Flügelkampf Linke Grüne trommeln für die Öko-Revolution

Parteitag der Grünen (im Nov. 2014 in Hamburg): Angriff von links
Foto: Christian Charisius/ dpaMit Kleinigkeiten halten sich Katharina Dröge und Sven-Christian Kindler nicht auf. Ihnen geht es um einen "radikalen Umbruch des Wirtschaftssystems", um eine "andere Gesellschaft in Deutschland", ja, um eine "andere Welt". Dafür müsse ihre Partei streiten, finden die beiden Grünen-Bundestagsabgeordneten.
Und weil sie das in Dröges und Kindlers Augen zu wenig tut, haben die beiden einen Weckruf für die eigenen Reihen verfasst. Ihr Positionspapier, das SPIEGEL ONLINE vorliegt, ist eine Kampfansage an den Realo-Flügel, an führende Köpfe wie Grünen-Chef Cem Özdemir oder den baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann.
Diese waren schon in den vergangenen Monaten vom linken Parteiflügel für ihren wirtschaftsfreundlichen Kurs kritisiert worden. Nun steigt der Druck. "Wir Grüne müssen vor allem Angebote an die breite Bevölkerung machen und nicht nur an ein paar Vorzeigeunternehmer", begründet der Grünen-Haushaltsexperte Kindler den Vorstoß. "Mit einem Kuschelkurs mit der Wirtschaft, der soziale Fragen ausblendet, wird der ökologische Umbau schon im Ansatz scheitern." Seine Co-Autorin Dröge, wettbewerbspolitische Sprecherin der Fraktion, sagt: "Um die Klimakatastrophe noch abzuwenden, braucht es eine ökologische Revolution unserer Wirtschaft."
Wie diese Revolution vollzogen werden soll, haben Dröge und Kindler auf zwölf Seiten aufgeschrieben, die sie als "Beitrag zur innergrünen Debatte" bezeichnen. Ihre zentrale Botschaft: Eine grüne Wirtschaftspolitik funktioniert nur mit einem starken Sozialstaat und massiver Umverteilung. Die Grünen müssten den Vorwurf entkräften, dass sich den ökologischen Umbau der Wirtschaft nur reiche Menschen leisten könnten - weil alles, wo "bio", "öko" oder "fair" draufsteht, nun mal teurer ist.
Für die Pragmatiker bei den Grünen und weite Teile der politischen Konkurrenz dürften sich die konkreten Vorschläge wie ein Katalog des Grauens lesen. Dröge und Kindler fordern nicht nur höhere Investitionen in die soziale Infrastruktur (mehr Ganztagsschulplätze, mehr Kita-Plätze, eine Garantierente) und höhere Steuern auf Vermögen, Erbschaften, Einkommen und Kapitalerträge. Als besonderes Alleinstellungsmerkmal im Wettbewerb mit anderen Parteien preist das grüne Duo vor allem Maßnahmen an, "die gleichzeitig eine soziale und eine ökologische Lenkungswirkung" hätten.
"Großer Reichtum fördert einen verschwenderischen Luxuskonsum, der einen ebenfalls nicht nachhaltigen Statuskonsum der Mittelschichten nach sich zieht", schreiben die Grünen-Politiker. "Vermehrte lange Flugreisen, große, schnelle Autos und exotische Lebensmittel zu jeder Jahreszeit sind nur einige Beispiele für ein unökologisches Konsummuster der Eliten, das in Deutschland, aber auch in aufstrebenden Schwellenländern immer öfter kopiert wird." Deswegen gelte es, die Verteilungskrise und die Klimakrise gemeinsam zu beantworten.
Dröge und Kindler fordern unter anderem:
- einen "ökologisch-sozialen Stromtarif": Wer Strom spart, wird belohnt, hoher Verbrauch wird bestraft.
- einen Klimabonus für Wohngeldempfänger, damit sie sich energetisch sanierte Wohnungen leisten können. Die sogenannte Modernisierungsumlage, die Mieterhöhungen nach der Sanierung regelt, wird auf fünf Prozent begrenzt.
- weniger Autoverkehr in den Städten durch Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs, City-Maut oder Förderung von Radverkehr und Elektromobilität. So sollen sich gleichzeitig die Lärm- und Schmutzbelastungen für weniger Vermögende vermindern - die würden nämlich oft an Hauptverkehrsstraßen wohnen. Die Spritpreise gehörten "angemessen" erhöht, um Folgen für Umwelt und Klima abzubilden.
Die Autoren sind überzeugt: Von solchen Ideen bräuchten die Grünen mehr, um sie "politisch auch stärker nach vorne zu stellen". Allerdings räumen Dröge und Kindler auch ein, dass sich nicht alle Konflikte auflösen lassen. Beispiel Fleisch: Das müsste nach Öko-Maßstäben deutlich teurer werden. Oder Fliegen und Autofahren: Auch das sei heute viel zu billig. Dennoch, betonen die Autoren, dürften weder gutes Essen noch Mobilität zum Luxus werden.
Wie aber gegensteuern? Gefragt seien "kreative Maßnahmen", heißt es in dem Papier. "Doch ein Teil des Dilemmas wird sich durch politische Maßnahmen des Gesetzgebers und einen noch so guten Sozialstaat nicht auflösen lassen", schreiben die Abgeordneten. Und dann wolkig: "Hier hilft aus unserer Sicht dann nur eine ehrliche Grüne Debatte darüber, wo diese Zielkonflikte liegen, und die Einbettung der ökologischen Zielsetzung in ein soziales Gesamtkonzept."
Der Realo-Flügel wird diese Debatte sicher gerne führen.