Linke Identitätskrise Der Hipster-Konflikt

Parteichefin Kipping: "Regierung wagen"
Foto: Gregor Fischer / dpaDer traditionelle Jahresauftakt der Linksfraktion im ehemaligen Ostberliner Kino Kosmos hat mehrere Funktionen. Zum einen geht es darum, dass sich die Sozialisten und Altkommunisten, die morgens am Zentralfriedhof Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht gedacht haben, noch ein wenig aufwärmen können. Zum anderen ist die Feier stets ein Seismograf für die Gefühlslage der Genossen.
In den vergangenen Jahren stritten die Linken etwa über Flüchtlingspolitik – oder Sahra Wagenknechts Sammlungsbewegung "Aufstehen". So wie die Reden der Parteiprominenz am vergangenen Sonntag klangen, haben die Linken derzeit vor allem ein Problem: die Grünen.
"Wir brauchen keine zweite grüne Partei" – kaum ein Satz fiel häufiger an diesem Nachmittag, in unterschiedlichen Schattierungen. Jan Korte sagte ihn zuerst. "Wer das Klima retten will, muss sich mit den Konzernen anlegen", rief der Parlamentarische Geschäftsführer. Das sei es, was die Linken "fundamental" von den Grünen unterscheidet.

Linke-Fraktionschef Bartsch: Einschränkungen für die kleinen Leute?
Foto: Christian Spicker via www.imago-images.de/ imago images/Christian SpickerEx-Parteichef Oskar Lafontaine ging sogar noch einen Schritt weiter: Die Grünen hätten für Kriege und Waffenlieferungen gestimmt, sagte er. "Diese Partei hat kein Herz für Arbeiter und Arbeitslose. Wir dürfen sie auf gar keinen Fall kopieren."
Die Grünen und deren Milieu, das klang auf unterschiedliche Weise bei den Auftritten von Korte, Lafontaine, Ex-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht, und auch bei dem amtierenden Fraktionsvorsitzenden Dietmar Bartsch durch, bedeuteten für die kleinen Leute Einschränkung, beim Fleisch, beim Auto, durch die Forderungen nach "korrektem Sprechen".
Unterstützung für Mitte-links wächst
Die Frontalattacken kommen ausgerechnet zu einer Zeit, in der das Ziel einer Mitte-links-Regierung mit SPD und Grünen in der Partei immer breitere Unterstützung erfährt. Reformer wie Korte und Bartsch kämpfen ohnehin seit Jahren für Rot-Rot-Grün. Parteichefin Katja Kipping forderte etwa Ende des Jahres, die Linke müsse endlich "Regierung wagen". Das Lager der Fundamentaloppositionellen schrumpft kontinuierlich.
Wenn die Linken im Bund gestalten wollen, haben sie nur eine Chance: Rot-Rot-Grün. Wenn man so will, müsste die Stärke der Grünen für sie eigentlich ein Hoffnungsschimmer sein.
Doch so einfach ist des nicht. Natürlich sind die Grünen auch Konkurrenz, gerade in Großstädten, wo beide Parteien in linksliberalen Milieus punkten. Doch während die Grünen in Zeiten großer klimapolitischer Fragen massiv von der Schwäche der SPD profitieren, verharren die Linken abgeschlagen im einstelligen Bereich.
Die Frage für die Linken lautet jedoch: Wie gehen sie damit um? Es ist eine Frage, die Teil ist der großen Identitätsdebatte, die die Genossen derzeit führen – und für die sie bis zur Strategiekonferenz Ende Februar Antworten finden wollen.
Zwei Lager bei den Linken
Grundsätzlich tun sich bei den Linken in dieser Angelegenheit zwei Lager auf. Die Linksaußengruppe um Wagenknecht und Lafontaine fordert eine Rückbesinnung auf traditionelle Wählerschichten, auf Arbeiter und Arbeitslose. Die Linke solle die "Partei derer sein, denen es in diesem Land mies geht", sagte Wagenknecht im Kosmos. Ähnlich sehen es einiger Reformer um Bartsch und Korte. Sie alle setzen auf starke Abgrenzung zum bildungsbürgerlichen Grünen-Milieu.
Zugrunde liegt die Annahme, dass die dort vorherrschenden Themen und Wünsche eher abschreckend wirken auf das klassische Klientel, vor allem in der ostdeutschen Fläche. Wenngleich Lafontaine und Co. tatsächlich Vorbehalte gegen die Grünen antreiben dürfte. Sie galten über die Jahre hinweg als Warner vor allzu großer Bündniseuphorie bei den Linken.
Korte wiederum, einst selbst bei den Grünen, skizzierte erst kürzlich im SPIEGEL , wie in seinen Augen eine rot-rot-grüne Allianz funktionieren könnte. Korte betonte, alle drei Parteien müssten ihr spezifisches Klientel bedienen und in die Koalition mitbringen, damit es zu einer Mehrheit reicht. Auch so, also mit strategischen Überlegungen, kann man den Wunsch nach Differenzierung erklären.
Auf der anderen Seite stehen Leute, die es für fahrlässig hielten, wenn die Linken nicht bei den Grünen wilderten - ohne die potenziellen Partner dabei zu hart anzugreifen. Prominenteste Vertreterin ist Parteichefin Katja Kipping, die bei den Linken in den vergangenen Jahren zentrale Figur in den großen Grabenkämpfen mit der Fraktionsspitze war. Wenn die Linken über Milieus und die Grünen reden, dann ist das natürlich auch nach innen gerichtet, dann reden sie indirekt immer ein bisschen auch über Kipping und deren Leute.
"Es ist nicht richtig, das eine gegen das andere auszuspielen", sagte etwa Axel Troost dem SPIEGEL. Der Parteivize fordert mit anderen in einem Papier zur Strategiedebatte, die Linke müsse "aus einer Verteidigerin sozialer Interessen in Zeiten der Defensive zu einer Vorkämpferin für eine umfassende sozialökologische Transformation" werden. Die Entgegensetzung von "urban-zivilgesellschaftlichen Milieus" und "traditionellen Arbeitermilieus" halte man für falsch.
In der Fraktionssitzung am Dienstag, so ist es später zu hören, seien die Reden im Kosmos nochmals Thema gewesen. Kritik habe es gegeben, andere wiederum hätten sie verteidigt. Ein Ergebnis gab es auch hier nicht.
Die Kernfrage bleibt also offen: Kann die Partei Hipster-Linke ansprechen ohne die Malocher zu vergraulen - oder muss sie sich am Ende entscheiden?