Dmitrij Medwedew Musterschüler mit Mädchenschrift

Russland wählt Dmitrij Medwedew zum Präsidenten - und rätselt noch immer, wer der Neue ist. Er erbt ein Amt mit der Machtfülle eines modernen Zaren, aber gilt vielen als Marionette des energischen Putin. Eines ist sicher: Der Mann wird unterschätzt.

Moskau - Es sind eigenartige Banner, die für die Präsidentenwahl am Sonntag werben. Die riesigen Plakate hängen in ganz Russland von Häuserwänden: In Smolensk, in St. Petersburg, am Roten Platz in Moskau. Sie zeigen Wladimir Putin und Dmitrij Medwedew hoffnungsvoll vorwärtsschreitend: "Gemeinsam werden wir siegen." Dabei wählt Russland am Sonntag den ersten Mann im Staat, kein Duo. Jobsharing im Kreml - in der russischen Verfassung ist das so nicht vorgesehen.

Doch Russlands angehenden Präsidenten Medwedew gibt es bislang nur im Verein mit seinem Mentor Putin. Presse und Fernsehen haben die Beliebtheit des Kronprinzen befeuert und die Wählerschaft mit Informations-Häppchen aus dem Privatleben des 42-Jährigen versorgt.

Man weiß jetzt: Der Neue geht allmorgendlich schwimmen. In seiner Jugend soll der heute so schmächtige Medwedew gar ein preisgekrönter Gewichtheber gewesen sein. Der Zeitschrift "Itogi" offenbarte er, dass im Innenhof seines Wohnhauses die Fußbälle von Sohn Ilja herumfliegen. Journalisten zeigt Medwedew bevorzugt seine Schallplattensammlung. Gattin Swetlana fährt einen VW Golf, Baujahr 1999.

Putins treuer Wesir

Nichtssagende Details. Medwedews politische Konturen aber sucht man vergeblich auszumachen. Zwar wird er am Sonntag zum Präsidenten gewählt, ein Amt mit der einzigartigen Machtfülle eines modernen Zaren. Doch selbst dann wird ihn Wladimir Putins Silhouette zunächst überragen. Er selbst wirft keinen Schatten - noch nicht.

Bei seinen öffentlichen Auftritten profiliert sich der spröde Thronfolger als liberaler Reformer. "Wir müssen die Unabhängigkeit der Presse verteidigen", betont Medwedew. "Wir schaffen eine Demokratie." Er geißelt den wuchernden Staatskapitalismus genauso, wie die erdrückende Bürokratie und die Käuflichkeit der Gerichte.

Dabei erbt er nicht bloß Putins Reich, einen Staat, der weitgehend ohne faire Wahlen und unabhängige Fernsehsender auskommen muss. Der belesene Medwedew, der sich so angenehm von Putins aggressiver Rhetorik abzusetzen scheint, hat selbst am heutigen Russland maßgeblich mitgebaut. Seit Jahren gehört er zum Team um den scheidenden Präsidenten. Kein Zweifel: Er ist Putins Mann.

Beide stammen aus St. Petersburg, Russlands nordwestlicher Metropole. Medwedew wuchs in Kuptschino auf, einem tristen Außenbezirk im Süden. Hier franst die für ihre prächtigen Paläste so gerühmte Stadt in hässliche Industriegelände aus, in sumpfige Brachen und rostende Garagenparks. "Funktionalismus" schimpft sich der Stil, in dem die bleigrauen Plattenbauten Kuptschinos erbaut wurden - in einem der Neunstöcker verbrachte Medwedew, Sohn eines Professors und einer Philologin, seine Kindheit und Jugend.

"Medwedew ist kein Liberaler"

Nach dem Jurastudium holte ihn 1991 Oberbürgermeister Anatoli Sobtschak in den Smolny, das ehrwürdige St. Petersburger Rathaus. Wladimir Putin war damals der zweite Mann hinter Sobtschak, der Stellvertreter des Stadtvaters. Im Windschatten Putins machte auch der unscheinbare Medwedew Karriere - zunächst in der Heimatstadt, dann in Moskau. Nachdem Putin 1999 Premierminister unter Boris Jelzin geworden war, besetzte er Schlüsselpositionen mit Vertrauten, vor allem aus St. Petersburg.

Im Jahr 2000 wird der "Wesir", wie Medwedew in Kreml-Kreisen genannt wird, Vize der mächtigen Präsidialamtsverwaltung, die er später leitet. Seit 2005 ist er Vize-Regierungschef.

"Medwedew ist definitiv kein Liberaler", sagt der Moskauer Politologe Stanislaw Belkoski. "Hoffnungen auf ein Tauwetter sind nicht gerechtfertigt. Man darf in keinem Fall nur die Rhetorik analysieren. Man muss die Politik untersuchen." Und da sei Medwedew über die Jahre der loyale Diener seines Herrn gewesen. "Medwedew ist der Vertreter einer politischen Führungsklasse, die absolut kein Interesse an einer tatsächlichen Liberalisierung hat", glaubt der Kreml-Kenner.

Prekäre Doppelspitze

Doch auch Putin galt einst als farblose Puppe des Jelzin-Clans. Wird sich nun sein Zögling ebenfalls von seinem politischen Ziehvater emanzipieren können? Putin, durch Kampfsport gestählt, hat angekündigt, er wolle unter Medwedew als Premierminister dienen und sich zusätzliche Kompetenzen sichern. Dann bekäme Russland eine prekäre Doppelspitze: der energische Putin im Weißen Haus an der Moskwa, dem Sitz der Regierung, und der frischgebackene Staatschef Medwedew im Kreml. In der öffentlichen Wahrnehmung gilt der nur 1,65 Meter große Thronfolger aber als schwächlich. Zuletzt trompetete eine Moskauer Zeitung heraus, in der Schule habe der kleine Dima die Handschrift seiner Lehrerin kopiert. Auch das noch: Eine Mädchenschrift.

Neben dem raubeinigen Putin wirkt Medwedew stets ein wenig wie ein strebsamer Musterschüler, der sich gern mit dem Klassenrabauken zeigt. Doch mag er auch einen ruhigeren Führungsstil bevorzugen als Förderer Putin, so hat er doch großes Durchsetzungsvermögen bewiesen. Mit nur 36 Jahren wurde er Vorsitzender des Aufsichtsrates von Gasprom, dem größten und einflussreichsten russischen Konzern.

"Medwedew ist sachlich und überhaupt nicht emotional", unterstreicht Burckhardt Bergmann. Der E.on-Chef sitzt als einziger ausländischer Manager im Aufsichtsrat von Gasprom. Den kommenden Herrn im Kreml beschreibt Burckhardt als äußerst kompetent - und warnt davor, Medwedew zu unterschätzen: "Man darf Höflichkeit nicht mit Schwäche verwechseln."

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