Merkel-Kritikerin Höhler Den Bogen überspannt

Autorin Höhler: "Werden wir optimal geführt und informiert?"
Foto: Stephanie Pilick/ dpaBerlin - Die Frau, die auf ihrem Buchcover Angela Merkel mit einem Mafiaboss vergleicht, ist genervt. Eine Feindschaft zweier Frauen? Ein Kampf Person gegen Person? Das würden nur Leute so deuten, die "keine Zeit haben, das Buch ganz zu lesen", schnappt Gertrud Höhler. "Das ist so", setzt sie nach. "Auch wenn Sie Krawall wollen."
Ist das so? Am Donnerstag stellte Höhler ihr Buch "Die Patin - Wie Angela Merkel Deutschland umbaut" in Berlin vor. Mit ihrer Generalabrechnung, in der sie scharfe Kritik am sogenannten "System M" übt, hat sie Dutzende Journalisten angelockt. Die 71-Jährige gilt derzeit als prominenteste und schärfste Gegnerin der Kanzlerin.
Deutschland drohe in die nächste Diktatur zu rutschen, so legt es das Buch nahe. Merkel installiere heimlich ihr eigenes autoritäres Regime und arbeite am "Zerfall der Demokratie". Geprägt von ihren Erfahrungen mit dem DDR-Sozialismus werfe Merkel christdemokratische Werte über Bord, so eine von Höhlers Kernthesen.
Wie kann jemand, der die Regierungschefin in Grund und Boden schreibt, kein tiefergehendes Problem mit ihr haben? Die Frage steht im Raum, sie wird gestellt, immer wieder. "Es gibt keine Fehde, es gibt sie nicht!", bricht es irgendwann aus Höhler heraus.
Auch ein Versuch des Moderators nach Verständigung geht daneben. Viele Anwesende seien interessiert am Verhältnis der Autorin zur Kanzlerin. Es sei schließlich "nicht gerade ein lobhudelndes Buch" entstanden. Da erstarrt Höhlers Gesicht. "Ich wollte über das Buch referieren und hatte gerade damit begonnen", sagt sie mit eisiger Stimme. Der Moderator schweigt erstmal.
"Alphawölfin aus der trüben Ostkulisse"
Über Höhlers Stil und Attitüde wurde viel geschrieben, über ihre makellosen, aschgrauen Hosenanzüge, die asketische Figur, dass sie den Kuchen zum Kaffee verschmäht, dass sie Interviews abbricht, wenn sie zu unangenehm werden. Höhler tritt in Talkshows als CDU-Expertin auf, sie hat führende deutsche Unternehmen beraten, wurde in den Achtzigern einmal als Ministerin im Kabinett Kohl gehandelt.
Jetzt, ein Jahr vor der Bundestagswahl, schürt die konservative Intellektuelle mit ihrem Rundumschlag die Unzufriedenheit mit Merkel in Teilen der Union. Deren älteren Männern wirft sie vor, mit "der Faust in der Tasche" feige gekniffen zu haben, als die "Alphawölfin im Schafspelz aus der trüben Ostkulisse" sich an den Sturz des Kanzlers der Einheit gemacht habe, um sich freie Bahn für ihre politische Karriere zu verschaffen.
"Das System M", schreibt Höhler, "etabliert eine leise Variante autoritärer Machtentfaltung, die Deutschland so noch nicht kannte." Dabei scheut die Literaturwissenschaftlerin nicht den indirekten Vergleich mit Hitlers Nationalsozialismus und dem ostdeutschen Kommunismus. "Ist der Bogen da nicht überspannt?", fragt ein Journalist.
Davon will Höhler nichts wissen. "Werden wir optimal geführt und informiert?", diese Frage müsse erlaubt sein. "Haben wir ein Wertesystem, in dem wir uns auf einander verlassen können?" Streckenweise verpackt sie ihre Thesen in das Vokabular eines Marketing-Seminars, sie spricht von "Ideen-Leasing" und einem "Wertesplit".
Die anhaltenden Beliebtheitswerte der Kanzlerin seien in Wirklichkeit Symptom einer kollektiven Verblendung, auch so kann man die Professorin verstehen. In der Euro-Krise herrsche immer mehr Staat und immer weniger Parlament, dazu käme ein massiver Moralverfall, ein zunehmend "geheimbündlerisches" Agieren der Politik. Versprechen in Koalitionsverträgen seien nichts mehr wert, der Wähler könne zwischen den Parteien nicht mehr unterscheiden, "ich kann das nicht marginal finden", empört sich Höhler.
Ostdeutsche ohne Leidenschaft?
Die Frage, wie Merkels Erfahrungen aus einem gleichgeschalteten System ihre aktuelle Politik prägen, wäre durchaus eine sachliche Betrachtung wert. Doch Höhler scheint in einer Art permanenter Angriffshaltung gefangen. Am Vorabend hat sie ein Kulturzeit-Interview ("Ich mag die Sendung, sie läuft auf meinem Lieblingsprogramm") noch am Drehort abgebrochen. Die Fragen seien "allesamt aggressiv" konnotiert gewesen, erzählt sie in Berlin. "Ich bemühe mich darum, den Boulevard nicht zu bedienen." Souverän klingt anders.
Das wird auch bei der Buchvorstellung deutlich. Als eine Journalistin wissen will, in welche Richtung Merkels Politik steuere, beantwortet die Professorin die Frage auch nach dreimaligem Nachhaken nicht. Die Berichterstatterin meldet sich noch einmal: Ob Höhler das wirklich so gemeint habe, dass Ostdeutsche generell leidenschaftslos seien?
Höhler sagt, sie könne sich nicht erinnern, so etwas gesagt zu haben. Dabei fiel der Satz vor 20 Minuten, alle haben ihn mitgeschrieben: Merkel besitze "eine Coolness, eine Wertneutralität, eine Leidenschaftslosigkeit, die vielen Westbürgern fremd war". Aber nein, daraus eine Ost-Legende zu generieren, das sei weit hergeholt, meint Höhler, und hat einen kühlen Rat parat: "Lesen Sie doch einfach das Buch."