Durchbruch bei EU-Gipfel Europa will Weltmeister im Klimaschutz werden

Die EU feiert ihren Beschluss zum Klimaschutz als historisches Signal, das auch die USA und China beeindrucken wird. Doch bisher stehen nur abstrakte Ziele für 2020 auf dem Papier: 20 Prozent weniger CO2, 20 Prozent erneuerbare Energien. Die wahren Probleme kommen jetzt bei der Umsetzung.

Brüssel - "Handlungsfähigkeit bewiesen", "Flagge gezeigt", "Glaubwürdigkeit gewahrt" - mit einem Schwall von Phrasen lobte Angela Merkel die Beschlüsse des EU-Frühjahrsgipfels unter deutscher Ratspräsidentschaft. Sie sei persönlich "sehr zufrieden", sogar "glücklich" über den erzielten Kompromiss, sagte die Kanzlerin.

EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso war sogar noch begeisterter. Das sei ein "historisches Ergebnis", schwärmte der Portugiese in der gemeinsamen Abschlusspressekonferenz. Es sei "der bedeutendste Gipfel", an dem er je teilgenommen habe. "Wir können der Welt wieder sagen: Europa übernimmt die Führung."

Dickes Lob bekam Kanzlerin Merkel für ihre Arbeit. Frankreichs Präsident Jacques Chirac sagte: "Frau Merkel hat das mit Intelligenz und Eleganz gemacht." Dänemarks Regierungschef Anders Fogh sagte im SPIEGEL-ONLINE-Interview: "Frau Merkel macht einen exzellenten Job. Sie ist bestens mit der Materie vertraut. Sie kennt die Details, und der Teufel steckt im Detail."

Auf den ersten Blick konnte das Duo Merkel-Barroso tatsächlich zufrieden sein. Alle Punkte der Abschlusserklärung wurden wie vorgeschlagen beschlossen - am Ende sogar zügiger als die Tagesordnung es vorsah. Zum ersten Mal einigte sich die EU auf eine gemeinsame Klima- und Energiepolitik:

  • Bis 2020 soll der Treibhausgas-Ausstoß um 20 Prozent gegenüber dem Jahr 1990 reduziert werden.
  • Obendrein soll bis 2020 der Anteil erneuerbarer Energien am EU-Energiemix von derzeit 6,5 Prozent auf 20 Prozent steigen.

"Das ehrgeizigste Klimaschutzprogramm der Welt"

Merkel liegt also nicht falsch, wenn sie von einem "qualitativen Durchbruch" und einer "neuen Dimension der europäischen Kooperation" spricht. Barroso weist zurecht darauf hin, dass dies das ehrgeizigste Klimaschutzprogramm der Welt ist.

Doch die Probleme beginnen jetzt erst. Denn der EU-Rat hat nur ein abstraktes Ziel formuliert. Das eigentliche Ringen bleibt der EU-Kommission vorbehalten, die nun mit jedem einzelnen Mitgliedsstaat über dessen Emissionen und Energiemix verhandeln muss. Auf dem Gipfel hat Merkel schon einen Vorgeschmack darauf bekommen, wie sehr jedes Land seine eigenen Interessen verteidigt, ob sie nun Billigkohle (Polen) oder Atomenergie (Frankreich) heißen.

Besonders die Entscheidung über die erneuerbaren Energien hatte zu heftigem Streit geführt, der erst heute Morgen entschärft werden konnte. Frankreich bildete gemeinsam mit mehreren osteuropäischen Ländern eine Front gegen den Plan von Deutschland, Großbritannien, Italien und den skandinavischen Ländern, ein verbindliches Ziel festzuschreiben.

Wer büxt aus?

Deshalb steht jetzt nur die Zahl 20 auf dem Papier, aber keine Ländernamen - also nicht, wer welche Opfer zu bringen hat. Letzteres war allerdings auch von dem Gipfel nicht zu erwarten. Merkel sagte, sie habe "keinen Anlass, davon auszugehen, dass jemand ausbüxen will". Aber sie gab zu, dass die "harten Verhandlungen" noch bevorstünden. Die Kommission habe nun eine schwierige Aufgabe, die gleichwohl lösbar sei. Das Schöne sei ja, sagte Merkel grinsend, dass jeder Mitgliedsstaat sich als Sonderfall betrachte. "Damit sind sie alle wieder gleich."

Barroso versprach, verbindliche Gesetzentwürfe noch in diesem Jahr vorzulegen. Dies wird allerdings dadurch erschwert, dass die EU formal keine Zuständigkeit für die Energiepolitik hat. Die wäre erst nach Annahme des neuen Verfassungsvertrags gegeben. "Mit der Verfassung wäre es viel einfacher", sagte Barroso. So ist er auf den guten Willen der Mitgliedsstaaten angewiesen. Dabei will Barroso den heutigen Beschluss als Druckmittel einsetzen. Die Regierungschefs hätten sich schließlich politisch verpflichtet, sagte er.

Die mangelnde Macht der Kommission, den Beschluss auch durchzusetzen, könnte sich noch als Problem erweisen. Auf die Frage, was die Kommission denn mache, wenn ein Land sich weigere, hatten Barroso und Merkel keine überzeugende Antwort. Sie sehe keinen Anlass, das heute zu diskutieren, sagte die Kanzlerin unwirsch.

Brüsseler Signal an G8-Gipfel

Nachdrücklich wandte Merkel sich gegen den Eindruck, der Beschluss sei ein Formelkompromiss, der die wirkliche Entscheidung über erneuerbare Energien nur verschiebe. Große Veränderungen erfolgten in vielen kleinen Schritten, argumentierte sie. Der Grundsatzbeschluss stehe nun einmal am Anfang, anders "wäre es nichts geworden". Man habe heute eine Tür aufgestoßen. Nun stehe man in einem völlig neuen Raum, der gestaltet werden müsse.

Bei der Umsetzung des Kyoto-Protokolls sei es im Übrigen nicht anders gewesen, sagte Merkel. Erst habe die EU eine kollektive Reduktion von acht Prozent zugesagt und dann die Lasten auf die einzelnen Mitgliedsländer verteilt. Bei den erneuerbaren Energien soll es nun wieder so laufen. Länder wie Dänemark haben bereits zugesagt, ihren Anteil an erneuerbaren Energien auf 30 Prozent auszubauen. Frankreich wird wohl gestattet, seine kohlenstoffarme Kernenergie in irgendeiner Form anzurechnen.

Besonders wichtig ist den EU-Regierungschefs die Signalwirkung für die Welt. Den Brüsseler "Schwung" müsse man nutzen, um beim G8-Gipfel im Juni Selbstverpflichtungen auch von den USA und den Schwellenländern China und Indien einzufordern, sagte Merkel. Sie spüre in den genannten Ländern eine gewachsene Sensibilität für den Klimaschutz.

Doch ob der Rest der Welt sich von dem europäischen Klimasignal wirklich beeindrucken lässt, ist fraglich. Moralisch unter Druck fühlen sich die anderen großen Umweltsünder offensichtlich nicht. Die Klimawende der US-Regierung ist vor allem sicherheitspolitisch begründet: Sie will unabhängiger von Krisenherden werden. Und China und Indien lehnen Selbstverpflichtungen bisher ab - mit dem Verweis, man müsse ja wirtschaftlich noch aufholen.

Dennoch versprühten Merkel und Barroso heute Optimismus - eine zuletzt selten gewordene Haltung in der von Selbstzweifeln geplagten EU. Barroso sieht den heutigen Gipfel als Beginn eines "virtuous circle", einer Aufwärtsspirale. An dessen Ende, sagte der Portugiese, könnte die Wiederbelebung der europäischen Verfassung stehen.

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