Sebastian Fischer

Die Lage: Superwahljahr 2021 Was macht eigentlich... Armin Laschet?

Sebastian Fischer
Von Sebastian Fischer, Leiter des SPIEGEL-Hauptstadtbüros

Liebe Leserin, lieber Leser,

heute gehen wir auf die Suche nach einem gescheiterten Kanzlerkandidaten, der noch immer CDU-Chef ist. Außerdem schauen wir auf den Start der rot-grün-gelben Koalitionsverhandlungen sowie eine Umfrage zu Angela Merkels Abschied.

Laschet sagt leise Servus

Diese Wochen nach der Bundestagswahl hätten ein Anfang sein können, der größtmögliche Karriereschritt, ein Durchbruch. Doch Armin Laschet wird ja nun nicht Kanzler. Sondern Politrentner. Oder?

Laschets 60 Jahre sind für einen Politiker noch kein Alter, doch überall stehen die Zeichen auf Abschied. Von 100 auf 0 in wenigen Wochen.

In Berlin müht sich Laschet, den Nachfolgeprozess in der Partei zu moderieren. Am Samstag treffen sich die mehr als 300 CDU-Kreisvorsitzenden in einem Hauptstadthotel, um zu beraten, wie viel Basisbeteiligung es denn sein darf bei der Wahl des vierten Vorsitzenden innerhalb von vier Jahren.

Am kommenden Dienstag dann wird der Parteivorstand das Votum der Kreisvorsitzenden aufnehmen und einen Fahrplan vorlegen. Ziel ist die Klärung der Führungsfrage noch in diesem Jahr. Der Weg dahin bleibt bislang: unklar.

In Düsseldorf darf der »Ministerpräsident a.D.« an diesem Mittwochmittag noch eine Abschiedsrede halten (»Es war mir eine Freude, eine Ehre, Glückauf«), bevor er seinen bisherigen Verkehrsminister Hendrik Wüst zum eigenen Nachfolger (mit-)wählt.

Parallele Leben: Laschet wirkt im Plenum des Landtags gedämpft, irgendwie traurig. Dagegen der mit seinen grün-gelben Regierungspartnern in spe giggelnde Olaf Scholz bei der konstituierenden Sitzung des Bundestags am Dienstag – welch Unterschied. Beide Männer haben ihre politischen Karrieren eingesetzt. Scholz hat gewonnen, Laschet hat verloren.

Unter den gescheiterten Kanzlerkandidaten nimmt Armin Laschet in der deutschen Geschichte damit eine eher seltene Rolle ein:

  • Er kehrt nicht wieder zurück in sein bisheriges politisches Leben als Ministerpräsident, wie das einst Edmund Stoiber, Johannes Rau oder Franz Josef Strauß taten.

  • Er wird keine zweite Chance auf eine Kandidatur erhalten wie Willy Brandt, Helmut Kohl oder Erich Ollenhauer.

  • Ihm steht keine zweite Karriere als Bundesminister bevor wie Rudolf Scharping oder Rainer Barzel.

  • Er wird nicht Parteichef werden wie Hans-Jochen Vogel oder Oskar Lafontaine.

  • Und Bundespräsident wie Frank-Walter Steinmeier? Wohl kaum.

Nein, Laschet wird wohl das Schicksal einer kleinen Minderheit der Kandidaten teilen: den Abschied von der großen politischen Bühne, so wie Martin Schulz und Peer Steinbrück vor ihm. Fürs Erste ist er nun einfacher Unionsabgeordneter im Bundestag. Der gescheiterte Kanzlerkandidat als Hinterbänkler.

Eine Koalition wird gemacht

Seit diesem Mittwoch läuft die sogenannte Arbeitsgruppenphase bei den Ampel-Koalitionsverhandlungen: In 22 Arbeitsgruppen mit 300 Mitgliedern von »Moderner Staat und Demokratie« bis zu »Finanzen und Haushalt« sollen die Inhalte des rot-grün-gelben Vertrags so weit als möglich geklärt werden; bevor nach dem 10. November die Hauptverhandler übernehmen, um das Bündnis bis Ende November über die Ziellinie zu bringen.

Zu diesen Hauptverhandlern gehören neben dem Kanzlerkandidaten unter anderem die Parteivorsitzenden, Generalsekretäre und weitere Experten. Für Kalenderwoche 49 – also rund um Nikolaus – soll der neue Kanzler gewählt werden. So weit die Theorie, jetzt läuft der Praxistest.

Gut möglich übrigens, dass in den Arbeitsgruppen schon die künftigen Ministerinnen und Minister sitzen und somit ihre eigene Agenda mitverhandeln. Wie heißt es so schön: erst die Inhalte, dann die Personalfragen. Schon klar. Zwinkersmiley.

Was wir allerdings hier schon mal feststellen können: Der künftige Finanzminister fehlt in der Finanz-AG. Denn weder Grünenchef Robert Habeck noch der FDP-Vorsitzende Christian Lindner sind dort vertreten.

Die beiden lieferten sich in den vergangenen Tagen schon ein Steuer-Pingpong. Während Habeck (gemeinsam mit Scholz) bei »Anne Will« darauf verwies, dass Entlastungen von kleinen und mittleren Einkommen nur bei steigenden Steuereinnahmen möglich seien. Da die FDP aber Steuererhöhungen (für Besserverdienende) verhindere, fehle dafür der Spielraum.

Finden sie in der FDP gar nicht lustig. Lindner hat es so ausgedrückt: »Wir halten auch unverändert für wünschenswert, dass kleinere und mittlere Einkommen entlastet werden.« Aber SPD und Grüne »binden steuerliche Entlastungen an Erhöhungen anderswo, was wir mit Blick auf die notwendige wirtschaftliche Erholung unseres Landes nicht für richtig halten«.

Tja, warten wir’s ab. Und bis dahin: bleibt die Regierung Merkel geschäftsführend im Amt.

Feierstunde der Demokratie

»Das Amt des Bundeskanzlers oder eines Bundesministers endigt in jedem Falle mit dem Zusammentritt eines neuen Bundestags« – so steht es in Artikel 69 Grundgesetz.

Deshalb saß Angela Merkel am Dienstag bei der konstituierenden Sitzung des Parlaments nicht auf der Regierungsbank. Und weil sie auch kein Abgeordnetenmandat mehr hat, nahm sie oben auf der Besuchertribüne neben dem Bundespräsidenten Platz.

Bei der nächsten Sitzung des Bundestags werden Merkel und ihre Kabinettsmitglieder allerdings wieder unten auf der Regierungsseite sitzen. Denn der Bundespräsident hat sie ersucht, die Amtsgeschäfte bis zur Ernennung des Nachfolgers weiterzuführen. Damit ist Merkel nach Kurt Georg Kiesinger erst die/der zweite Kanzler/in ohne Bundestagsmandat – wenn auch nur in kommissarischer Funktion.

Mich hat übrigens die Rede von Wolfgang Schäuble als Alterspräsident des Parlaments beeindruckt – insbesondere das Plädoyer gegen alle Spielarten der Klientel- und Identitätspolitik.

  • »Verwechseln wir Repräsentation nicht mit Repräsentativität«, mahnte Schäuble: Die einzelnen Abgeordneten bildeten nicht einfach einen Teil des Volkes ab, sondern seien Vertreter des ganzen Volkes.

  • Schäuble weiter: »Auch wenn sich die gewachsene Vielfalt unserer Gesellschaft in der Volksvertretung wiederfinden soll – der Bundestag wird nie ein exaktes Spiegelbild der Bevölkerung sein. Wer Repräsentation mit Repräsentativität gleichsetzt, wird eine Fülle eklatanter Abweichungen finden: in beruflicher, in regionaler, in kultureller oder religiöser Hinsicht

  • Durch eine solche Gleichsetzung aber werde »dem irrigen Verständnis« Vorschub geleistet, »dass gesellschaftliche Gruppen nur durch ihre eigenen Angehörigen vertreten werden könnten.« Sein Fazit: »Unsere repräsentative Demokratie beruht auf der politischen Gleichheit aller Bürgerinnen und Bürger – ohne Rücksicht auf ihre soziokulturellen Merkmale.«

Genau so ist es – sofern dieses Plädoyer für Gleichheit nicht als Plädoyer gegen Vielfalt missverstanden wird.

Der Wahlkreis der Woche: #115

Die neue Bundestagspräsidentin Bärbel Bas vergaß in ihrer ersten Rede nicht, ihre Heimat Duisburg zu erwähnen: Die Vielfalt sei eine Chance für uns alle, sagte die SPD-Politikerin, die im Bundestag zur Minderheit der Nichtakademiker und Nichtabiturienten gehört.

Ihren Wahlkreis Duisburg I gewann die bisherige Gesundheitspolitikerin Bas mit 40,3 Prozent der Erststimmen und holte damit etwa doppelt so viele Stimmen wie der zweitplatzierte CDU-Bewerber.

»Duisburg, wo ich geboren bin, hat übrigens auch noch nicht erlebt, dass ein Kind der Stadt in ein so hohes Staatsamt gewählt wurde«, sagte Bas und schob lächelnd hinterher: »Das musste ich jetzt einmal zwischendurch loswerden.«

Stimmt. Hohe Funktionen erreichten bisher etwa die Grüne Anja Hajduk als Hamburger Umweltsenatorin (2008 bis 2010) oder die CDU-Politikerin Sabine Weiss als Parlamentarische Staatssekretärin bei Gesundheitsminister Jens Spahn (seit 2018).

Die Sozialdemokratin Helga Kühn-Mengel war Patientenbeauftragte der Bundesregierung (2004 bis 2009). Die CDU-Politikerin Aenne Brauksiepe war Bundesfamilienministerin unter Kanzler Kiesinger. Und SPD-Frau Luise Albertz Oberbürgermeisterin von Oberhausen (1946 bis 1948).

Fällt Ihnen etwas auf? Genau, das sind alles Frauen. In Duisburg und aus Duisburg heraus machen offensichtlich insbesondere Frauen Karriere. Horst Schimanski bleibt eine Ausnahme.

Was die Umfragen sagen

Offenbar werten die meisten Deutschen die Sondierungsgespräche der Ampelpartner als Erfolg für die FDP – und rechnen damit, dass sich am Ende der Koalitionsverhandlungen die Liberalen am stärksten werden durchsetzen können.

Einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey für den SPIEGEL zufolge erwartet das jeweils eine Mehrheit der Anhängerinnen und Anhänger von FDP, Linken, Unionsparteien, Grünen und SPD; unter AfD-Sympathisanten halten sich in dieser Frage FDP und Grüne die Waage. Besonders interessant ist das recht hohe Zutrauen der FDP-Anhänger sowie jener von Grünen und Union.

Die Hälfte der Deutschen gibt an, Angela Merkel nach ihrer Amtszeit als Bundeskanzlerin nicht zu vermissen.

Die Vermissenserwartung ist bei Anhängerinnen und Anhängern von Unionsparteien und Grünen am stärksten ausgeprägt. Aber selbst bei den Linken-Sympathisanten gibt noch nahezu jeder Dritte an, Merkel künftig zu vermissen.

In der Sonntagsfrage gibt es wenig Bewegung. Die SPD liegt weiterhin klar vor CDU und CSU. Um den dritten Platz kämpfen Grüne, FDP und AfD. Die Linke klebt an der Fünf-Prozent-Marke.

Der Social-Media-Moment der Woche ...

... gehört Peter Altmaier. Der Saarländer hat für Jüngere auf sein Bundestagsmandat verzichtet – und verpackte seinen Abschiedsschmerz am Dienstag in einen sympathischen und auch selbstkritischen Tweet. Sein »Sorry für Fehler«  bescherte Altmaier bislang mehr als 23.000 Likes für den Tweet.

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Herzlich,
Ihr Sebastian Fischer

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