Im Alter von 94 Jahren Ehemaliger SPD-Chef Hans-Jochen Vogel ist tot

Die letzten Jahre seines Lebens verbrachte Hans-Jochen Vogel zurückgezogen in einem Seniorenheim in München. Nun ist der ehemalige SPD-Chef gestorben. Er wurde 94 Jahre alt.
Der SPD-Politiker Hans-Jochen Vogel am 31.01.1983 in München

Der SPD-Politiker Hans-Jochen Vogel am 31.01.1983 in München

Foto: Frank Leonhardt/ dpa

Der frühere SPD-Chef Hans-Jochen Vogel ist tot. Er starb am Sonntagmorgen im Alter von 94 Jahren in München, wie die Deutsche Presse-Agentur aus dem Umfeld der Familie erfuhr.

Mit 34 Jahren wurde der 1926 in Göttingen geborene Professorensohn Oberbürgermeister in München - und damit jüngstes Stadtoberhaupt einer deutschen Großstadt. Die 4444 Amtstage an der Isar prägten Vogel stärker als spätere Stationen: Er trug etwa dazu bei, die Olympischen Spiele 1972 nach München zu holen. Wegen heftiger Auseinandersetzungen mit der SPD-Linken warf der damalige Vertreter der Parteirechten das Handtuch und ging in die Bundespolitik.

Die Karriere von Hans-Jochen Vogel war geprägt von vielen Glanzpunkten, aber auch Niederlagen: Von 1972 bis 1974 war Vogel im zweiten Kabinett Willy Brandts Bundesbauminister. Als Willy Brandt zurücktrat und Helmut Schmidt Bundeskanzler wurde, übernahm Vogel bis 1981 das Amt des Bundesjustizministers. In seine Amtszeit fielen unter anderem die Reform der Abtreibungsfrage und der Terror der Roten Armee Fraktion (RAF).

"Die schwierigste Entscheidung, an der ich beteiligt war, war die Entscheidung nach der Entführung von Hanns Martin Schleyer und nach der Entführung der 'Landshut'", sagte Vogel. Es war die Entscheidung, der Forderung der RAF-Terroristen nicht nachzugeben. Schleyer starb. "Das ist etwas, was einen auch heute noch beschäftigt", sagte Vogel rückblickend.

Diese Monate waren es, die Vogel und Schmidt zusammenschweißten. "Für mich war er eine große Stütze in den Jahren des RAF-Terrorismus", schrieb Schmidt später. Aus Weggefährten wurden Freunde.

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Von München nach Bonn und Berlin: Das Leben von Hans-Jochen Vogel in Bildern

Foto: Georg Göbel/ dpa

Als der Regierende Bürgermeister Berlins Dietrich Stobbe zurücktrat, verabschiedete sich Vogel aus der Bundespolitik und wurde für knapp vier Monate Regierender Bürgermeister von Berlin. Bei der nächsten Wahl unterlag er allerdings dem Gegenkandidaten der CDU, Richard von Weizsäcker. Danach blieb Vogel bis 1983 Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses und Vorsitzender der Berliner SPD-Fraktion. 

Bei den Neuwahlen 1983 suchte Bundeskanzler Helmut Kohl Bestätigung. Nachdem Helmut Schmidt als Kanzlerkandidat nicht mehr zur Verfügung stand, wurde Vogel als solcher gehandelt. Doch er unterlag.

Dass er ein tüchtiger Bundeskanzler geworden wäre, davon waren nicht nur Weggefährten wie Helmut Schmidt überzeugt. Grund für Verbitterung, dass ihm dieser Gipfel versagt blieb, sah Vogel aber nicht. "Die Belohnung für ein engagiertes und nicht eben unfleißiges Leben sehe ich darin, dass ich mit mir einigermaßen im Reinen bin. Das ist mir wichtiger, als wenn ich damals gegen Helmut Kohl Kanzler geworden wäre", zog Vogel in der Rückschau Bilanz.

Stattdessen zog Vogel einfach als Abgeordneter aus Berlin wieder in den Bundestag ein. Er wurde rasch zum Fraktionsvorsitzenden gewählt, der er bis 1991 blieb. Bis 1994 saß er als Abgeordneter im Bundestag.

Von 1987 bis 1991 wurde Vogel als Nachfolger von Willy Brandt Chef der SPD.

Vogel diskutierte bis ins hohe Alter gern über aktuelle Fragen

In der SPD galt Vogel zeitlebens als gutes Gewissen mit unerschütterlichen moralischen Grundsätzen. Mit seinem letzten Buch "Mehr Gerechtigkeit" wollte Vogel ein letztes Mal Einfluss auf die Programmatik seiner Partei nehmen.

Abgesehen vom großen Thema "soziale Gerechtigkeit" trieb Vogel bis ins hohe Alter aber noch ein anderes Problem um: der drohende Zerfall Europas. Schon als der Austritt Großbritanniens aus der EU sich erstmals abzeichnete, sagte Vogel, dass 70 Jahre Frieden in Europa nur durch die Überwindung des Nationalismus möglich geworden seien. "Wir haben in einem gemeinsamen europäischen Haus zueinandergefunden."

Vogel ermahnte seine Partei, selbstbewusst zu sein

Seine Parkinson-Erkrankung hatte Vogel erst wenige Jahre vor seinem Tod öffentlich gemacht, bis zuletzt lebte er mit seiner Frau Liselotte in einer Seniorenresidenz in München. Hier ließ er sich - sofern es seine Gesundheit zuließ - von Freunden, von Journalisten und auch Parteifreunden besuchen. Mit ihnen diskutierte er dann auch gern über hochaktuelle Fragen  wie die Flüchtlingskrise oder die Gefahren, die von rechten Strömungen ausgehen. Wer Vogel erreichen wollte, der brauchte aus heutiger Sicht viel Geduld - bis zu seinem Tod verschmähte er Handy und Computer.

Vogel fühlte und litt auch hochbetagt noch immer mit - mit der Politik, mit seiner Partei, auch mit seinen Nachfolgern. Und dann ermahnte er seine Partei, selbstbewusst zu sein: "Was die Sozialdemokratie für Freiheit und Demokratie und Gerechtigkeit in 150 Jahren geleistet hat! Wir sollten nie in Vergessenheit geraten lassen, dass die Sozialdemokraten 1933 die Ehre der Demokratie hochgehalten haben. Wir sind nicht eine Tageserfindung, sondern wir sind ein gestaltendes Element der deutschen Geschichte."

mfh/dpa/AFP
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