Die Republik streitet über die Strategie der Impfstoffbeschaffung, aber die Grünen finden die Kritik unangemessen. Die Oppositionspartei keilt gegen die SPD und stellt sich an die Seite der Union – als seien sie bereits Koalitionspartner.
Twitter, Anfang Januar 2021. Wer in der virtuellen Berlin-Blase unterwegs ist, könnte glauben, die Grünen seien Teil der Regierung, und die SPD sei in der Opposition.
Die Grünen kritisieren die Sozialdemokraten, weil sie an der Impfstoffstrategie von Kanzlerin Angela Merkel und CDU-Gesundheitsminister Jens Spahn herummäkeln.
Die SPD zerstöre damit das Vertrauen in die Demokratie, empört sich der grüne Umweltminister von Schleswig-Holstein, Jan-Philipp Albrecht, in einem Tweet. Sein Landesvorsitzender Steffen Regis wirft den Sozialdemokraten »Impfstoffnationalismus« und »Coronapopulismus« vor.
Das Impfchaos in Deutschland sorgt für Wut, Unverständnis und Angst. In der Bevölkerung, in Parteien und Medien.
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Die SPD hat der CDU einen Katalog mit durchaus legitimen Fragen überreicht. SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil hat gesagt, es könne nicht sein, dass es in Deutschland, wo der Impfstoff erforscht worden sei, »zu wenig Dosen« davon gebe.
Klar, eigentlich ist so etwas Aufgabe der Opposition, nicht einer Regierungspartei.
Grüne werden geräuschlos regieren
Die Grünen finden das Verhalten der SPD in der Großen Koalition unangemessen, fast unanständig. Viele Grüne halten es für falsch, zu diesem Zeitpunkt die Regierung so in Bedrängnis zu bringen. Sowohl als Regierungs-, aber eben auch als Oppositionspartei.
So üben sie nur spärlich Kritik an der Union, dafür umso heftiger an der SPD. »Der Streit der GroKo ist wirklich erbärmlich«, sagte Parteichef Robert Habeck dem Sender n-tv. Wären die Grünen Teil der Regierung, hätten sie das »besser hinbekommen«, sie hätten sich »solidarisch hinter die Aufgabenverteilung gestellt«.
Erst danach folgt die Kritik. Die Impfstrategie sei zwar in Ordnung, die Umsetzung aber »hundsmiserabel«.
Wie die Grünen regieren werden, lässt sich in diesen Tagen vorausahnen: Werden sie (Junior-)Partner der CDU, wird es wohl geräuschlos. Sie sehen sich jetzt schon nicht mehr als Oppositionspartei, sie pflegen den neuen Stil eines angeblich konstruktiven Miteinanders. Sie sind die freundlichen Grünen von nebenan, die in der Krise selbstredend staatsmännisch agieren.
»In so einer Pandemie kannst du nicht platt Opposition spielen«, sagte Fraktionschef Anton Hofreiter dem SPIEGEL. Die Abgeordnete Manuela Rottmann veröffentlichte einen Blogbeitrag zu der Frage, ob sie als Oppositionspartei die Fehler der Regierung offen benennen müssten. Sie schrieb: »Ja, das muss man.« Aber das machten die Grünen seit vielen Monaten, »nicht selten ohne große öffentliche Resonanz, weil die Kritik in der Regel ziemlich sachlich und konstruktiv ausfällt«. Es sei »verführerisch (…), der Öffentlichkeit bei jeder Gelegenheit Krawall zu bieten«. Aber es sei »nicht verantwortungsvoll«.
Grüne tun sich mit inhaltlicher Kritik schwer
Aber die Grünen haben nicht nur Probleme mit der Rolle der Hau-Drauf-Oppositionspartei, sie haben sich in den vergangenen Tagen auch mit inhaltlicher Kritik schwergetan.
Die EU wollen sie nicht kritisieren, auch, weil sie sich als Freunde der EU verstehen. Franziska Brantner, europapolitische Sprecherin der Fraktion, sagte dem SPIEGEL, es sei zu früh, das Verhalten der Kommission zu beurteilen, aber natürlich müsse man schauen, wo Fehler gemacht worden seien. »Es ist ein bisschen wohlfeil, die Entscheidungen von damals mit dem Wissen von heute zu kritisieren«, sagte sie, »vor allem, wenn man Teil der Regierung ist.«
Dazu kommt, dass die Grünen in elf Bundesländern mitregieren. Wenn sie den Bund und die Umsetzung der Impfstoffstrategie kritisieren, ist das auch immer ein Vorwurf an die eigenen Landespolitiker. Schließlich sind die Länder für die Verteilung der Impfstoffe zuständig.
Janosch Dahmen, Arzt und erst seit Kurzem Bundestagsabgeordneter, sagte in einem Interview mit dem Deutschlandfunk, die Bundesregierung habe »zu spät« reagiert. Er sorge sich, dass die Maßnahmen nicht ausreichten. Für die Grünen liegt hier die Krux: Weil sie Teil von elf Landesregierungen sind, tragen auch sie Verantwortung für die Maßnahmen, die Dauer und die Härte. Die Landesregierungen entscheiden darüber schließlich gemeinsam mit der Bundesregierung. Dieses Mitentscheidungsrecht wollen die Länder sich nicht nehmen lassen.
Nicht alle Grünen sind zufrieden mit dieser Rolle, aber öffentlich äußert keiner Kritik. Über die Hörigkeit der Grünen in den Ländern haben sich die Bundesgrünen vor nicht allzu langer Zeit noch echauffiert.
Es war im Sommer 2020, als die Bundesgrünen äußerst unzufrieden über die hessischen Grünen waren, die während des rechtsextremen Polizeiskandals im Land keine Kritik am Koalitionspartner CDU und am Innenminister Peter Beuth äußerten. Die »Zeit« zitierte damals die Bundesspitze, ohne jemanden namentlich zu nennen: Von einer »gewöhnungsbedürftigen Strategie« sei die Rede gewesen. Es könne nicht sein, dass man »rede wie die CDU«.
Wie die CDU klingen sie auf Bundesebene mittlerweile auch.