
Mission am Hindukusch: Deutschlands Einsatz in Afghanistan
Einsatz am Hindukusch Deutschland drängte sich für Afghanistan-Krieg auf
Hamburg - Die deutsche Beteiligung am Afghanistan-Krieg war zu keinem Zeitpunkt zwingend. Stattdessen hat die damalige Bundesregierung den USA militärische Hilfe aufgedrängt. Das ergeben umfangreiche Recherchen des SPIEGEL, die zehn Jahre nach den Anschlägen des 11. September 2001 einen neuen Blick auf den bis heute andauernden deutschen Einsatz in Afghanistan erlauben. Das Team hat etliche Dokumente untersucht, darunter Vermerke aus dem Kanzleramt, Depeschen aus dem Auswärtigen Amt und Teile des Schriftverkehrs mit US-Präsident George W. Bush. Ein Beispiel: Der damalige US-Außenminister Colin Powell wird in einem dem SPIEGEL vorliegenden Drahtbericht des deutschen EU-Botschafters vom 12. September mit den Worten zitiert, die USA brauchten "keine konkrete Hilfe".
Auch die Wendung von der "uneingeschränkten Solidarität", die der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder den USA unmittelbar nach den Anschlägen zugesichert hatte, entstand eher zufällig. So heißt es in einem Drahtbericht der deutschen Botschaft in Washington vom 11. September: "Ohne Zweifel werden die USA von uns und anderen engen Alliierten politisch und praktisch uneingeschränkte Solidarität erwarten."
Nach Informationen des SPIEGEL hatte der Bundesnachrichtendienst einen weit größeren Anteil an der Aufklärung der Attentate als bislang bekannt. In den Stunden nach dem Anschlag hörte der Dienst zwei Telefonate mit, in der Mitarbeiter einer radikalen Wohlfahrtsorganisation in Afghanistan Osama Bin Laden als Urheber der Anschläge nannten und detaillierte Angaben zur Zahl der Terrorpiloten und deren Flugausbildung in den USA machten.
Zweifel am Sinn des Afghanistan-Einsatzes
Unterdessen beginnt zehn Jahre nach den Anschlägen auch eine neue Debatte über den Sinn des deutschen Afghanistan-Einsatzes. Viele der 2001 handelnden Personen zweifeln ihn inzwischen an. "Wir hatten uns mit einer fast schon arroganten Unbescheidenheit, mit unangemessenen Mitteln unrealistische Ziele gesetzt und unerfüllbare Erwartungen geweckt", sagt der Afghanistan-Beauftragte Michael Steiner, der damals Schröders Sicherheitsberater war. "Wir brauchten fast ein Jahrzehnt, die nötige Demut vor der Realität zu erlernen. Aber das haben wir jetzt getan."
Auch der damalige Innenminister Otto Schily sieht die deutsche Beteiligung inzwischen kritisch: "Wir sind da in einen Konflikt geraten, der manchen Fehler zwangsläufig entstehen lässt." Wenn man ein Dorf bombardiere, um einen Terroristen zu töten, "dann haben Sie einen Terroristen getötet und hundert neue geschaffen", sagt er. "Meine Skepsis, was Afghanistan angeht, ist sehr gewachsen. Das gebe ich zu."
Frank-Walter Steinmeier, 2001 Kanzleramtschef und heute SPD-Fraktionsvorsitzender, sagt, es sei sicherlich "zu anspruchsvoll" gewesen, was man sich und für Afghanistan versprochen hatte. Deshalb habe man das Ziel korrigiert: "Die Musterdemokratie nach westeuropäischem Modell ist ja schon seit Jahren nicht mehr das propagierte Ziel."