Proteste zur East Side Gallery Berlin Berliner Mauerloch macht Weltkarriere

Protestplakate an der East Side Gallery: Proteststurm in den sozialen Netzwerken
Foto: Kay Nietfeld/ dpaBerlin - Medien in aller Welt schließen sich den Berichten über den Beginn der umstrittenen Bauarbeiten an der East Side Gallery in Berlin an. Der "New York Times" sind sie sogar einen Aufmacher wert. "Damals", schreiben die Autoren, hätten die Berliner aus Ost und West die Mauer in Stücke geschlagen, jetzt treibe der Wall die Menschen wieder auf die Straße - um zu schützen, was von ihr übrig sei.
Auch der britische "Guardian", die BBC, die "Los Angeles Times" und die "Washington Post" informierten Leser und Zuschauer über den Streit. Die BBC sprach von einem der berühmtesten Kunstwerke Berlins, das von Bauunternehmen bedroht sei. Die "Los Angeles Times" veröffentlichte ein Foto von Demonstranten und Polizisten vor der Mauer. Die "Washington Post" ließ die Künstler zu Wort kommen, die das wichtigste Dokument der friedlichen Revolution von 1989 bedroht sehen. "Wenn wir das hier jetzt zerstören, bleibt nichts mehr, um die Erinnerung an die Vergangenheit lebendig zu halten", zitiert das Blatt den Maler Kani Alavi.
Die Reaktionen zeigen die Bedeutung, die die Berliner Mauer auch jenseits der Grenzen Deutschlands besitzt. Und welche Emotionen sie immer noch weckt. Sie kann aber auch als Beleg dafür gelten, welch beeindruckende Schlagkraft die Protestszene in Berlin inzwischen entwickelt hat. Die Aktivisten brachen eine Gentrifizierungsdebatte vom Zaun und machten die Latte-Macchiato-Mütter vom Kollwitzplatz in aller Welt bekannt. Sie vertrieben die Zukunftsforscher vom GuggenheimLab aus Kreuzberg. Und sie mobilisieren die Menschen gegen die Durchlöcherung der East Side Gallery.
Die East Side Gallery ist gleich in zweifacher Hinsicht besonders: Als berühmtes und unzählige Male fotografiertes Kunstwerk, bemalt von Künstlern aus aller Welt. Und als längstes zusammenhängendes Stück der Berliner Mauer, jenem "Schutzwall" gegen den Kapitalismus, der die Stadt bis zum Zusammenbruch des DDR-Regimes 1989 durchschnitt. Die Grenzöffnung und die Wiedervereinigung der Deutschen wurden damals in aller Welt gefeiert. Doch jetzt gilt das unter Denkmal stehende Bauwerk durch die Bauarbeiten als akut gefährdet.
Während die meisten Blätter der Argumentation der Aktivisten folgen, die ein Denkmal für die Interessen von Investoren geopfert sehen, hält die "New York Times" zumindest ein wenig Distanz: Die geschmähten Investoren trügen immerhin zur wirtschaftlichen Entwicklung der krisengeschüttelten Hauptstadt bei, merkten sie an.
Ganz anders die Reaktionen in den sozialen Netzwerken. Dort hub bereits am Freitag ein Proteststurm an, kurz nachdem die Nachricht vom Beginn der Bauarbeiten die Runde gemacht hatte. "Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie sich der Abbruch der Mauer rechtfertigen lässt", twittert ein User namens Japedela. "Jetzt mal im Ernst - ein Berlin ohne Mauer." Ein User namens Ernimartino aus Madrid wütet gegen die wirtschaftlichen Interessen, die "die zweitwichtigste Sehenswürdigkeit der Stadt" gefährdeten. Tomasvalles, ebenfalls aus Spanien, kündigt einen schnellen Besuch an: "Ich muss unbedingt noch mal nach Berlin vor diesem Attentat und dem neuen Abriss der Mauer. Es ist eine verrückte Welt. Rettet sie!"
Kritischer Blick auf die Argumente der Aktivisten fehlt
Selbst David Hasselhoff ("Looking For Freedom") stimmt in den Aufschrei ein . Der US-Sänger und Schauspieler zeigte sich am Montag bestürzt über die Bauarbeiten. "Wie kann man die Mauer niederreißen, die für Freiheit, Beharrlichkeit und menschliche Opfer steht?", twitterte Hasselhoff.
Einen kritischen Blick auf die Argumente und Motive der Protestler wagen jedoch nur die wenigsten. Dass der Durchbruch erfolgt, allein um Yuppies den Weg zu ihren künftigen Lofts zu ermöglichen, ist praktisch Allgemeingut. Die von den Friedrichshainern mit großer Mehrheit beschlossene Brommybrücke findet dagegen nirgendwo Erwähnung. Und auch nicht, dass der Volksentscheid auch den Mauerdurchbruch enthielt. Das umstrittene Hochhaus mit den Luxusappartements wurde schon viel früher geplant und genehmigt.
Auch der Einwand, dass die Klage über die Durchlöcherung reichlich spät kommt, bleibt unbeachtet. Ein Strandbar, ein Club, ein Souvenirshop haben bereits Schneisen in die East Side Gallery schlagen dürfen, ebenso wie die O2-Arena, ohne dass sich dagegen Protest erhoben hätte.
Die Wut richtet sich dagegen auf den Bauherrn des Wohnturms - ohne dabei zu beachten, dass der Bezirk ihn per Vertrag dazu verpflichtet hatte, die Mauer umzusetzen. Ironischerweise geht es gar nicht um die Lücke, die anschließend dem Neubau zugute kommen soll.