Kampfansage vor Linken-Parteitag
So ringen die Bartsch-Genossen um ein bisschen Macht
Die Linken rühmen sich für ihren reibungslosen Machtwechsel. Susanne Hennig-Wellsow und Janine Wissler sollen bald den Vorsitz übernehmen. Doch kurz vor ihrer Wahl zeichnet sich ein Kampf in der zweiten Reihe ab.
Bei den Linken passiert gerade etwas Sonderbares: An der Spitze der Partei steht ein Machtwechsel an – und die sonst so streitlustigen Genossen sind sich diesmal ziemlich einig.
Das war im Grunde schon klar kurz nachdem die beiden Frauen im September ihre Kandidatur erklärt hatten. Es fand sich schlicht niemand, der es mit den Politikerinnen aufnehmen wollte.
Alles prima also? Nicht ganz.
Frust macht sich breit
Seit Monaten macht sich hinter den Kulissen bei den Genossen Frust breit. Allen voran bei den einstmals Ton angebenden Lagern in der Partei: den Traditionslinken um Sahra Wagenknecht – und den Reformern von Fraktionschef Dietmar Bartsch.
Die Wagenknecht-Linken konnten bei der Führungsfrage überhaupt kein Wort mitreden. Die Bartsch-Reformer hätten am liebsten den Parlamentarischen Geschäftsführer Jan Korte an der Parteispitze gesehen. Doch der winkte dankend ab.
Seither ringen beide Gruppen darum, im künftigen Vorstand überhaupt noch eine relevante Rolle zu spielen. Doch vor allem Hennig-Wellsow macht bislang wenig Anstalten, die alten Machtblöcke über ein Mindestmaß hinaus einzubinden. Zuletzt sprachen im Dezember Bartsch-Vertraute bei der thüringischen Landesvorsitzenden vor. Eine Verständigung gab es nicht.
Offene Konfrontation
All das hat ernste Folgen für den innerparteilichen Frieden. Die Bartsch-Reformer suchen nun die offene Konfrontation beim Parteitag. Die Folge ist eine Art innerparteilicher Stellvertreterkrieg.
Denn der Kampf um Einfluss wird nicht in Reihe eins ausgetragen – sondern dahinter. Es geht um den Posten des Bundesgeschäftsführers, den bislang Jörg Schindler innehat. Nach dem Willen von Hennig-Wellsow und Wissler soll das auch so bleiben.
Kandidiert als Bundesgeschäftsführer bei den Linken: Thomas Westphal
Doch jetzt ist klar: Es wird beim Parteitag eine Kampfkandidatur geben. Thomas Westphal, ein Bartsch-Vertrauter, tritt gegen Schindler an. »Ja, ich kandidiere«, sagt Westphal dem SPIEGEL. »Wir sind zuletzt unter unseren Möglichkeiten geblieben. Ich will helfen, das zu ändern.«
Erfahrener Netzwerker
Seit 2016 leitet Westphal das Vorstandsbüro in der Bundestagsfraktion. Er gilt als erfahrener Netzwerker, als Mann im Maschinenraum der Genossen. Sollte er gewinnen, will er auch in Zukunft vor allem nach innen wirken.
»Wir müssen wieder mehr zuhören, Kritik ernst nehmen, auch vor Ort präsent sein«, sagt Westphal. »Es geht um wichtige Kärrnerarbeit und eine bessere Kommunikation.«
Westphals Kandidatur ist einerseits Ausdruck einer großen Unzufriedenheit mit Schindler in Teilen der Partei. Der derzeitige Bundesgeschäftsführer steht spätestens seit der Europawahl 2019 massiv in der Kritik. Damals waren die Linken nach einem profilverwässerten Wahlkampf bei desaströsen 5,5 Prozent der Stimmen gelandet.
Westphal sagt: »Wir haben dieses Ergebnis und auch Niederlagen bei Landtagswahlen nie richtig aufgearbeitet.«
Machtpolitische Verschiebungen
Andererseits ist die bevorstehende Kampfkandidatur ein direktes Ergebnis der machtpolitischen Verschiebungen, die es in den vergangenen Jahren bei den Linken gegeben hat.
Neben Wagenknecht-Linken und Bartsch-Reformern haben sich sowohl eine neue linke als auch eine weitere pragmatische Gruppe etabliert und in der Partei die Führung übernommen. Es waren diese Lager, die sich hinter den scheidenden Vorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger versammelten – und die jetzt auch Hennig-Wellsow und Wissler unterstützen.
Zerstrittene Führung: Ex-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht und Noch-Fraktionschef Dietmar Bartsch mit den beidenen Parteivorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger
Foto: Britta Pedersen/DPA
Hintergrund für die Aufspaltung bei Parteilinken und Realos waren unter anderem Wagenknechts Querschüsse in der Flüchtlingspolitik – und die Tatsache, dass Bartsch trotzdem zu ihr hielt.
Außerdem befeuert bis heute ein Streit über den künftigen Kurs der Partei die Differenzen: Während die traditionsorientierten Reformer und Linksaußen-Genossen eher die klassische Linken-Klientel im Blick haben, also Geringverdiener und Arbeitslose, wollen ihre Widersacher das ökologische und gesellschaftsliberale Profil der Partei schärfen.
Tiefe Gräben
In Teilen der Partei gibt es zunehmend das Bedürfnis, die Bartsch-Wagenknecht-Allianz zu sprengen und nachhaltig zu entmachten. Unter Hennig-Wellsow-Unterstützern hieß es zuletzt häufiger, man müsse beim Parteitag eine Richtungsentscheidung herbeiführen.
Bereits im Herbst war bei den Linken über eine Kampfkandidatur um den Bundesgeschäftsführerposten spekuliert worden. Doch dann verschoben die Genossen ihren Parteitag pandemiebedingt in den Februar. Auch im Bartsch-Lager herrschte zunächst die Auffassung, es sei unvernünftig, zu diesem späten Zeitpunkt den Wahlkampfmanager auszutauschen.
Dass die Angelegenheit nun dennoch eskaliert, zeigt einmal mehr, wie tief die Gräben sind. Zuletzt hatten dem Vernehmen nach im Dezember noch einmal Bartsch-Vertraute bei Hennig-Wellsow vorgesprochen. Doch ganz offensichtlich war eine einvernehmliche Lösung nicht möglich.
Als machtpolitisches Instrument will sich Westphal trotz allem nicht sehen. »Ich sehe meine Kandidatur als Angebot an die Genossen«, sagt Westphal. »Im Wahlkampf ist Ende mit Flügelstreit. Und natürlich haben die designierten Vorsitzenden meine volle Unterstützung.«
»Lafodödel«-Liste
Wie Westphals Chancen stehen, ist völlig unklar. 2018 setzte sich Jörg Schindler mit hauchdünner Mehrheit gegen seinen damaligen Kontrahenten durch. Westphal wiederum wird auch von Traditionslinken unterstützt, hat dafür im Pragmatikerlager durchaus Kritiker. Einige Genossen werfen ihm vor, er sei unpolitisch.
Und dann wäre da noch die Sache mit der Liste. 2012 hatte Westphal, der seinerzeit noch für die Partei im Karl-Liebknecht-Haus arbeitete, im Auftrag des damaligen Fraktionsvizes Bartsch eine Übersicht zum Parteivorstand erstellt.
Westphal sortierte die Mitglieder des Gremiums nach parteiinterner Zugehörigkeit ein. Die Kategorien: »Z« für zuverlässig, »U« für unabhängig, und »L« für Lafontaine – beziehungsweise »Lafodödel«, wie es an einer Stelle vermerkt war.
Westphal will diese Verballhornung für die Anhänger von Ex-Parteichef Oskar Lafontaine, damals noch führende Figur im linken Lager, nicht geschrieben haben. Trotzdem: Als die Sache später aufflog, nahmen ihm das viele Genossen übel.
Auch heute noch? Westphal will sich zu dem Thema lieber nicht mehr äußern.