Duisburg-Bruckhausen Ein Stadtteil wird zu Tode saniert

Bäume statt Betonburgen, Grün statt Leerstand: In Duisburg-Bruckhausen wollen Stadtplaner ein Viertel "rückbauen" - für mehr Lebensqualität Häuser abreißen und einen Park anlegen. Sogar eine Moschee soll den Bäumen weichen.
Von Carolin Jenkner

Duisburg – Die Schornsteine des ThyssenKrupp-Stahlwerkes sind von fast jeder Straße aus zu sehen. Sie überragen die Wohnhäuser und Kirchen im Duisburger Stadtteil Bruckhausen. Einst boten die Hochöfen viele Arbeitsplätze. Jetzt bringen sie vor allem eines: Lärm und Feinstaub.

Vor mehr als 40 Jahren war Bruckhausen ein Gastarbeiterviertel. Industrienaher, günstiger Wohnraum – das zog die Leute hierher. Bruckhausen hatte damals noch ein eigenes Theater. Leitende Angestellte bewohnten Villen und stuckverzierte Stadthäuser. Aber dann kam das Leben in den Stadtrandgebieten in Mode – weit weg von der Industrie. Viele Besitzer verkauften ihre Häuser und zogen weg.

Heute ist Bruckhausen ein Stadtteil der Widersprüche. Zum einen ist das Viertel Tristesse pur: Viele Fenster sind mit Pappe und Gittern verrammelt, Putz fällt von den Wänden, und viele Ladenlokale stehen leer. Doch hinter den öden Fassaden verbirgt sich das Leben: Wie in der Hinterhof-Moschee, in der immer freitags 400 Männer beten. Oder in der Teestube, wo sie Rummikub spielen. Der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund liegt in Bruckhausen bei 80 Prozent, die meisten davon sind türkischer Abstammung.

In den Augen der Stadt Duisburg ist Bruckhausen ein städtebaulicher Missstand: 36,2 Prozent der Wohnungen stehen leer, die Hälfte der Gebäude ist in einem "überdurchschnittlich schlechten" Zustand, die Feinstaubbelastung und die Lärmbelästigung sind zu hoch. Die Lösung soll "Grüngürtel Duisburg-Nord" heißen: Dafür ist der Abriss von knapp 200 Häusern in Bruckhausen und dem benachbarten Stadtteil Beeck vorgesehen. Allein in Bruckhausen sollen etwa tausend Menschen Platz für einen Landschaftspark machen, der an seiner breitesten Stelle 250 Meter messen und die Industrielandschaft hinter einem zwölf Meter hohen Wall verstecken soll. Ein bisher einmaliges Projekt, das Vorbild für andere Städte im Ruhrgebiet sein soll – wenn es nach den Planern geht.

72 Millionen Euro würde das Projekt kosten, die Hälfte davon zahlt ThyssenKrupp – der Stahlriese besitzt selbst ein Drittel der Immobilien, das ist in den Kostenanteil, den das Unternehmen trägt, mit eingerechnet.

An der Reinerstraße, etwa 200 Meter von den Thyssen-Toren entfernt, in einem rosafarbenen sanierten Altbau, liegt das Stadtteilbüro Bruckhausen. Hier betreut Edeltraud Klabuhn als Stadtteilmanagerin die Menschen, deren Häuser vom Abriss betroffen sind. In ihren Worten heißt der Abriss "Rückbau" und ist etwas Positives für den Stadtteil. In der Reinerstraße liegt die Grenze zum künftigen Grüngürtel. Hier soll der neue Ortskern sein, mit vielen Geschäften. "Der Rest des Stadtteils soll aufgewertet werden, damit die Menschen hier wieder gerne wohnen", sagt Edeltraud Klabuhn. Die Aufwertung nennt sie "Highlight des Sanierungsverfahrens". Die Bürger hätten größtenteils positiv auf das "Sanierungsverfahren" reagiert. Nur ein paar hätten sich beschwert, manche freundlich, manche ausfallend.

Was für die einen die Aufwertung des Viertels ist, halten die anderen für Zerstörung

Lale Yarar, 45, gehört zu denen, die sich beschweren. Sie besitzt ein Dreifamilienhaus, nur 200 Meter vom Stadtteilbüro entfernt – mit dem Unterschied, dass ihr Haus abgerissen werden soll. Eine Wohnung hat sie an ihren Onkel vermietet, die andere steht leer und lässt sich auch nicht mehr vermieten, seit die Gerüchte über den Grüngürtel aufgetaucht sind. Das Ladenlokal im Erdgeschoss ist mit Protestschildern gegen den Abriss plakatiert – Überbleibsel von der letzten Demo. Jetzt sitzt Lale Yarar mit Pudelmütze und Jacke im Ladenlokal. Es ist kalt. Auf den Campingstühlen sitzen normalerweise die anderen Mitglieder der Bürgerinitiative "N-I-B-B – Nachbarn in Bruckhausen-Beeck".

Der Grüngürtel, findet Lale Yarar, ist kein geeignetes Mittel, um bessere Luft in Bruckhausen zu schaffen. "Ich wundere mich, dass immer noch damit geworben wird", sagt sie.

Umweltgutachten hätten ergeben, dass die Emissionen aus den Schornsteinen von ThyssenKrupp um zehn Prozent eingedämmt werden könnten, wenn 15 Meter hohe Bäume auf dem Wall stünden, die das ganze Jahr über grün wären. "So etwas ist hier gar nicht möglich", meint Lale Yarar. "Die einzige Möglichkeit, die Emissionen einzudämmen, ist, dass ThyssenKrupp moderne Filter in seine Anlagen einbaut."

Der Grüngürtel ist längst beschlossen - nur wann die Abrissbirne kommt, weiß noch keiner

Lale Yarar spricht von einer Salami-Taktik. "Wenn hier erst mal tausend Menschen ihre Häuser verlassen, wird der restliche Stadtteil auch nicht mehr existieren können", behauptet sie. Was in den Augen von Edeltraud Klabuhn und der Stadt Duisburg eine Aufwertung des Viertels ist, hält Lale Yarar für Zerstörung. Ihr Szenario: Die Ladenbesitzer verlieren ihre Kunden, die Ärzte ihre Patienten und die Schulen und Kindergärten ihre Kinder. Und dadurch werden immer mehr Leute wegziehen, bis niemand mehr übrig bleibt.

Die Stadt Duisburg hält dem entgegen, dass die Menschen, die im "Sanierungsgebiet" wohnen, in andere Teile von Bruckhausen ziehen können. Tatsächlich gibt es dort Leerstand, aber nicht alle werden hier eine neue Wohnung finden. Stadtteilmanagerin Edeltraud Klabuhn spricht optimistisch von einer "Tauschbörse" für Häuser und Wohnungen im Stadtteilbüro. Dort sei man bemüht, dass alle, die in Bruckhausen bleiben wollen, einen adäquaten Ersatz bekommen.

Letzter Ausweg Bundesverfassungsgericht

Lale Yarar glaubt nicht daran. Demnächst wird ein Gutachter kommen und den Verkehrspreis ihres Hauses feststellen. Die Stadt will dann mit ihr verhandeln. Das will Lale Yarar erst mal abwarten. Falls die Preise zu niedrig sind, will sie mit anderen Hausbesitzern eine Demo organisieren. Als letzte Konsequenz kann sie sich sogar vorstellen, vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen. "Eigentum ist schließlich ein Grundrecht", sagt sie.

Ein regelmäßiger Gast bei Lale Yarar ist Ücler Köksal. Der Vorsitzende der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs in Bruckhausen, deren Moschee mitten im Sanierungsgebiet liegt, weiß nicht, wie es nach dem Abriss mit seiner Gemeinde weitergehen soll. Seit 30 Jahren besteht die Moschee, 200 Mitglieder zählt die Gemeinde. "Bisher haben wir von der Stadt noch kein Angebot für ein neues Gebäude bekommen", sagt Ücler Köksal. "Wir stehen einfach vor vollendeten Tatsachen: Das Gebäude, in dem wir jetzt beten, wird demnächst dem Erdboden gleich gemacht." Die Gemeindemitglieder seien verzweifelt. "Sie wollen nicht von heute auf morgen entwurzelt werden", sagt Köksal. Die Luft sei schlecht, aber den Menschen hier mache das nichts aus. Sie hätten andere Werte.

Verunsicherung bei den einen, Gelassenheit bei den anderen. Der Teestubeninhaber Yilmaz Fazil zuckt mit den Schultern. "Ich finde den Grüngürtel gut. Dadurch wird die Luft bestimmt besser." Und für sein Geschäft hat er auch schon eine Lösung gefunden: "Dann mache ich eben woanders einen Laden auf, wo meine Landsleute sind. Das Leben geht weiter." In einem anderen Schaufenster hängt ein Plakat mit der Aufschrift: "Für bessere Luft, für den Abriss der leerstehenden Häuser, für die Verschönerung des Duisburger Nordens."

Das Vorhaben der Stadt spaltet die Bürger. Aber der Rat hat den Grüngürtel längst beschlossen. Nur wann die Abrisskugel anrückt, steht noch nicht fest. Aber so viel: Der Grüngürtel wird weder den Blick auf die Hochöfen verdecken, noch wird er die Lärmbelästigung in Bruckhausen verbessern können – das hat die Voruntersuchung ergeben. Der Moschee-Vorsitzende Ücler Köksal meint: "Unter der Giftwolke von August Thyssen wird kein Grün wachsen. Da bin ich mir ganz sicher."

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