Vorgehen auf Anti-Corona-Demos Uno-Menschenrechtler sieht »Systemversagen« bei Polizeigewalt in Deutschland

Gegner der Coronamaßnahmen dürfen in Deutschland demonstrieren. Nach Ansicht des Uno-Sonderberichterstatters für Folter gingen Polizisten dabei oft unmenschlich vor. Noch härter urteilt er über die zuständigen Behörden.
Demonstration gegen Polizeigewalt in Berlin

Demonstration gegen Polizeigewalt in Berlin

Foto: Anadolu Agency / Anadolu Agency via Getty Images

In Deutschland gibt es beim Umgang mit Polizeigewalt nach Auffassung eines Uno-Menschenrechtsexperten »Systemversagen«. Dieses Fazit zieht der bisherige Uno-Sonderberichterstatter für Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung, Nils Melzer, aus seinem Austausch mit der Bundesregierung, wie er der Nachrichtenagentur dpa sagte. Zuvor hatte »Die Welt« darüber berichtet.

Melzer war im Sommer 2021 wegen mehrerer Videos, die offenbar Polizeigewalt bei Berliner Demonstrationen gegen Coronamaßnahmen zeigten, aufgeschreckt worden. Er äußerte Sorge darüber und bat die Bundesregierung um eine Stellungnahme. »Ich fand die Reaktion der Regierung bedenklich«, sagte er jetzt. Nach Auffassung der Bundesregierung sei es verhältnismäßig gewesen, dass Polizistinnen und Polizisten beispielsweise einen nicht aggressiven Demonstranten vom Fahrrad stießen und auf den Boden warfen. »Die Wahrnehmung der Behörden, was verhältnismäßig ist, ist verzerrt«, sagte Melzer.

Er habe die Bundesregierung um eine Statistik gebeten, wie viele Polizisten wegen unverhältnismäßiger Gewalt belangt werden, sagte Melzer. Die Antwort sei gewesen: in zwei Jahren sei es ein einziger gewesen, und in mehreren Bundesländern gebe es gar keine Statistiken. »Das ist kein Zeichen von Wohlverhalten, sondern von Systemversagen«, sagte Melzer. »Die Behörden sehen gar nicht, wie blind sie sind.«

»Die Überwachung der Polizei funktioniert in Deutschland nicht«

Während Demonstranten teils in Schnellverfahren abgeurteilt würden, würden Verfahren gegen Polizisten eingestellt oder verschleppt, »bis niemand mehr hinschaut«. Sein Fazit: »Die Überwachung der Polizei funktioniert in Deutschland nicht.« Arroganz sei gefährlich, sagte Melzer: »Das zerstört das Vertrauen der Bürger in die Polizei.«

Melzer hat seine abschließende Einschätzung am 28. März nach Berlin geschickt. Es dauert 60 Tage, bis das Uno-Büro für Menschenrechte sie veröffentlicht. Melzer ist wegen einer Berufung in das Direktorium des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) Ende März von seinem Uno-Amt zurückgetreten. Der Dialog mit Berlin sei damit abgeschlossen, sagte Melzer. Seine Nachfolgerin oder sein Nachfolger wird im Juni gewählt und dürfte sich anderen Themen widmen.

mrc/dpa

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