Grüne nach Scholz-Kandidatur Die Unerklärten

Olaf Scholz tritt an, na und? Die Grünen lassen offen, ob und wann sie einen Kanzlerkandidaten aufstellen - und vor allem: wer das sein soll. Ginge es nach der Basis, hätte wohl Annalena Baerbock gute Chancen.
Grünenchefin Annalena Baerbock, Co-Chef Robert Habeck (beim Parteitag in Bielefeld im November 2019)

Grünenchefin Annalena Baerbock, Co-Chef Robert Habeck (beim Parteitag in Bielefeld im November 2019)

Foto: Guido Kirchner/DPA

Um eines soll es an diesem Abend nicht gehen, sagt Arndt Klocke, der grüne Fraktionschef im nordrhein-westfälischen Landtag, nämlich darum, wer seine Partei in den Bundestagswahlkampf führen wird: Annalena Baerbock oder Robert Habeck. Damit aber hat er die Frage natürlich erst recht gestellt, zumindest in den Raum.

Klocke steht auf einer kleinen Bühne aus Holz in einem Biergarten in Köln, hinter ihm sind bunte Regenschirme aufgespannt, es ist Donnerstagabend, wenige Minuten zuvor hat es heftig geregnet. Auf einer Bierbank sitzt Annalena Baerbock. In Nordrhein-Westfalen finden in einem Monat Kommunalwahlen statt, die Grünenchefin ist auf ihrer Sommertour zur Unterstützung angereist.

"Wenn, wollen wir dich ja zur Bundeskanzlerin."

Arndt Klocke, Grünenfraktionschef im NRW-Landtag

Klocke erzählt, er habe auf dem Weg während einer Radiosendung gehört, wie NRW-Ministerpräsident Armin Laschet, der ja auch gern CDU-Vorsitzender und Bundeskanzler werden möchte, gefragt worden sei, wen er denn lieber zum Vizekanzler wolle: Habeck oder Baerbock. Er wendet sich an Baerbock: "Die Frage werden wir auch gar nicht stellen, weil wenn, wollen wir dich ja zur Bundeskanzlerin." Applaus und zustimmende Rufe aus dem Publikum.

Seit die SPD Olaf Scholz vor wenigen Tagen als Kanzlerkandidaten nominiert hat, wächst der Druck nicht nur auf die Union, sondern auch auf die Grünen, ihrerseits Klarheit zu schaffen. Zwar war die Personalie Scholz grundsätzlich erwartet worden, der frühe Zeitpunkt aber hat die Konkurrenz überrascht. Nun sieht die Lage so aus: Bei den Sozialdemokraten weiß der Wähler, wen er bekommt, die anderen müssen sich erst noch sortieren.

Baerbock während eines Besuchs beim Pharmakonzern Bayer in Leverkusen

Baerbock während eines Besuchs beim Pharmakonzern Bayer in Leverkusen

Foto: SASCHA STEINBACH/EPA-EFE/Shutterstock

Seit vielen Monaten wird darüber spekuliert, welcher der beiden Parteivorsitzenden die Grünen in die kommende Bundestagswahl führen wird. Auf Nachfragen erklären sie stets, es sei noch nicht an der Zeit, diese Frage zu beantworten. Die Grünen wollen sich nicht treiben lassen, schon gar nicht von der SPD. Sie halten einstweilen an ihrer Strategie fest, so lange wie möglich abzuwarten - mindestens bis ins nächste Jahr, am liebsten bis in den Frühling.

Das kann Vorteile haben: Die Partei will sich nicht blamieren. Die Bundestagswahl 2013 hat die Grünen gezeichnet, damals waren sie mit guten Umfrageergebnissen in den Wahlkampf gestartet, um dann bei ernüchternden 8,4 Prozent der Stimmen zu landen. Die Partei möchte die Möglichkeit haben, auf neue Umstände reagieren zu können: auf den neuen CDU-Vorsitzenden, der im Dezember gewählt wird, auf den Kanzlerkandidaten der Union, auf die Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg.

Es gibt aber auch Nachteile: Trotz Corona - der Wahlkampf dürfte schneller starten, als den Grünen lieb ist. Die Amtsinhaberin Angela Merkel wird nicht mehr kandidieren, und wenn sich abzeichnet, wer die Union in die Wahl führen wird, wird sich der Fokus auf jene Kandidaten richten, die schon feststehen. Scholz oder Laschet, Scholz oder der bayerische Ministerpräsident Markus Söder, Scholz oder Gesundheitsminister Jens Spahn. Dann laufen die Grünen Gefahr, im Abseits zu stehen.

Der erste Warnschuss kommt vom Umfrageinstitut Insa, die Demoskopen des Instituts sehen die Grünen wenige Tage nach der Scholz-Nominierung hinter der SPD, 15 Prozent zu 18 Prozent. Für die SPD ist es ein erstes, zartes Zeichen für die lang ersehnte Erholung, für die Grünen das Gegenteil.

Auf ihrer Sommerreise lässt sich Baerbock nichts anmerken. "Bisher sind wir mit unserem Kurs gut gefahren", sagt sie. Vor der Veranstaltung in Köln ist sie zu Gast bei Bayer, dem Chemiekonzern, dem unter anderem die umstrittene Saatgutfirma Monsanto gehört, die Pflanzen mithilfe von Gentechnik züchtet. Kein Ort, an dem die Grünen sich normalerweise zu Hause fühlen. Für den Normal-Grünen ist schon Bayer eine Zumutung, Monsanto aber schier unerträglich. Das Unternehmen hat etwa das Herbizid Roundup auf den Markt gebracht - Hauptwirkstoff ist der Pflanzenvernichter Glyphosat.

Baerbock scheint keine Probleme im Umgang mit Bayer zu haben. Sie spricht die unterschiedlichen Haltungen zu grüner Gentechnik an, aber sie ist dabei ausgesucht höflich. Darauf angesprochen, sagt sie, sie sei "kein Gast, der kommt und sagt, ich habe eine Liste von Kritikpunkten mitgebracht". Es sei nicht Zweck der Sommerreise, alte Meinungsverschiedenheiten wieder zu diskutieren, vor allem in Zeiten der Pandemie. "Für mich ist die entscheidende Frage, was können wir in Zukunft gemeinsam anders machen. Gar nicht so sehr als Grüne, sondern als Politik insgesamt."

Entscheidung liegt bei Habeck und Baerbock

Klingt staatstragend, Baerbock will zeigen, sie denke nicht nur grün, sondern über Parteigrenzen hinaus. Müsste ihre Partei entscheiden, hätte die beliebte Chefin wohl gute Chancen, Kanzlerkandidatin zu werden. Sie gilt als fachlich versiert und bodenständig. Sie ist ehrgeizig, und sie hat keine Angst davor, Macht einzufordern.

Nicht nur Baerbock, auch Habeck ist mit gesundem Selbstvertrauen ausgestattet. Mit dem Machtbegriff aber hadert er, als sei Macht etwas Unanständiges, etwas, das man nicht wollen sollte. Die Macht passt nicht zu seiner Selbstinszenierung als ewig lockerer Charmeur.

Podcast Cover

Die Partei aber wird nicht entscheiden, wer sie in den Wahlkampf führen soll, das sollen Baerbock und Habeck, Stand jetzt, unter sich ausmachen. Zu groß ist die Gefahr, dass sich die grüne Basis bei einem Duell spaltet. Die Person, die nicht zum Kanzlerkandidaten gekürt wird, soll dennoch eine große Rolle im Wahlkampf spielen - das geht besser ohne einen vorher ausgetragenen Kampf um Zustimmung.

Strategisch sind sich Baerbock und Habeck zumindest vorerst offenbar einig. Nicht vorpreschen, vorsichtig bleiben. Das Dilemma: Scheitert ihr Kalkül, wird nicht mehr auszumachen sein, ob die Vorsitzenden ihre Partei marginalisiert haben, oder ob es Hybris gewesen wäre, sich früher für einen Kandidaten zu entscheiden.

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