Stefan Kuzmany

Ehe für alle Und sie bewegen sich doch

Plötzlich scheint die Ehe für alle kein Problem mehr zu sein. Warum erst jetzt?
Demonstration in Berlin (Archivbild)

Demonstration in Berlin (Archivbild)

Foto: Kay Nietfeld/ picture alliance / dpa

So schnell kann es gehen, wenn man nur will: Am Abend erklärt die CDU-Vorsitzende die Entscheidung über die "Ehe für alle" quasi nebenbei auf einer Podiumsveranstaltung der "Brigitte" zur Gewissensfrage - und gibt damit den Abgeordneten ihrer Fraktion die Freiheit, darüber abzustimmen, wie sie wollen. Jahrelang konnten sich Merkel und die Union nicht zu dieser Öffnung durchringen, jetzt bewegen sie sich. Der SPD-Chef Martin Schulz reagiert sofort und kündigt an, noch in dieser Woche im Bundestag darüber abstimmen lassen zu wollen. Das hätten die Sozialdemokraten schon längst tun können - eine Mehrheit dafür hätte die SPD gemeinsam mit Linken und Grünen schon seit Jahren gehabt. Jetzt wagen sie endlich, was bisher nicht ging.

Die einen zauderten aus Rücksicht auf die letzten Konservativen in der eigenen Partei, die anderen aus Angst davor, als Koalitionsbrecher gebrandmarkt zu werden - aber nun geht es ganz schnell und als sei es im Grunde nie ein Problem gewesen: Die verbindliche Partnerschaft von Mann und Mann sowie Frau und Frau wird endlich der von Mann und Frau uneingeschränkt gleichgestellt. Die "Ehe für alle" wird Realität.

Rationale Argumente dagegen gab es sowieso noch nie. Dass ein zu verehrendes höheres Wesen etwas dagegen haben könnte, wenn gleichgeschlechtliche Paare sich standesamtlich aneinander binden, mag für religiöse Menschen eine Rolle spielen - kann aber kein Maßstab sein für eine staatliche Entscheidung. Dass die herkömmliche Ehe von Mann und Frau durch eine gleichgeschlechtliche Variante irgendwie ge- oder gar zerstört werden könnte, ist eine schon immer unsinnige Vorstellung gewesen. Dass gleichgeschlechtliche Paare nicht genauso fähig sein könnten, Kinder zu erziehen, wie ein Mann und eine Frau, ist ein seit jeher unhaltbares Vorurteil. Warum gleichgeschlechtliche Paare also nicht die gleichen Rechte haben sollten wie gemischtgeschlechtliche - auf diese Frage gab es noch nie eine schlüssige Antwort. Wenn der Bundestag demnächst die "Ehe für alle" beschließt, beschließt er im Grunde eine Selbstverständlichkeit.

Warum erst jetzt? Warum hat es so lange gedauert? Es ist Wahlkampf. Die SPD hat die Union unter Druck setzen wollen, Martin Schulz wollte Angela Merkel als Modernisierungsverweigerin vor sich her treiben. Zudem haben Grüne und FDP angekündigt, nur mit einer Partei koalieren zu wollen, die die Ehe für alle umsetzen will. Merkel blieb also kaum etwas anderes übrig, als ihre Partei zu bewegen - mit irgendjemandem muss sie ja koalieren, wenn sie am 24. September gewinnen sollte. Und nebenbei nahm sie mit ihrer nebensätzlichen Ankündigung der hungernden SPD ein weiteres Wahlkampfbutterstückchen vom Brot.

Man darf unterstellen, dass es weder SPD noch Union bei ihren Manövern tatsächlich um die Sache geht. Die einen brauchten dringend ein Wahlkampfargument, die anderen wollten dieses schnell entkräften. Ihre Mitglieder und Wähler werden ihre Wahlentscheidung kaum von der Einräumung eines Minderheitenrechts abhängig machen - zumal die Entscheidung für die übergroße Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger vollkommen folgenlos bleiben wird. Einige CSU-Leute grummeln jetzt, manch ultrakonservativer Unionsanhänger wird nun womöglich doch die gestrige AfD wählen. Was soll's, die werden sich beruhigen. Merkel führt jede Umfrage komfortabel an, sie kann's verschmerzen.

Man könnte das Geschacher um die Ehe für alle für zynisch halten: Jahrzehntelang wurde einer Minderheit ein Grundrecht verweigert, jetzt plötzlich gesteht man es ihr zu - aber nicht aus Einsicht der Ungerechtigkeit, sondern aus rein wahltaktischen Erwägungen. Wo bleibt da der Respekt, wo die Ernsthaftigkeit angesichts der lebensverändernden, historischen Tragweite dieser Änderung für Schwule und Lesben?

Doch genau diese historische Bedeutung, diese neu gewonnene Freiheit für so viele Lebensentwürfe, sollte der Grund dafür sein, jetzt nicht länger griesgrämig zu sein. Mag sein, dass es schöner gewesen wäre, hätte es einen echten Sinneswandel in der Union gegeben - aber letztlich ist es doch irrelevant, aus welchen Gründen sie sich nun bewegt. Gleichgeschlechtliche Partnerschaften werden endlich gleichgestellt. Das ist eine gute Nachricht. Und ein Grund zur Freude: Unsere Gesellschaft wird freier, gerechter, offener. Einfach so, von einem Tag auf den anderen.

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