Deutsche Rolle im Syrien-Konflikt Merkel kann sich nicht wegducken

Die Bilder der Giftgasopfer in Syrien sind eine Herausforderung für die Weltgemeinschaft. Deutschland und die Regierung Merkel müssen Position beziehen: Sollten die Uno-Inspektoren den Chemiewaffeneinsatz bestätigen, kann es eine Enthaltung wie im Falle Libyens nicht geben.
Kanzlerin und CDU-Chefin Merkel: Syrien-Konflikt überschattet Wahlkampf

Kanzlerin und CDU-Chefin Merkel: Syrien-Konflikt überschattet Wahlkampf

Foto: Hannibal Hanschke/ dpa

Berlin - Jedes Jahr lädt der Außenminister die Botschafter Deutschlands in seinen Amtssitz ein. Man kommt zusammen, um sich auszutauschen. An diesem Montag geht es am Werderschen Markt in Berlin vor allem um ein Thema: die Lage in Syrien, die Berichte über einen mutmaßlichen Chemiewaffeneinsatz gegen Zivilisten.

Die Bundesregierung weiß, dass der Konflikt an einem Wendepunkt angekommen sein könnte. Die moralische Glaubwürdigkeit des Westens steht zur Disposition, die US-Regierung könnte bald jene "rote Linie" für überschritten halten, die Präsident Barack Obama einst markierte. Angela Merkel lässt über ihren Regierungssprecher erklären, ein möglicher Giftgaseinsatz dürfe "nicht folgenlos bleiben".

Vor seinen Botschaftern sagt Westerwelle einen Satz, der ebenfalls aufhorchen lässt: "Der Einsatz von chemischen Massenvernichtungswaffen wäre ein zivilisatorisches Verbrechen. Wenn sich ein solcher Einsatz bestätigen sollte, muss die Weltgemeinschaft handeln. Dann wird Deutschland zu denjenigen gehören, die Konsequenzen für richtig halten."

Berlins Haltung lässt viele Fragezeichen offen

Unverkennbar ist: Merkel und Westerwelle verschärfen ihre Tonlage. Ein zweites Libyen soll es diesmal wohl nicht geben. Vor zwei Jahren beim Votum über einen Luftkrieg gegen Gaddafis Regime hatte sich Deutschland im Uno-Sicherheitsrat enthalten - und sich auf der Seite Russlands und Chinas wiedergefunden. Das soll nicht noch einmal passieren, die beiden Vetomächte haben sich durch ihre Blockadepolitik diskreditiert. In diesen Tagen wird viel telefoniert in Berlin, vor allem mit Washington, London und Paris. Der Westen ist um eine einheitliche Linie bemüht. Westerwelle sagt, man stehe in "enger Abstimmung" mit der Uno und "unseren Verbündeten".

Noch haben Merkel und Westerwelle nicht erklärt, mit welchen Mitteln sie mögliche "Konsequenzen" oder "Folgen" gegen Syrien mittragen. Es ist alles noch im Fluss. Doch wichtige Fragen sind bereits aufgeworfen: Wird sich Deutschland auch militärisch an einer Aktion gegen das Regime Baschar al-Assads beteiligen? Und was geschieht, wenn die Uno sich selbst blockiert und am Ende notgedrungen eine Allianz unter Führung Washingtons militärisch einschreitet, ohne Mandat?

Es gibt nicht mehr viele Felder für ein Ausweichen Deutschlands. Ein stärkeres Engagement in Afghanistan, wie es einst als Ersatz für die Nichtbeteiligung im Falle Libyens angeboten wurde, ist kaum eine Option. Dort will auch Deutschland ab 2014 seine Kampftruppen abziehen.

Deutschland ist ein wichtiger Partner in der Nato. Schon jetzt ist die Bundesrepublik nahe am Brennpunkt engagiert, auch wenn das in der Öffentlichkeit fast schon wieder in Vergessenheit geraten ist - durch die Stationierung von Patriot-Abwehrraketen in der Türkei. Sollte Syrien zu einem Gegenschlag ausholen und den Nato-Partner angreifen, wäre die Bundeswehr schnell mitten drin in einem Konflikt.

Mögliche Szenarien

Offiziell gibt sich die Bundesregierung vorsichtig. Auf Nachfrage, was die Bundeswehr theoretisch beisteuern könnte, spricht ein Sprecher des Hauses von Verteidigungsminister Thomas de Maizière von einem "militärischen Werkzeugkasten". Der jedoch werde erst geöffnet, wenn es eine politische Entscheidung gebe, heißt es.

Intern werden unter Militärs erste Szenarien diskutiert, wie sich Deutschland an einem Missionsprofil beteiligen könnte, das keine Truppen auf dem Boden vorsieht.

  • Klar ist, dass die Patriot-Abwehrraketen in der Südtürkei bleiben. Man könnte diese noch verstärken.
  • Daneben kreuzen im Mittelmeer mehrere Bundeswehrschiffe. Am interessantesten dürfte das Flottendienstboot der "Oste"-Klasse sein. Zwar hat das Schiff keine Raketen für einen Angriff an Bord, doch es ist vollgestopft mit Aufklärungstechnik, die bis hinein nach Syrien elektronische Signale wie Funk- oder auch Telefonkommunikation abhören kann.
  • Ebenso möglich erscheint die Entsendung von ABC-Fahrzeugen in Nachbarländer von Syrien - mit den Spürpanzern kann man chemische Waffen aufklären.
  • Daneben verfügt die Luftwaffe über mehrere Tankflugzeuge, die Kampfjets und Bomber in der Luft versorgen können. Diese Fähigkeit wäre für Berlin eine Möglichkeit, sich militärisch zu beteiligen und doch nicht selbst scharf schießen zu müssen.

Merkel, Westerwelle und de Maizière sind keine Bellizisten, sie fürchten - zu Recht - die Wellen, die ein militärisches Eingreifen in der Region nach sich ziehen könnten. Hinzu kommt der Zeitpunkt: Die Zuspitzung in Syrien ist für die Koalition eine Herausforderung bis zur Bundestagswahl. Droht das Thema zum Wahlkampfschlager für Rot-Rot-Grün zu werden? Kaum, allenfalls für die gegen alle Kriegseinsätze agitierende Linkspartei.

Die Mehrheit in SPD und Grünen aber, die 1999 den Nato-Einsatz im Kosovo aus humanitären Gründen mittrugen, kann auch diesmal nicht abseits stehen, sollte der Giftgaseinsatz bestätigt werden.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten