Ehegattensplitting Abschied von der Otto-Normal-Familie

Ehegattensplitting auch für Homo-Ehen - das ist nicht mehr nur eine Forderung von engagierten Schwulen-Politikern wie Volker Beck, sondern womöglich verfassungsrechtlich zwingend geboten. Diesen Schluss ziehen jedenfalls jetzt die Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestags aus einem im Sommer ergangenen Urteil des Bundesverfassungsgerichts.
Für Konservative ist das eine Horrorvision. Für sie gehört der Steuervorteil, den der Staat seit den fünfziger Jahren gewährt, zur Ehe wie das Ja vorm Altar. Ein auch für gleichgeschlechtliche Paare, das sei ein Gedanke, "der überhaupt nicht unseren Einstellungen entspricht", kommentierte Bayerns CSU-Justizministerin das dementsprechend verschnupft.
Aber auch die Lesben und Schwulen freuen sich bisher auffallend leise über den Richterspruch. Vielleicht ist ihnen klar, was noch keiner laut sagen mag: Wenn auch Paare, die in der Regel keine Kinder aufziehen, in den Genuss einer Leistung kommen, die immer noch als ein Segen für die Familien gilt, dann könnte das der berühmte Tropfen sein, der das Fass zum Überlaufen bringt. Das Gewähren von Steuervorteilen auch für homosexuelle "Ehe"-Paare könnte zugleich das Ende dieser Privilegien einläuten.
Das Ehegattensplitting ist vielen schon lange ein anachronistisches Ärgernis. Es entmutigt junge Mütter zu arbeiten, weil ihr (Teilzeit-)Einkommen besonders hoch besteuert wird. Denn die steuerliche Entlastung für den (Vollzeit-)arbeitenden Ehemann fällt umso höher aus, je weniger seine Frau verdient. Dabei ist die Ersparnis einkommensabhängig: Bei einem Durchschnittsgehalt beläuft sich der Vorteil für den Alleinverdiener auf rund 250 Euro im Monat; die nichtverdienende Gattin eines Spitzenverdieners hingegen kann mit mehr als tausend Euro "abgesetzt" werden. Die Schweden haben das Splitting schon in den siebziger Jahren abgeschafft, um die Gleichstellung auf dem Arbeitsmarkt voranzutreiben. Bis auf Luxemburg gewährt heute kein europäisches Land mehr seinen Ehepaaren derartige Vorteile.
Aber nicht nur Frauenbeauftragte sind gegen das Splitting. Auch Familienpolitiker aller Couleur - linke, grüne, liberale und sogar einige Christdemokraten - halten das Instrument für überholt, um Familien zu fördern. Heute leben in über der Hälfte aller Ehe-Haushalte keine Kinder mehr. Diese Realität hat auch das Verfassungsgericht gesehen. In seinem Urteil ging es um den Anspruch von Hinterbliebenenrente für den eingetragenen Lebenspartner eines schwulen Angestellten. Die Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder hatte argumentiert, nur Eheleuten stünde diese Art Witwenrente zu, weil nur ihnen durch das Aufziehen von Kindern Rentennachteile entstünden. Schwule hätten ja in der Regel keine Kinder.
Diese Begründung ließen die sieben Herren und die eine Dame des Ersten Senats nicht gelten. "Nicht in jeder Ehe gibt es Kinder", steht in ihrem Urteil. "Es ist auch nicht jede Ehe auf Kinder ausgerichtet." Sogar bei Ehen mit Kindern steche das Argument nicht mehr: Es könne nicht "unterstellt werden, dass in Ehen eine Rollenverteilung besteht, bei der einer der beiden Ehegatten deutlich weniger berufsorientiert wäre". Die "Versorgerehe" habe als "Maßstab" für die Zuweisung von Hinterbliebenenleistungen ausgedient.
Das ist eine Argumentation, die es in sich hat. Weil die Versorgerehe ausgedient hat, dürfen auch Homosexuelle nicht von staatlichen Zuwendungen für Eheleute ausgeschlossen werden, die einst mit der Versorgerehe begründet wurden. Im Umkehrschluss heißt das: Der Staat privilegiert eine Familieninstitution, die nicht mehr die Norm ist.
20,6 Milliarden Euro kostet der Anachronismus
Im Falle des Ehegattensplittings ist das kein geringer Posten. 20,6 Milliarden Euro weist der letzte Familienfinanzbericht von Bundesfamilienministerin für das Ehegattensplitting aus. Darf dieser Vorteil überhaupt noch als Familienförderung verbucht werden, wenn überwiegend kinderlose Haushalte davon profitieren?
Unter den unterzeichnenden Richtern sticht ein Name hervor: Christine Hohmann-Dennhardt, die einzige Frau im Ersten Senat. Vor ihrer Berufung an Deutschlands höchstes Gericht bekleidete die Sozialdemokratin acht Jahre lang Ministerämter in Hessen. Auch in Karlsruhe schlägt ihr Richterherz weiter links. Im Februar 2007 wirkte sie an einem Urteil mit, das mit einem anderen Relikt aus der Ära der Hausfrauen-Ehe aufräumte: dem deutschen Unterhaltsrecht. Als Folge aus diesem Urteil gesteht der Gesetzgeber verheirateten Müttern heute nicht mehr und länger Unterhalt nach der Trennung zu als unverheirateten.
Keine Frau kann mehr darauf setzen, dass sie durch eine gute Partie lebenslang abgesichert ist. Junge Mütter müssen ihr eigenes Geld verdienen, wenn sie nicht im Scheidungsfall zum Sozialfall werden wollen. Insofern hat bereits das Unterhaltsurteil des Verfassungsgerichts Sinn und Zweck des Ehegattensplittings unterminiert. Denn während der Steuervorteil für die Einverdiener-Ehe Frauen geradezu animiert, zu Hause zu bleiben, setzt das neue Unterhaltsrecht die eigene Erwerbstätigkeit von Ehefrauen voraus.
Hohmann-Dennhardt hat schon 2006 in einem vielbeachteten Zeitungsinterview ihr richterliches Visier gelüftet. Ausdrücklich verneinte sie, dass das Ehegattensplitting verfassungsrechtlich geboten sei. Man könne das Geld anders für Familien verwenden - sei es durch ein neues, zeitgemäßes Steuerinstrument wie das Familiensplitting, das Kinder mit in die Berechnung aufnimmt. Oder etwa durch den Ausbau von Kinderbetreuung. "Für mich", sagte die rote Richterin, "steht außer Frage, dass im Bereich der Kinderbetreuung massiv etwas getan werden muss."
Mit 20 Milliarden Euro im Jahr könnte Vater Staat viele der Krippen bauen und betreiben, die heute fehlen. Vielleicht können sich junge Eltern irgendwann bei den Vorkämpfern für die Homo-Ehe dafür bedanken.