Wahlpleite in Niedersachsen Linke schrumpft zur Ostpartei

Spitzenteam: Acht Genossen für den Bundestagswahlkampf
Foto: Stephanie Pilick/ dpaHamburg/Berlin - Es ist ein großes Zusammenrücken bei der Linken für die Fotografen, in Mannschaftsstärke sind die Genossen am Montagnachmittag angetreten, die meisten lächeln artig in die Kameras: Gleich acht Spitzenkandidaten will die Linke für die Bundestagswahl aufstellen. "Unsere Köpfe für einen wirklichen Politikwechsel", sagt Parteichefin Katja Kipping und lächelt, als sie das Team im Verlagshaus der parteinahen Zeitung "Neues Deutschland" vorstellt.
Gregor Gysi verzieht hingegen keine Miene. Der Fraktionschef der Linken im Bundestag wollte eigentlich lieber alleiniger Spitzenkandidat sein. Er wehrte sich erfolgreich gegen eine Doppelspitze mit Parteivize Sahra Wagenknecht. Das passte wiederum Co-Parteichef Bernd Riexinger nicht.
Experten für Quotierung
Trotzdem spricht Gysi am Montag von einer "guten Lösung", das Team sei eine spannende Idee: "Ich freu mich richtig drauf." Neben Gysi und Wagenknecht gehören dazu: Fraktionsvize Dietmar Bartsch, Ex-Parteichef Klaus Ernst, Parteivize Caren Lay und die Bundestagsabgeordneten Jan van Aken, Diana Golze und Nicole Gohlke.
Die Experten für Quotierung haben in der Linken also mal wieder ganze Arbeit geleistet: Acht Spitzenkandidaten - vier Männer, vier Frauen, vier Vertreter aus dem Osten, vier aus dem Westen.
Schon jetzt gibt es in der Partei Zweifel daran, ob dieser Schritt gelungen ist. "Ich weiß nicht, was das soll", sagte etwa Bundesschatzmeister Raju Sharma SPIEGEL ONLINE. Es sei schwierig, ein Team von acht Kandidaten wahlkampftechnisch umzusetzen. Auf ihn wirke diese Lösung "wie ein mathematisch zusammengebasteltes Team".
Die Entscheidung für die achtköpfige Mannschaft erinnert stark an das Vorgehen vor ziemlich genau drei Jahren. Damals präsentierte Gysi die Kandidaten für den späteren Parteivorstand - quotentechnisch passte damals alles, ansonsten stellte sich das Tableau als Fehlbesetzung heraus. Die damaligen Parteichefs Gesine Lötzsch und Klaus Ernst taten sich schwer, sorgten regelmäßig für Streit und Verwirrung und traten später auch nicht mehr zur Wiederwahl an.
Warum, so könnte man jetzt fragen, wird Ernst zwingend für den Wahlkampf gebraucht, wenn er schon als Parteivorsitzender in weiten Teilen der Linken unbeliebt war? Warum, nächste Frage, mischt Fraktionsvize Dietmar Bartsch jetzt doch in der Spitzenmannschaft mit, obwohl er eine solche Teamlösung zuletzt noch als "innerparteiliche Befriedungsmaßnahme" kritisiert hatte? Die einfache Antwort: Es passt, weil es zum Quotendenken in der Linken passt. Bartsch ist Ostdeutscher und gehört zum pragmatischen Parteiflügel. Ernst ist Westdeutscher und vertritt den Teil der Linken, der die SPD mehr als Gegner denn als möglichen Partner sieht.
Die Teamlösung ist vor allem auch eine Notlösung: Weder Gysi noch Wagenknecht sollten düpiert werden, also gibt es jetzt Gysi plus Wagenknecht plus sechs weitere Genossen. Damit sollten nicht nur die Geschlechter, sondern auch die Generationen und Strömungen innerhalb der Linken repräsentiert werden, sagte Kipping. "Volle Kraft für einen Politikwechsel im September!", so heißt es jetzt auf der Homepage der Linken, dazu das Foto der acht Genossen.
Sorge um die Zukunft der Linken im Westen
Volle Kraft? Bei der Landtagswahl in Niedersachsen hatte die Partei am Sonntag eine neuerliche Bruchlandung hingelegt. Zwar hatten in der Parteizentrale nur noch Genossen mit ausgeprägtem Hang zum Optimismus mit einem Wiedereinzug der Linken in den niedersächsischen Landtag gerechnet, dennoch ist die erneute Pleite bei einer Landtagswahl ein weiterer Rückschlag für die Partei: "Der Start in das Bundestagswahljahr ist schmerzhaft missglückt", heißt es in einer Analyse von Horst Kahrs, Mitarbeiter in der parteinahen Rosa-Luxemburg-Stiftung. Die Linke, so Kahrs weiter, habe in Niedersachsen "unterm Strich in alle Richtungen" verloren - vor allem an die Nichtwähler, aber auch an Grüne, SPD, CDU und Piratenpartei.
Im Westen sieht es für die Partei, die sich ausdrücklich als gesamtdeutsches Projekt versteht, zunehmend dünn aus: Vor Niedersachsen gingen bereits Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein verloren, auch in Bayern, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz ist die Linke nicht in Landtagen vertreten. Dazu passt die verbreitete Haltung unter vielen Wählern: Die Linke sei eine "Ost-Partei, die im Westen nicht gebraucht wird", sagten dem Umfrageinstitut Infratest zufolge zuletzt immerhin 47 Prozent der Befragten.
Bei der Bundestagswahl mag es für die Linke noch einmal gutgehen, in bundesweiten Umfragen liegt sie stabil bei sieben bis acht Prozent. Dennoch ist die Partei auf lange Sicht durch die Schwäche im Westen in ihrer Existenz gefährdet.
Auf jeden Fall droht ihr die Rückentwicklung zu einer Ostpartei, wie es die PDS einst war. Diese Zeiten wähnten die Genossen hinter sich, als sich die ostdeutsche Linkspartei.PDS und die westdeutsche WASG 2007 zur Linken zusammenschlossen. Die Serie von Niederlagen bei den vergangenen Landtagswahlen macht aber deutlich, dass etwas schiefgelaufen ist beim Parteiaufbau. "Wir sind im Westen nicht flächendeckend kommunal verankert, das ist ein Problem", sagte Bundesschatzmeister Sharma SPIEGEL ONLINE. Die Partei müsse die im Osten bestehenden Strukturen auch im Westen aufbauen. "Nur so ist die Partei auf Dauer überlebensfähig."