

Grüne auf dem Weg zur Macht Die Staatspartei


Etablierte Gesten: Robert Habeck und Annalena Baerbock
Foto: Kay Nietfeld/ dpaDie alten Sprüche ziehen nicht mehr, die Zeiten haben sich geändert, da muss man sich vielleicht mal etwas Neues ausdenken, das Alte zumindest ein wenig variieren. "Wir haben die Welt nur von unseren Kindern geliehen", mit diesem Satz seien die Grünen vor 40 Jahren angetreten, sprach die Parteivorsitzende Annalena Baerbock zum Parteitagsvolk in Bielefeld und fügte innovativ hinzu: "Heute ist unsere Aufgabe, sie ihnen zurückzugeben."
Auch für diesen Satz gab es reichlich Applaus für die am Ende mit Rekordergebnis wiedergewählte Baerbock, aber was sollte er wohl bedeuten? Baerbock war vor 40 Jahren noch nicht geboren, mithin also eines jener künftigen Kinder, die die Welt damals verliehen haben. Wenn sie den Globus nun zurückfordert, ist damit also ein Machtanspruch einer heutigen Generation von Grünen gemeint, die nun endlich das Sagen haben wollen, wo ihre Eltern früher nur gestrickt, gestillt, gekifft und gegen Atomkraft demonstriert haben? Oder wollte Baerbock, mittlerweile ausgewachsene Parteichefin, zum Ausdruck bringen, dass alle Macht nun auf die heutigen Kinder überzugehen habe, mutmaßlich also auf die "Fridays for Future"-Generation, die radikale Schritte zur Einhaltung des Pariser Klimaabkommens fordert? Aber haben nicht auch diese Kinder die Welt nur geborgt von den Kindern, die nach ihnen kommen?
"Links" ist keine Kategorie mehr für die Grünen
Es bleibt ein wenig unklar, klingt aber gut und jedenfalls neu und handlungsbereit. Co-Parteichef Robert Habeck hatte das Thema bereits in seiner Eröffnungsrede vorgegeben: "Aus Hoffnung Wirklichkeit machen", also endlich umsetzen, was früher nur theoretisiert wurde. Für manche mag das wie eine Drohung klingen, sie brauchen sich nicht zu fürchten. Eine Übernahme des Landes durch, dem rechten Kampfbegriff entsprechend, "linksgrün Versiffte" steht schon allein deshalb nicht bevor, weil in Bielefeld erkennbar niemand abstoßend ungepflegt und schlampig auf dem Podium stand. Und auch, weil "links" keine Kategorie mehr ist, die sich auf die heutigen Grünen anwenden lässt.
Da kann der CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt noch so besorgt in seiner sprachlichen Mottenkiste wühlen und den Grünen mal wieder vorwerfen, sie griffen "tief in ihre ideologische Mottenkiste". Da kann ihnen Dobrindts Parteichef Markus Söder mahnend den Marsch "in eine linke Ecke" vorhalten: Wenn der letzte Stammtischspruch geklopft, der nächste Wahlkampf geschlagen und der letzte Stimmzettel abgegeben ist, werden sie auch bei der CSU erkennen, dass die Grünen mehr denn je zum idealen Koalitionspartner der Union geworden sind. Tatsächlich sind sie heute neben der CSU wohl die einzige wahrhaft konservative, die eigentliche Staatspartei des Landes.
Bei allem Gestaltungsanspruch, den Baerbock und Habeck in Bielefeld formulierten, schien stets durch: Gestalten wollen die Grünen, um zu erhalten. Klimaschutz betreiben sie, damit es uns allen weiterhin gut geht und wir uns wohlfühlen können. Habeck forderte zwar explizit eine "Politik, die sich aus dem Status quo lösen will", eine "Politik der Ermöglichung", mit der "die großen Dinge nach vorne" getrieben werden sollen. Aber das erkennbar nur in Reaktion auf die postulierte Untätigkeit und Fantasielosigkeit der aktuellen Regierung.
Irgendjemand muss den Job ja machen
Die Grünen seien dafür zwar nicht gegründet worden, sie seien einst als Gegner des Systems angetreten, sagte Habeck, aber heute sind sie und die Verhältnisse andere: " Wir leben in der besten und freiesten Republik, die es jemals in Deutschland gab. Verteidigen wir diese Republik, und sorgen wir dafür, dass sie nicht faschistisch abgeräumt wird. Werden wir Verfassungsschützer!"
Irgendjemand muss den Job ja machen. Wenn ein tatsächlicher ehemaliger Verfassungsschutzpräsident heute aktiv die Rechtsverschiebung der Union bis hin zur Zusammenarbeit mit der AfD und ihrem teilweise antidemokratischen, umstürzlerischen Spitzenpersonal betreibt. Wenn sich die Vorsitzende der bisherigen Staatspartei CDU offenbar in so großen Nöten befindet, dass sie im Wochentakt verteidigungspolitische Schnapsideen ventilieren muss, um in der konservativen Debatte überhaupt noch wahrgenommen zu werden. Wenn die SPD erst einmal eine Spitze und dann vielleicht sich selbst wieder finden muss. Wenn die Liberalen zunehmend beleidigt wirkend am Rande stehen und bloß keine Verantwortung übernehmen wollen. Dann müssen eben die Grünen ran, sich um Wohlstand und Freiheit zu kümmern.
Im Video: Grünenparteitag in Bielefeld - Harmonie pur (zumindest fast)
Wer von den Grünen eine tatsächliche Veränderung der Republik erwartet oder befürchtet, kann sich also getrost wieder hinlegen. Habeck beginnt seine Parteitagsrede bravestmöglich mit dem Bericht von einem Gottesdienst, fordert sodann einen Republikanismus, den er als "ein Sich-Einlassen auf die Spielregeln dieses Landes" definiert, will die Marktwirtschaft ökologisch höchstens "neu justieren" und eine Menschheit, "die es als Reichtum begreift, in Meeren zu schwimmen, in Wäldern spazieren zu gehen, und unter den Bedingungen von Liberalität und Freiheit miteinander Aushandlungsprozesse zu haben". Ist doch schön.

Grüne Baerbock, Göring-Eckardt, Habeck in Bielefeld
Foto: DPA / Guido KirchnerZum virtuellen Waldspaziergang treffen sich dann auch die beiden Parteivorsitzenden und die Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt auf dem Podium, dessen Hintergrundbild den Eindruck vermittelt, man habe sich auf einer Lichtung versammelt. Habeck ist schwarz gekleidet, Göring-Eckardt in Rot, Baerbock in Gelb, dieses offenbar mit Bedacht inszenierte Bild steht wie kein anderes für die Grünen 2019 auf dem Weg zur Macht: Schwarz-rot-goldene Idylle vor künstlich natürlicher Kulisse. Auf dem ikonischen Foto scheinen die beiden Damen ihren Robert geradezu anzuhimmeln. Vor den Mund hält Habeck ein Mikrofon. So ganz ohne Ton möchte man meinen, er singe das Deutschlandlied.