
Trends der Benachteiligung Jung, erfolgreich, diskriminiert


Juso-Bundesvorsitzender Kevin Kühnert auf dem SPD-Sonderparteitag
Foto: Oliver Berg/ dpaIch bin seit drei Wochen mit der Familie in Südafrika unterwegs. Sie haben hier Sommer statt Winter. Auf der Straße herrscht Linksverkehr. Auch sonst ist vieles anders. Um nicht ganz den Anschluss zu verlieren, lese ich regelmäßig deutsche Zeitungen und konsultiere SPIEGEL ONLINE.
Es scheint sich in der Heimat nicht viel getan zu haben, das ist irgendwie beruhigend. Angela Merkel sucht weiterhin nach einem Partner, mit dem sie regieren kann. Die SPD rückt in den Umfragen immer näher an die AfD. Und die Autoindustrie hat mal wieder einen neuen Skandal am Hals.
Eine neue Gruppe von Opfern
Dass es einen gewaltigen Unterschied macht, ob man Schweinen in den Kopf schießt, um sie anschließend in Teile zu schneiden, oder ob man Affen Autoabgase einatmen lässt, hätte ich den Leuten bei VW gleich sagen können. Einige Tiere stehen dem Menschen näher als andere, so ist es nun einmal. Ein Glück, dass sie bei VW nicht Delfine benutzt haben. Dann hätte der ganze Vorstand ausgetauscht werden müssen.
Die einzige Sache, die mich sofort elektrisiert hat, ist, dass man in meiner Abwesenheit eine neue Gruppe von Diskriminierungsopfern entdeckt hat. Ich dachte, das Gebiet sei erschlossen. Aber weit gefehlt!
Jetzt haben die Jungen zu dem Kreis derer aufgeschlossen, die bei uns als benachteiligt gelten. Den unter 30-Jährigen werde mit Herablassung begegnet, konnte ich lesen. Man nehme sie nicht richtig ernst, junge Menschen würden belächelt und klein gehalten. Bei meinem Lieblingskanal bento, bei dem ich mich regelmäßig über aktuelle Trends informiere, haben sie sogar einen eigenen Hashtag ins Leben gerufen: #diesejungenleute - verbunden mit der Forderung nach einer Jugendquote im Bundestag.
Wenn ich es richtig rekonstruiert habe, dann hat alles mit dem Aufstand der Jusos gegen die Große Koalition begonnen. Dem Juso-Vorsitzenden Kevin Kühnert wurde nicht der Respekt entgegengebracht, den man bei einem Mann in seiner Position erwarten darf. Bei "Maybrit Illner" wurde er von einem der Gäste geduzt. Markus Lanz hat ihn gefragt, ob er alles mit seinen Eltern bespreche.
Man muss lange zurückdenken, bis man einen Juso-Vorsitzenden findet, der so in den Medien herumgereicht wurde wie Kühnert. Der letzte war vielleicht Gerhard Schröder, aber nicht mal der hat es in die Talkshows gebracht. Trotzdem gilt Kühnert als Beispiel, wie man auf keinen Fall mit jungen Leuten umspringen darf.
Selten am Rand der Gesellschaft
Ich glaube, es gibt einen Zusammenhang zwischen dem Grad an Privilegien, die man genießt, und der Fähigkeit, Diskriminierung geltend zu machen. Man kann es das Diskriminierungsprivileg nennen. "Und man siehet die im Lichte, die im Dunkeln sieht man nicht", heißt es in der Dreigroschenoper bei Brecht. Daran hat sich in den vergangenen neunzig Jahren nicht viel geändert.
Für mein Gefühl hat die arme Frau, die jeden Tag acht Stunden bei Lidl an der Kasse sitzt, mehr Recht, darüber zu klagen, dass man sie nicht angemessen wahrnimmt, als Leute wie Kühnert. Aber die Einzigen, die sich um diese Frau kümmern, sind die braven Gewerkschafter bei Ver.di. Niemand käme auf die Idee, ihr ein Mikrofon unter die Nase zu halten, um sie zum Koalitionsvertrag zu fragen. Dabei wäre ihre Meinung für das weitere Schicksal der SPD deutlich aussagekräftiger als der Protest so mancher Juso-Amsel.
Interessanterweise finden sich die Diskriminierungsopfer selten dort, wo man sie erwarten sollte, nämlich am Rand der Gesellschaft. Um Gehör zu finden, braucht es ein paar Voraussetzungen, die man nur mit einer höheren Bildung erwirbt. Man sollte wissen, wie man sich in Szene setzt, um bei sozial sensiblen Menschen Aufmerksamkeit zu wecken. Und man muss den Jargon beherrschen, der einem Zutritt zu den Medien verschafft. Kurz: Man muss genau zu dem akademisch geprägten Publikum gehören, von dem man mit einer gewissen Berechtigung erwarten darf, dass es bald selber an den Schaltstellen der Gesellschaft sitzen wird.
In Österreich haben sie mit Sebastian Kurz gerade den jüngsten Kanzler aller Zeiten gewählt. Emmanuel Macron gehört auch nicht gerade zum alten Eisen. Das spricht alles nicht dafür, dass Jugend ein Manko wäre. Tatsächlich wurde keiner Generation so viel Aufmerksamkeit geschenkt wie jener der heute 25- bis 30-jährigen. In den Personalabteilungen raufen sie sich die Haare, weil die erste Frage, die Berufsanfänger stellen, die nach der Work-Life-Balance ist. Aber statt den Bewerbern einen Vogel zu zeigen, stellt man die Vorzüge heraus.
Wenn ich 20 Jahre alt wäre, würde ich mich auch aufregen. Es gibt kaum etwas ungerechteres als das Rentensystem, das dafür sorgt, dass nichts mehr übrig ist, wenn die Jungen das Rentenalter erreicht haben, weil die Alten vorher alles aufgezehrt haben. Der einzige Weg, das System zu stabilisieren, ohne dass man immer mehr Steuergeld hineinpumpt, besteht darin, die Leute länger arbeiten zu lassen. Dennoch wollen auch die Jusos, dass wir nicht erst mit 67 in Rente gehen. Vielleicht ist es gar nicht so verkehrt, dass man die Jusos nicht so ernst nimmt.