
S.P.O.N. - Der Schwarze Kanal #giovannigate - oder die Tücken des Doppelpasses


Giovanni di Lorenzo: Verplappert vor einem Millionenpublikum
Foto: Paul Zinken/ dpaDer arme Giovanni di Lorenzo. Eben noch Darling des Hamburger Medienbetriebs, Träger des Theodor-Wolff-Preises, des Bambi und der Goldenen Feder, bewundert und beneidet für seine sensiblen Interviews mit Menschen, die es auch nicht leicht im Leben haben. Und nun: ein Wahlfälscher, überführt vor einem Millionenpublikum. Wobei überführt das falsche Wort ist, verplappert wäre wohl richtiger.
Seit di Lorenzo bei "Günther Jauch" bekannte, bei der Europawahl zweimal gewählt zu haben, einmal als Deutscher und einmal als Italiener, steht er mit einem Bein im Gefängnis. Die Staatsanwaltschaft in Hamburg hat Ermittlungen aufgenommen, das Landeskriminalamt ist eingeschaltet. Wenn sich die Sache in diesem Tempo weiterentwickelt, kann der Chefredakteur der "Zeit" bald mit sich selber ein Interview führen. Im Netz kursiert unter #giovannigate bereits die erste Buchankündigung: "Vorerst verboten - Giovanni di Lorenzo im Gespräch mit KT Guttenberg über den Reiz des Nichterlaubten."
Dabei hat es der Mann doch nur gut gemeint. Wochenlang wurde wie wild für die Europawahl getrommelt, kein Tag, an dem nicht irgendwer dazu aufrief, in jedem Fall wählen zu gehen. Die nimmermüde Juli Zeh erklärte den Wahlgang zu einem Akt der "politischen Selbstverteidigung". Kein Wunder, dass di Lorenzo sich zur Höchstleistung angestachelt sah: Der Appell an das staatsbürgerliche Pflichtbewusstsein wirkt in der "Zeit" immer. Es tue ihm leid, er habe nicht gewusst, dass man nicht in mehreren Länder gleichzeitig abstimmen könne, erklärte der Gescholtene jetzt zerknirscht.
Erlaubnis zum Doppelpass soll Integration erleichtern
So ist das mit dem Doppelpass. Was in den besseren Kreisen als Ausweis besonderer Weltläufigkeit gilt, hat im praktischen Vollzug leider seine Tücken. "Ich darf zweimal wählen, weil ich zwei Pässe habe", hatte di Lorenzo seinen europapolitischen Sondereinsatz bei Jauch noch mit dem Stolz des Mustereuropäers begründet. Die Vorstellung, dass jede Stimme in einer Demokratie elementar ist, kommt einem schnell abhanden, wenn man Staatsangehörigkeit für eine Sache hält, die sich vervielfachen lässt.
Der Fall wäre kurios, wenn wir nicht gerade dabei wären, die Doppelstaatlichkeit auf die größte Migrantengruppe im Land auszuweiten. Es ist im Getöse über Mindestlohn und Mütterrente etwas aus dem Blick geraten, aber mit der Überarbeitung des Staatsangehörigkeitsrechts steht eines der größten Reformprojekte der Großen Koalition noch aus. Wer in Deutschland aufgewachsen ist, soll künftig auch als Nicht-EU-Bürger zwei Pässe besitzen dürfen. Der SPD ist das Vorhaben so wichtig, dass sie bei den Koalitionsverhandlungen mit dem Abbruch drohte, sollte es nicht dazu kommen.
Die Verfechter der neuen Regelung führen ins Felde, durch die Erlaubnis zum Doppelpass würde die Integration erleichtert. Für Zuzügler, die sich nicht entscheiden können, ob sie nun eher deutsch oder türkisch fühlen, mag das gelten. Aber die Reform gilt ausdrücklich nicht für Leute, die noch Zeit brauchen, sich bei uns einzugewöhnen, sondern für solche, die hier geboren und zur Schule gegangen sind und deren Kenntnis der Türkei sich in der Regel auf ein paar Badeurlaube beschränkt.
Sorge vor Loyalitätskonflikten
Wer sein Herz für eine ferne Heimat entdeckt, kann morgen seinen Pass eintauschen, dagegen ist nichts zu sagen. Dass man sich hingegen zwei Ländern als Bürger verbunden fühlt, und zwar "mit dem vollen Bewusstsein der Zugehörigkeit und der Mitverantwortlichkeit", wie es der Politikwissenschaftler Peter Graf Kielmansegg in einem sehr lesenswerten Beitrag für die "FAZ" geschrieben hat, ist eher unwahrscheinlich. Das gilt zumal bei einer Minderheit, deren Herkunftsland alles daran setzt, die Emigranten dauerhaft an sich zu binden.
Dass die türkische Regierung einen Pass nicht als sentimentale Geste, sondern als Zugehörigkeitserklärung versteht, hat Ministerpräsident Erdogan bei seinem Besuch in Köln in Erinnerung gerufen. "Ich habe dort drei Millionen Staatsbürger, natürlich gehe ich nach Deutschland", sagte er, als sich Kritik an seinem Aufritt regte. Man darf davon ausgehen, dass er zu seinen Staatsbürgern demnächst auch diejenigen zählt, die das Recht auf Zweistaatlichkeit in Anspruch genommen haben. Am Ende könnte der Doppelpass eine ganze Generation in einen Loyalitätskonflikt treiben, den man durch die Einrichtung desselben gerade vermeiden wollte.
Für di Lorenzo besteht übrigens Hoffnung, dass ihm das Schlimmste erspart bleibt. Neben Geldstrafen drohen bei Wahlfälschung bis zu fünf Jahre Gefängnis, wie man nun weiß, aber nicht nur in Italien können Richter Sozialarbeit verordnen. Im Gegensatz zu seinem Landsmann Berlusconi, der derzeit in einem Altenheim Dienst schiebt, kann der "Zeit"-Chefredakteur darauf verweisen, dass er schon länger regelmäßig Umgang mit einem hochbetagten und auch nicht ganz einfachen Menschen pflegt, wobei er sich sogar der Gefahr des Passivrauchens aussetzt. Die Strafe ließe sich also mühelos zur Bewährung aussetzen.
