtschaftsvertreter eingebunden, Studien ausgewertet.
Auf 67 Seiten formuliert Steinmeier seine Vorstellung davon, wie Deutschlands Wirtschaft und sein Arbeitsmarkt nach der Krise aussehen könnte. Tenor: Vollbeschäftigung ist möglich, das Einkommen soll gerechter verteilt werden, Unternehmen sollen ihr Handeln stärker an sozialen und ökologischen Fragen ausrichten - und das alles bis zum Jahr 2020. Überhaupt wird auffallend oft das Jahr 2020 als Zielmarke genannt - von einer "Agenda 2020" will Steinmeier aus nachvollziehbaren Gründen nicht sprechen.
Es ist ein Programm geworden, bei dem dem Staat eine aktive Rolle zukommt: Steinmeier will die Märkte stärker lenken, Regeln setzen, Potentiale fördern. Ambitioniert - sicher. Aber auch konkreter und ganzheitlicher als alles, was sich bislang in den Wahlprogrammen der Konkurrenz finden lässt.
Vier Millionen neue Jobs sollen entstehen, die Hälfte davon in der industriellen Produktion und in produktionsnahen Dienstleistungen. Gerade der globale Klimaschutz brauche neue Technologien und biete daher enormes wirtschaftliches Wachstumspotential. Deutschland müsse zum "Ausrüster der Welt mit neuen Produkten" werden, "die die Umwelt schützen und Ressourcen schonen", schreibt der Kanzlerkandidat in dem Konzept.
Nicht weniger als eine "Effizienzrevolution" schwebt Steinmeier vor - im Energiesektor und in den klassischen Industriezweigen. Emissionsfreie Antriebstechnologien für Autos sollen entstehen, Maschinen und Anlagen mit weniger Energieverbrauch, neue Produktionsprozesse und die dazu notwendige Software. "Mehr aus weniger schaffen", beschreibt der Sozialdemokrat das Motto.
Eine Million weitere Jobs will Steinmeier in der Gesundheitswirtschaft schaffen, in Krankenhäusern etwa, Pflegeeinrichtungen und in der Medizintechnik. Ein ähnlich hohes Arbeitsplatzpotential sieht Steinmeier in der "völlig unterschätzten" Kreativwirtschaft sowie in Logistik, Handel und Tourismus. Zudem will der SPD-Kandidat nach der Bundestagswahl direkt im Kanzleramt eine "Allianz für den Mittelstand" ansiedeln, bei der Wirtschaft, Gewerkschaften und Banken an einen Tisch geholt würden.
Große Pläne, die Steinmeier am Abend im "Bärensaal" des Alten Stadthauses verteidigt. Ein historischer Ort auch deshalb, weil hier einmal der deutsch-deutsche Einigungsvertrag ausgehandelt wurde. "Ich will einen Neustart der sozialen Marktwirtschaft - mit Anstand und langfristigem Denken", ruft Steinmeier. "Allgemeines Krisengerede führt nicht weiter. Was wir wirklich brauchen, ist ein Perspektivwechsel."
Es ist ein kämpferischer Auftritt, nicht zuletzt wegen der Schlussbemerkungen. Man habe ja erwarten können, dass manche den Plan gleich als Wahlkampfgebrüll abtun würden, stichelt der Außenminister gegen seine Kritiker. "Ich frage mich: Was haben die für ein Verständnis von Wahlkampf und Demokratie?"
Wahlkämpfe gehörten zur Demokratie. "Aber Wahlkampf heißt für mich: Wettstreit über Ideen und Konzepte. Dies ist meines - ich bin gespannt, welche noch folgen."