Die SPD und ihr Kanzler Last man standing
Bochum - Pathos mag der Kanzler nicht. Er kann es selber nicht, zumindest nicht in seinen Reden, und ein wenig ist es ihm auch verdächtig als einem Pragmatiker der Macht. Er weint zwar im Kino beim "Wunder von Bern" und als Hans-Jochen Vogel ihn auf dem Parteitag für 40 Jahre Mitgliedschaft ehrte, wollen einige auch etwas Feuchtes in seinen Augen gesehen haben. Aber normalerweise ist so was für ihn nur "Gedöns", wie der Hannoveraner sagt.
Schröder hatte versucht, mit einer sozialdemokratischen Rede die Partei auf Reformkurs zu bringen, und am Anfang lief es auch ganz gut. Doch nach drei Tagen SPD in Bochum ist die Sonne verstaubt: Es ging einen Schritt vor und dann zwei zurück. Von Verzweiflung auf allen Flügeln ist die Rede, von offenem Hass zwischen einzelnen Personen und es wurde ordentlich neue Wut gesät für künftige Abrechnungen.
Für so was hat der Kanzler ein Elefantengedächtnis. Anfangs wollte er die Demontage seines Generalsekretärs noch den Linken anlasten. Aber es war viel schlimmer, wie er lernen musste. Die Abstrafung für Scholz kommt aus der ganzen Partei, und treibende Kräfte waren dabei sogar der sonst Schröder-freundliche Seeheimer Kreis, der niedersächsische Landesvorsitzende Wolfgang Jüttner und Harald Schartau, Landeschef in Nordrhein-Westfalen. Letzteren treibt die Sorge um, dass bei dem derzeitigen SPD-Erscheinungsbild die letzte große Bastion NRW geschleift wird. Dann wäre auch Kanzler Schröder am Ende und mit ihm eine Partei, die dann mindestens 16 Jahre Opposition vor sich hätte, Flügel- und Machtkämpfe inklusive.
Sich offen als Putschist bekennen will kaum einer. Die Antworten klingen so: "Ich weiß nicht, wer es war, aber ich war es nicht allein." Sigmar Gabriel will zwar persönlich für Scholz gestimmt haben, aber er hat geschickt die bereits vorhandene Stimmung gegen den Hamburger für sich genutzt. In Bochum wurde er nun "Mobby Dick" getauft. Schröder geht mit unverhohlenen Drohungen gegen seine Störer vor: "Euch mache ich fertig", soll er bereits Richtung Jüttner versprochen haben. Der Mann zeigt Nerven.
"Franz Allmächtig"
Schröder konnte seinen Platz im Kanzleramt sichern, aber er hat keine Hausmacht mehr. Der heimliche Parteivorsitzende ist längst Franz Müntefering, er ist der Letzte, der noch zu vermitteln mag zwischen Regierungsapparat und Fußvolk. Er ist in der SPD mittlerweile "Franz Allmächtig". Aber der Kreis der Akteure, die die Verantwortung schultern können und müssen, wird immer kleiner.
Deutlich wurde in Bochum auch die personelle Alternativlosigkeit innerhalb der SPD: Ihr fehlt eine ganze Generation. In der Altersklasse zwischen 40 und 50 drängelt nur Sigmar Gabriel nach vorne, flankiert von ein paar Aufstrebenden aus dem Osten mit ganz anderem Stil. Matthias Platzeck aus Brandenburg erhielt dabei die größte Portion Parteiliebe, abzulesen an den Vorstandwahlen.
"Dieser Parteitag hat uns nicht weitergebracht", sagt Andrea Nahles, Galionsfigur der Linken. Im Gegenteil: "Es ist sehr ernst. Jetzt geht es um unsere Zukunft als Volkspartei", erklärt sie. Sie fasst es in ein Bild: Die Partei streite darum, welchen Sattel man auf das Pferd schnalle, aber das Pferd selber ist nicht mehr fit. "Wir strahlen keine Kraft aus, wir ziehen nicht an einem Strang", lautet ihre ernüchternde Erkenntnis.
Genau das scheint auch Müntefering umzutreiben. Er fürchtet, dass die Partei beschließen kann, was sie will: Die Delegierten als Boten vor Ort vermitteln nicht mehr den Eindruck, dahinter zu stehen: "Das muss wieder anders werden". Das Führungspersonal in Berlin allein könne diesen Kraftakt nicht stemmen. Es steht viel auf dem Spiel, nicht nur die Regierungsfähigkeit, sondern die Zukunft der ältesten deutschen Partei. Die singt zwar nun wieder "Wann wir schreiten Seit' an Seit'", aber sie weiß nicht, wohin.
"Sozialdemokratischer Mehrwert"
Verstand und Gefühl driften auseinander: Große Teile der Partei erkennen die Notwendigkeit von Reformen an, sie wollen aber über ihre Ausgestaltung mitreden und vermissen vor allem eine übergeordnete Vision, "den sozialdemokratischen Mehrwert", wie es Nahles nennt.
Schröder hat auf dem Parteitag mehrfach persönlich interveniert. Doch immer nur dann, wenn ihm mögliche Beschlüsse zu enge Fesseln für die Regierungsarbeit anlegen sollten. Ein bindendes Bekenntnis zur Tarifautonomie verlangte der Parteitag. Aber Schröder weiß genau, dass die Union darin seine offene Flanke sieht. Alles andere war ihm eher egal. Die kleinen Wundpflaster, die sich die SPD mit der Forderung nach Ausbildungsumlage und Erbschaftssteuer gönnte, werden den Aderlass nicht aufhalten. Die Genossen, die demnächst im Vermittlungsausschuss sitzen und sich von der Union quälen lassen, haben jetzt schon durchblicken lassen, was sie von Parteitagsbeschlüssen halten: Das ist kein imperatives Mandat.
"Dank absprechen"
Schröders Schlusswort war knapp und ignorierte die neu geschlagenen Wunden. Der ermattete Vorsitzende sprach nur noch über Allgemeinplätze wie "eine Balance zwischen Eigenverantwortung und gesellschaftlicher Solidarität" zu finden. Er lobte seine Gegnerin Sigrid Skarpelis-Sperk, die aus dem Vorstand rausgeflogen war, für ihren "ökonomischen Sachverstand" - was viele als Heuchelei empfanden. Den abwesenden Dauergegner Rudolf Scharping, der auf eine Wiederwahl als Parteivize verzichtet hatte, wolle er bei anderer Gelegenheit seinen "Dank absprechen, äh abstatten".
"Sie wissen nicht, was sie tun"
Der Pressespiegel, den er am frühen Morgen des letzten Tages studierte, hatte ihm bereits die Laune verdorben. Schlagzeilen wie "Denn sie wissen nicht, was sie tun" und der Eindruck, dass Olaf Scholz nun endgültig zum Abschuss freigegeben ist, konnten ihm nicht gefallen. In der Partei werden schon Wetten abgeschlossen, wie lange Scholz noch durchhält. Schröder machte am letzten Tag des Delegiertentreffens den Eindruck, als wolle er schnell weg, als sei das alles nur noch lästig. Wiederholt blickte er auf seine Uhr, als die Abstimmungen nicht vorankamen, sein Schlusswort war fast nur noch ein "Danke und Tschüss".
"Der fährt jetzt zurück auf in seine Wagenburg", kommentierte ein Delegierter. Dann zieht er die Brücke hoch und kämpft weiter. Im Zweifelsfall auch gegen die eigenen Leute. Um Schröder wird es immer einsamer.