Regierungskrise Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Fall Edathy

Ex-Abgeordneter Edathy: Viele offene Fragen
Foto: imagoWas wird Sebastian Edathy genau vorgeworfen?
Lange war nicht klar, aus welchem Grund die Behörden eigentlich gegen den früheren Bundestagsabgeordneten Edathy ermitteln. Diskutiert wurde meist auf Grundlage unbestätigter Gerüchte. Am Freitag teilte die Staatsanwaltschaft Hannover schließlich mit, weshalb sie das Verfahren gegen Edathy eingeleitet hatte: Er soll Bilder von unbekleideten Jungen im Alter von 9 bis 14 Jahren besessen haben. Es handele sich dabei um Material im "Grenzbereich zur Kinderpornografie". Anfang der Woche hatten Beamte Wohnungen und Büros des ehemaligen SPD-Bundestagsabgeordneten durchsucht, nach SPIEGEL-Informationen jedoch kaum verwertbares Material gefunden. Edathy bestreitet den Vorwurf, kinderpornografische Schriften besessen zu haben, energisch.
Woher stammen die Vorwürfe gegen Edathy?
Nach Informationen des SPIEGEL soll Edathys Name in einer Kundenkartei der kanadischen Firma Azov-Films gestanden haben, wo er von 2005 bis 2010 Kunde gewesen sein soll. Auf einer Website bot das Unternehmen damals "naturistische" Filme von minderjährigen Jungen zum Kauf oder Download an, die vordergründig legal erschienen. Im vergangenen November wurde jedoch bekannt, dass Azov-Chef Brian Way und seine Partner auch mit härteren Filmen gehandelt haben sollen.
Im Rahmen einer internationalen Polizeioperation namens "Spade" (Spaten) wurde jahrelang gegen sie ermittelt und das Unternehmen schließlich als kriminelle Vereinigung enttarnt. In Deutschland war das Bundeskriminalamt (BKA) für die weiteren Ermittlungen zuständig. Laut Staatsanwaltschaft Hannover soll Edathy in Kanada neun Bestellungen mit insgesamt 31 Produkten getätigt haben.
Weil Sebastian Edathy Kinderpornos besessen haben soll, ermittelt gegen ihn die Staatsanwaltschaft. Was gilt als Kinderpornografie? Und warum durften die Ermittler seine Wohnung durchsuchen? Die wichtigsten Fragen und Antworten. Mehr...
War das Vorgehen der Ermittlungsbehörden angemessen?
Das ist schwer zu beurteilen. Edathy sagte SPIEGEL ONLINE, dass ihm die Staatsanwaltschaft Hannover "ausdrücklich kein strafbares Verhalten" vorwerfe und kritisierte ihr Vorgehen deshalb als "unverhältnismäßig". Die Behörde wies die Kritik zurück. Nach der heutigen Pressekonferenz der Staatsanwaltschaft ist klar: Die Ermittler hatten vor den Durchsuchungen keine eindeutigen Hinweise darauf, dass Edathy illegale Kinderpornografie besessen haben soll. Es gab jedoch Hinweise auf sogenanntes Posing-Material, also Fotos oder Videos von nackten Kindern oder Jugendlichen, die ihre Genitalien, aber keine sexuellen Handlungen zeigen.
Die Ermittler hatten sich dennoch entschieden, ein Verfahren einzuleiten. Wer grenzwertiges kinderpornografisches Material bestelle, dies bei einer Firma im Ausland tue und dabei konspirativ vorgehe, so die Staatsanwaltschaft, dürfte womöglich auch im Besitz von Material sein, das in Deutschland strafbar sei. Allerdings lässt sich darüber streiten, ob es wirklich angemessen ist, die öffentliche Existenz eines Menschen wegen eines relativ dünnen Verdachts derart aufs Spiel zu setzen.
Aus juristischer Perspektive war das Vorgehen der Ermittler aber anscheinend nicht ungewöhnlich: In Kombination mit anderen Indizien könne auch der Besitz legaler Dinge ausreichen, um einen Anfangsverdacht für eine Durchsuchung zu rechtfertigen, sagt Martin Heger, Professor für Strafrecht an der HU-Berlin. "Hier gibt es durchaus einen Ermessensspielraum der Staatsanwaltschaft."
Was hat Hans-Peter Friedrich mit dem Fall zu tun?
Friedrich war noch Bundesinnenminister, als er im Oktober 2013 über einen möglichen Fall Edathy informiert wurde - nach Angaben seines Sprechers von seinem Staatssekretär. Das BKA hatte dem Beamten demnach den Hinweis gegeben, dass der Name Sebastian Edathy bei internationalen Ermittlungen aufgetaucht sei. Angeblich, so Friedrich, seien die Informationen jedoch "nicht strafrechtlich relevant" gewesen. Dennoch gab er die Nachricht an seine künftigen Koalitionspartner von der SPD weiter: Noch im Oktober informierte er den SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel, der daraufhin Frank-Walter Steinmeier und Thomas Oppermann einweihte.
Durfte Friedrich die SPD-Spitze überhaupt informieren?
Problematisch ist Friedrichs Verhalten in jedem Fall - schließlich könnten Gabriel, Steinmeier oder Oppermann ihren Parteifreund Edathy daraufhin gewarnt haben. Bereits Ende November, so die Staatsanwaltschaft Hannover, soll beispielsweise ein Rechtsanwalt die Behörde kontaktiert haben, der um ein vertrauliches Gespräch zu Edathy bat. Er habe nach einem Verfahren gegen den SPD-Politiker gefragt, bei dem es um "irgendetwas mit Kinderpornografie" gehe.
Ermittler im Fall Edathy warfen Friedrich wegen seiner Mitteilung an die SPD-Spitze bereits am Donnerstag Strafvereitelung vor. Ulrich Battis und Christoph Degenhart, beides Experten für Staats- und Verwaltungsrecht, sagten SPIEGEL ONLINE am Donnerstag, dass der CSU-Politiker mit der Weitergabe der Informationen sein Amtsgeheimnis verletzt habe. Doch nicht alle Juristen teilen diese Meinung.
Warum tritt Friedrich nun zurück?
Die Staatsanwaltschaften Berlin und Hannover prüfen seit Donnerstag, ob sie gegen Friedrich wegen Geheimnisverrats ermitteln werden. Seitdem stieg der Druck auf den CSU-Politiker, der in der Großen Koalition vom Innen- ins Agrarministerium gewechselt war: Erste Rücktrittsforderungen aus der Opposition wurden laut, Bundeskanzlerin Merkel verweigerte ihm am Freitag die Rückendeckung. Friedrich kündigte daraufhin am Freitagnachmittag seinen Rücktritt an.
Die Entscheidung über strafrechtliche Ermittlungen gegen ihn fällt voraussichtlich in der kommenden Woche. Interessantes Detail: Die "Ermächtigung zur Strafverfolgung" muss in diesem Fall laut § 353b zuvor vom aktuellen Innenminister erteilt werden. Friedrichs Unionskollege Thomas de Maizière muss also entscheiden, ob die Staatsanwälte mit der Arbeit beginnen dürfen.
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Der Fall Edathy: Rechtliche Grauzonen
Sendetermin:
Sonntag, 16.02.2014, 22.15 - 23.30 Uhr, RTL