Drohender Mammut-Bahnstreik: Schlichter soll Weselsky bändigen
Foto: DPABerlin - In dieser Frage sind sich Regierung und Opposition ausnahmsweise einig: SPD-Chef und Vizekanzler Sigmar Gabriel und der Grünen-Fraktionsvorsitzende Anton Hofreiter fordern angesichts des drohenden Streiks der Lokführergewerkschaft GDL die Einsetzung eines Schlichters. Die Lokführer wollen im Güterverkehr ab Mittwochnachmittag und im Personenverkehr ab dem frühen Donnerstagmorgen bis Montagmorgen streiken.
"Ich halte die schnelle Einsetzung eines Schlichters für notwendig, um den Mammutstreik abzuwenden", sagte Grünen-Fraktionschef Hofreiter SPIEGEL ONLINE. "Bahn und GDL tragen ihren Streit auf dem Rücken der Fahrgäste aus." Der Grünen-Politiker kritisierte: "Die Tarifparteien verrennen sich."
Ähnlich äußerte sich SPD-Chef Gabriel. "Wir brauchen jetzt Verantwortungsbewusstsein auf allen Seiten für unser Land. Und einen Schlichter oder Vermittler, um den drohenden Schaden für unsere Volkswirtschaft abzuwenden", sagte der Bundeswirtschaftsminister der "Bild"-Zeitung. Der Lokführer-Streik sei kein Tarifkonflikt, sondern ein Machtpoker, der auf dem Rücken von Hunderttausenden von Reisenden und auf Kosten der Allgemeinheit ausgetragen werde, sagte Gabriel weiter. Es gehe den GDL-Funktionären nicht um höhere Löhne oder bessere Arbeitsbedingungen, sondern um Eigeninteressen.
Scharfe SPD-Äußerungen sind bemerkenswert
Auch SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann äußerte deutliche Kritik am Vorgehen der GDL. "Die GDL nervt ganz Deutschland", sagte er. Die scharfen Äußerungen aus der SPD sind deshalb so bemerkenswert, weil die Sozialdemokraten traditionell ein sehr enges Verhältnis zu den Gewerkschaften haben.
SPD-Chef Gabriel sagte weiter: "Das Streikrecht wurde in den letzten 65 Jahren in Deutschland von den DGB-Gewerkschaften immer verantwortungsbewusst genutzt - und nur dann, wenn es um Arbeitnehmerinteressen ging" - die GDL habe sich "von diesem Prinzip verabschiedet".
In dem Tarifstreit will die GDL einen eigenständigen Tarifvertrag für Zugbegleiter durchsetzen. Dabei pocht sie auf das Prinzip der Tarifpluralität, demzufolge mehrere Tarifverträge für dieselbe Berufsgruppe möglich sind. Die GDL fordert außerdem fünf Prozent mehr Einkommen und eine kürzere Wochenarbeitszeit.
Die GDL fordert fünf Prozent mehr Lohn bei kürzeren Arbeitszeiten. Zusammengerechnet ergibt sich eine Steigerung von 15 Prozent. Weselsky will zudem künftig nicht nur Tarife für die rund 19.000 Lokführer aushandeln, sondern auch für die Zugbegleiter und Rangierführer unter den GDL-Mitgliedern. Bislang wurden diese von der Eisenbahn und Verkehrsgewerkschaft (EVG) vertreten.
Die Bahn bietet eine dreistufige Einkommenserhöhung um fünf Prozent, verteilt auf 30 Monate. Dazu eine Einmalzahlung von rund 325 Euro. Konkurrierende Tarifverträge innerhalb einer Berufsgruppe will der Konzern aber in jedem Fall vermeiden. Die Bahn hatte angeboten, bei Tarifgesprächen künftig parallel mit GDL und EVG zu verhandeln. Sollte dann nur eine Gewerkschaft einem Kompromiss zustimmen, soll dieser auch nur für ihre Mitglieder gelten. Die andere Gewerkschaft soll nach Willen der Bahn dann aber nicht mehr streiken dürfen.
Streiks bei der Deutschen Bahn kosten die Wirtschaft nach Prognose von Forschern schnell einen dreistelligen Millionenbetrag, abhängig von Länge und Intensität. "Bei durchgängigen Streiks von mehr als drei Tagen sind in der Industrie Produktionsunterbrechungen zu erwarten", schreibt das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW). "Die Schäden können dann schnell auf mehr als 100 Millionen Euro pro Tag steigen."
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Heiner Geißler: Der Familienpolitiker hat sich in einer Art zweiten Karriere einen Namen als Schlichter gemacht. In der Auseinandersetzung um den Bau des Tiefbahnhofs in Stuttgart gelang es ihm sogar, vorübergehend Frieden zu stiften. Beim Arbeitskampf 2007 zwischen GDL und Bahn war er weniger erfolgreich.
Kurt Biedenkopf: Bildete 2007 zusammen mit Heiner Geißler ein Schlichter-Duo im ersten großen Tarifstreit zwischen GDL und Bahn. Ein Jahr zuvor vermittelte Biedenkopf gemeinsam mit Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder ebenfalls im Bahn-Konflikt - allerdings ebenfalls erfolglos. Trotzdem könnte er eine gute Wahl sein: Er gilt als exzellenter Analytiker und hat Erfahrung im Verhandeln.
Wolfgang Clement: Der SPD-Politiker genießt einen Ruf als kenntnisreicher und harter Verhandler. Clement hat bereits in mehreren Tarifkonflikten in der Bauindustrie Kompromisse gesucht. Aber ob er diesmal infrage kommt? Derzeit amtiert Clement als Vorsitzender der arbeitgebernahen Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft.
Peter Ramsauer: Als ehemaliger Verkehrsminister kennt der CSU-Politiker die Probleme bei der Bahn aus dem Effeff. Als Schlichter hat er sich allerdings noch keine Meriten erworben. Aber einmal ist immer das erste Mal.
Roland Koch: Nach dem Verlust seines Vorstandspostens beim Baukonzern Bilfinger hätte der ehemalige hessische Landesvater zumindest Zeit für ein Schlichtungsverfahren. Als gewiefter Verhandler gilt er auch. Es spricht also einiges dafür, das Koch die Rolle als Schlichter zwischen GDL und Bahn gut ausfüllen könnte.
Bert Rürup: Die erfolgreiche Vermittlung im lange schwelenden Tarifkonflikt zwischen der Lufthansa und der Gewerkschaft der Unabhängigen Flugbegleiterorganisation im Spätherbst 2012 gilt als Ausweis für sein Talent als Schlichter. Der einflussreiche Wissenschaftler gilt als ausgewogen und eher sanftmütig. Vielleicht das Richtige nach dem Motto: Steter Tropfen höhlt den Stein.
Florian Gerster: Sein Talent als Schlichter konnte der ehemalige Chef der Bundesagentur für Arbeit noch nicht unter Beweis stellen. Doch sein Erfolg beim Umbau des Nürnberger Molochs weist ihn immerhin als zähen Diskutanten aus. Die Frage ist, ob er überhaupt Zeit hätte: Gerster ist derzeit unter anderem beim amerikanischen Immobilieninvestor Fortress Investment Group engagiert.
Kurt Bodewig: Der ehemalige Verkehrsminister kennt die Verhältnisse bei der Bahn sehr gut. Viele unterschätzen ihn wegen seiner jovialen Art.
Karl-Heinz-Dähre: Als ehemaliger Verkehrsminister Sachsen-Anhalts kennt sich Dähre in Sachen Bahn aus. Auch hat er bereits einen Tarifkonflikt zwischen GDL und Nord-Ostsee-Bahn erfolgreich geschlichtet. Er wäre wahrscheinlich für beide Seiten annehmbar.
Klaus Dauderstädt: Die Bahn hat den Chef des Beamtenbundes als Schlichter vorgeschlagen. Bei den Lokführern stieß der Vorschlag auf wenig Gegenliebe.
Reiner Hoffmann: Den DGB-Vorsitzenden hat die Bahn ebenfalls bereits als Schlichter vorgeschlagen. Die GDL hat strikt abgelehnt.
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