Hartz-IV-Debatte Grüne Gönner

Robert Habeck
Foto: Dominik ButzmannBetrachtet man das Bild, könnte man meinen, Robert Habeck stehe in einem Maschinenraum. Er hält sich an einer Leiter fest, die an der Wand hängt, im Hintergrund hängen schwere Kabel. Aber es ist kein Maschinenraum - Habeck trägt keinen Bauarbeiterhelm, die Kabel sind Teil des Backstagebereichs auf einem Parteitag der Grünen.
Habeck als Anpacker - das soll das Bild suggerieren. Der Grünen-Chef leitet damit auf der Homepage der Partei einen Debattenbeitrag ein , es geht um Hartz IV, um die Abschaffung der Agendapolitik. Überschrift: "Anreiz statt Sanktionen, bedarfsgerecht und bedingungslos".
Warum machen die Grünen das?
Hartz IV hat ihnen, anders als der SPD, in ihrem öffentlichen Ansehen kaum geschadet. Sie haben ihre Kernklientel nicht vergrätzt, sie mussten sich - zumindest außerhalb ihrer eigenen Partei - nicht vor Diskussionen über die Agenda fürchten. Die meisten Wähler haben mit Hartz IV wenig zu tun, sie beziehen überdurchschnittlich hohe Einkommen.
Trotzdem will die Parteispitze das Thema als Schwerpunkt setzen.
In dem Beitrag schreibt Habeck, Hartz IV habe bis weit in die Mittelschicht zu Abstiegsängsten geführt, die das gesellschaftliche Klima vergifteten. Vermutlich seien sie auch einer der Gründe für den erstarkenden Rechtspopulismus.
Erster Punkt: Die Angst der Mitte
Am Montagmittag steht Habeck nach der Bundesvorstandssitzung seiner Partei auf dem Podium in der Bundesgeschäftsstelle in Berlin. Die grüne Spitze stellt montags immer die Themen vor, die sie gerade beschäftigen. Habeck beginnt mit Hartz IV. Er halte die Debatte für zentral, sagt er, auch über die konkrete Armutsbekämpfung hinaus. "Wie vertrauensvoll ist die deutsche Mittelschicht gegenüber der Zukunft? Auch das kann man ja messen - das Vertrauen, dass es unsere Kinder besser haben werden als wir, ist gegenüber den vergangenen Jahrzehnten stark erodiert", sagt Habeck. Er wolle versuchen, das besser zu machen.
Für die Grünen liegt hier ein wichtiger Punkt: Denn die Mittelschicht, das sind auch ihre Wähler. Die, die Angst haben, ihren Wohlstand nicht weiterzuvererben. Die, die etwas zu verlieren haben.
Die Analyse, das Versprechen vom Aufstieg gebe es nicht mehr, ist nicht neu. Seit der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten wabert es durch die Feuilletons als Erklärung für den Rechtsruck, für die Unzufriedenheit und die Wut der Mittelschicht in den USA und Europa.
Zweites: Grüne als Führungskraft der linken Mitte
Der zweite Punkt ist für die Grünen elementar: Sie wollen als "führende Kraft der linken Mitte", wie sie das selbst nennen, wahrgenommen werden. Dafür aber müssen sie das Image der Spartenpartei ablegen. Sie müssen sich also auch prominenter mit Fragen des Sozialstaats beschäftigen und nicht nur auf Ökologie setzen. Volkspartei statt Nischenpartei eben.
Denn nur mit der Ökologie sind die angestrebten 20 Prozent im Bund kaum machbar. Im nächsten Jahr wählen Sachsen, Thüringen und Brandenburg ihre Landtage. Ohne eine durchdachte Politik zum Sozialsystem werden die Grünen dort wohl kaum deutlich über die Fünfprozenthürde kommen. Das müssen sie aber, wenn sie ihre Basis weiter verbreitern wollen. Wenn sie in Wahlen dauerhaft besser abschneiden wollen als die SPD.
Gleichzeitig muss die Parteispitze die Flügelkämpfe im Blick behalten, traditionell stark in der Partei. Die sogenannten Realos sind die Pragmatiker, auf Bundesebene Schwarz-Grün zugeneigt. Sie gelten als eher konservativ. Der linke Flügel ist seit Jahren gegen Hartz-IV, will den Mindestlohn erhöhen und die Wirtschaft regulieren. Sie gelten als Idealisten.
Unter der neuen Führung spielen die Flügel zwar eine weniger wichtige Rolle, aber auf dem Parteitag in der vorvergangenen Woche verabredete man sich dennoch zu den traditionellen Flügeltreffen getrennt. Was sie eint, ist die Ökologie. Nicht die Sozialpolitik.
In der Sozialpolitik sind die Grünen gespalten
Durch die grüne Partei zieht sich in Sozialstaatsfragen seit Jahren ein Riss, der auch durch die Führungsspitze geht. Robert Habeck war bekannt für seine offene Haltung zum bedingungslosen Grundeinkommen - Co-Chefin Annalena Baerbock lehnte es ab.
Das neue Papier trägt zwar das Wort "bedingungslos" im Titel, ganz so soll es dann aber wohl nicht werden, zur Erleichterung vieler aus dem Realoflügel. "Nach wie vor gibt es eine Antragstellung, und die Bedürftigkeit muss nachgewiesen werden (Einkommens-/Vermögenssituation), sodass nur jene, die es brauchen, eine Garantiesicherung bekommen", heißt es darin.
So mancher Grüne ist nicht unbedingt gegen das System von Hartz IV. Aber seit Ende 2016 gibt es einen Parteitagsbeschluss, der besagt, dass die Partei sich gegen die Sanktionierung der Hartz-IV-Empfänger ausspricht.
Darauf aber, finden einige, baut ein Teil des Fördersystems auf. "Ich befürchte, dass manche Menschen abgehängt werden, wenn der Staat der Aktivierungsrolle nicht nachkommen kann", sagt etwa Ekin Deligöz, Haushaltspolitikerin und Abgeordnete der Grünen. "Zur Gerechtigkeit gehört aber auch genau dieses aktivierende Element", sagt sie.
In der Fraktionssitzung gab es Kritik an dem Papier - aber auch Lob
Die Fraktionssitzung am Montagabend war lebhaft - auch Habeck war da. Laut Teilnehmern gab es Kritik für den Vorstoß, aber auch viel Lob. Immerhin: Die Diskussion um das bedingungslose Grundeinkommen hat die Führung zumindest vorerst abgeräumt. Doch auch der Kostenpunkt dürfte noch für Kontroversen sorgen. Bisher hat die Parteispitze 30 Milliarden Euro für ihr Projekt veranschlagt.
Für die Parteispitze ist die Hartz-IV-Debatte wichtig, um sich als Konkurrenzpartei zur SPD zu positionieren. Für den parteiinternen Frieden aber, auf den sie in den vergangenen Monaten so stolz waren, könnte die Diskussion zur Gefahr werden.
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Video: Robert Habeck im Gespräch mit Susanne Beyer (DER SPIEGEL)