Kommunalpolitikerin in München "Schaut her, junge Frauen, traut euch das zu"

Dorothea Wiepcke, 37, macht Lokalpolitik in München, 40 Stunden die Woche. Außerdem hat sie einen Teilzeitjob. Und eine Familie, drei Kinder unter zehn. Wer jetzt sagt, "Boah, wie schafft sie das?", sollte diese Geschichte lesen.
Dorothea Wiepcke und ihr mittlerer Sohn vor dem Kindergarten in Schwabing, München.

Dorothea Wiepcke und ihr mittlerer Sohn vor dem Kindergarten in Schwabing, München.

Foto: Luise Aedtner/ SPIEGEL ONLINE

Es ist kurz vor zwei, ein Freitagnachmittag im Mai in München, und Dorothea Wiepcke sagt: "Ach, scheiße, die Muffins."

Die Muffins sind zu Hause, Wiepcke ist auf einem Termin mit der Verwaltung in Schwabing. Es wird überlegt, wie man mehr Bäume im Domagkviertel pflanzen könnte, die Sache zieht sich. Bald wird Wiepckes Sohn beim Kindergartenfest singen, sie will nicht zu spät kommen. Und sie will nicht ohne die Muffins aufkreuzen, schließlich hat sie sich in die Kuchenliste eingetragen.

Es ist einer dieser Tage, an denen Dorothea Wiepcke, 37, Stadträtin, Mutter, wieder einmal bewusst wird, warum sie so sehr für die bessere Vereinbarkeit von Familie und Job kämpft. Es gehe ihr nicht darum, betont sie, Frauen auf Familie und Kinder zu reduzieren. Sondern darum, dass Eltern, Mütter und Väter, im Beruf nicht benachteiligt werden, nur weil sie Kinder haben. Dass Familie nicht nur auf der Mutter abgeladen wird.

Die Gruppe im Domagkviertel hat gerade andere Sorgen. Sie überlegen, wie man den Anwohnern entgegenkommen kann. Denn viele finden, das Schwabinger Neubauviertel vertrage mehr Bäume, mehr Gras, mehr Grün. Eine Bürgerinitiative - "Mehr Grün im Domagkviertel" - hat sich formiert. Bei dem Treffen einigt man sich, dass noch maximal zwei Handvoll Bäume entlang der Straßen nachgepflanzt werden können, gegen die Betonwüste.

Dann sagt Wiepcke: "Ihr müsst jetzt allein weitermachen, servus, ich muss weg.

Frauen in der Kommunalpolitik

Am 26. Mai ist in vielen Teilen Deutschlands Kommunalwahl. Frauen sind auf kommunaler Ebene bislang nur selten in politischen Ämtern vertreten. Weniger als zehn Prozent aller Bürgermeister Deutschlands sind weiblich. In kleineren Gemeinden sind besonders wenige Frauen in politischen Führungspositionen zu finden. Hier stellen wir einige von ihnen vor. Sie bestätigen die Statistik: Fast alle sind über 50 Jahre alt und haben keine oder bereits erwachsene Kinder. Sie verbindet ein sehr hohes Arbeitspensum mit manchmal bis zu 80 Wochenstunden.

Wiepcke ist verheiratet, Mutter von drei Kindern, acht und vier und eins, sie hat einen Hund und einen Teilzeitjob mit 15 Stunden die Woche, verteilt auf drei Vormittage. Und sie sitzt für die CSU im Münchner Stadtrat.

Das politische Mandat als Stadträtin ist ein Ehrenamt, aber eines, das vergütet wird. Stadträte in München erhalten monatlich knapp 2300 Euro brutto. Eigentlich sei es beinahe ein Vollzeitjob, sagt Wiepcke.

"Pro Woche bin ich, mit allem Drum und Dran, - vorbereiten, E-Mails von Bürgern beantworten, Veranstaltungen besuchen -, so 30 bis 40 Stunden beschäftigt." An drei bis vier Abenden in der Woche sei sie nicht zu Hause.

"Das soll jetzt bloß nicht abschrecken", schiebt sie schnell hinterher. "In der Kommunalpolitik kann man viel bewirken." Wiepcke findet, viel mehr Frauen sollten es wagen, für den Stadtrat oder den Gemeinderat zu kandidieren, oder für ein Bürgermeisteramt. Und sich nicht zu lange mit den Fragen aufhalten: Kann ich das? Schaffe ich das? "Das bremst. Manchmal ist es besser, ins kalte Wasser zu springen."

Es fehlen Frauen in politischen Ämtern, auf Bundes- und Landesebene, aber besonders in der Kommunalpolitik. So saßen in den kommunalen Vertretungen, den Kreistagen und Gemeinderäten, im Jahr 2017 im Bundesdurchschnitt nur 27 Prozent Frauen. Daran werden wohl auch die Kommunalwahlen nicht viel ändern, die an diesem Sonntag in vielen Bundesländern stattfinden. Bayern ist nicht dabei.

Der Takt, den ein politisches Mandat mit sich bringt, ist oft schwer vereinbar mit dem einer Frau, die auch noch Mutter ist. Vater und Politiker, das funktioniert besser. Für manche Mütter ist ein politisches Amt in der Lokalpolitik schlicht nicht machbar: Weil sie alleinerziehend sind oder sich ein unbezahltes Ehrenamt nicht leisten können.

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Kommunalpolitik: Frauensache

Foto: Uwe Meinhold/ SPIEGEL ONLINE

Dorothea Wiepcke eilt in ihre Wohnung, die um die Ecke vom Domagkviertel liegt, kommt zurück mit dem Muffinblech in der Hand. In jedem Küchlein steckt ein keiner Astronaut aus Pappe. Ihr Smartphone wippt an einer Kette über der Lederjacke, während sie Richtung Kindergarten marschiert, ruft sie ihren Mann an: Er solle bitte den ältesten und den jüngsten Sohn einsammeln und separat zum Kindergartenfest kommen, sie wisse nicht, ob sie es rechtzeitig schaffe.

Wer erwarte, dass sich Frauen mehr engagieren in der Politik, der müsse auch die Strukturen schaffen, damit sie es können, sagt Wiepcke.

Zwar sind die Zeiten im Münchner Stadtrat längst vorbei, von denen die ehemalige FDP-Politikerin Hildegard Hamm-Brücher einst erzählte. Sie, die später Staatssekretärin im Auswärtigen Amt war, begann ihre politische Karriere 1948 als Abgeordnete in der bayerischen Hauptstadt. Damals, so berichtete Hamm-Brücher einmal, habe sie es mit Männern zu tun gehabt, die ihr die Türen aufhielten, zugleich aber gedacht hätten: "Frauen seien nur für den Sex da, und dass sie den Haushalt in Ordnung halten." Hamm-Brücher verteilte damals Postkarten mit der Forderung, den Satz "Männer und Frauen sind gleichberechtigt" ins Grundgesetz aufzunehmen.

Setzt sich für Eltern in der Politik ein: Dorothea Wiepcke, CSU-Abgeordnete im Münchner Stadtrat

Setzt sich für Eltern in der Politik ein: Dorothea Wiepcke, CSU-Abgeordnete im Münchner Stadtrat

Foto: Luise Aedtner/ SPIEGEL ONLINE

Am Ende stand der Satz tatsächlich drin, nach langem Kampf. Aber heute, 70 Jahre nach Verkündung des Grundgesetzes, ist Gleichberechtigung keine Selbstverständlichkeit.

Wiepcke etwa fiel ein Detail auf, das Frauen eine politische Karriere mindestens erschwert: Im politischen Ehrenamt gibt es keine Regeln für Elternzeit und Mutterschutz. Im Stadtrat haben Frauen als gewählte Vertreterinnen auch dann Anwesenheitspflicht, wenn sie kurz vor und kurz nach der Geburt des Kindes stehen. Wenn Mutter oder Kind eigentlich eine Pause bräuchten.

"Im schlimmsten Fall", sagt Wiepcke, "gehen Abstimmungen verloren, weil eine Frau, die gerade ein Kind bekommen hat, nicht da ist." Auch Elternzeit können die Räte nicht nehmen.

Aufgefallen war das, weil innerhalb der CSU-Fraktion ein Babyboom einsetzte. In der Münchner Fraktion sitzen - für CSU-Verhältnisse - relativ viele Frauen, elf von 24 Mandatsträgern sind weiblich, beinahe die Hälfte. Einige der Frauen bekamen kurz hintereinander Kinder.

Wiepcke sah Handlungsbedarf, forderte eine Elternzeit für Stadträte. 2018 gab es dafür eine Mehrheit, seitdem hat München Deutschlands ersten Stadtrat mit einer Elternzeit für Abgeordnete.

Das läuft so: Die Verwaltung muss extra Urlaub gewähren, wenn er innerhalb der Mutterschutzfristen beantragt wird. Und: Stadträte können sich bis zu sechs Monate nach der Geburt des Kindes für Sitzungen beurlauben lassen, ohne sanktioniert zu werden.

Ein Fortschritt. Aber auch einer, sagt Wiepcke, der zeige, dass bisher zu wenige junge Frauen in den Parlamenten vertreten seien, um Druck für ihre Belange ausüben zu können. Um überhaupt darauf aufmerksam zu machen. Es gehe auch um ein Signal: "Schaut her junge Frauen, es gibt jetzt Regelungen für eure Lebenssituation, ihr könnt euch ein Amt zutrauen."

Wiepcke selbst profitiert von der Änderung nicht mehr. Ihr jüngster Sohn war gerade sieben Tage auf der Welt, da saß sie zum ersten Mal wieder in einer Sitzung. Den Neugeborenen nahm sie mit. "Das war dann ausgerechnet eine Horrorsitzung. Die hat 14 Stunden gedauert", sagt Wiepcke. "Mein großes Glück war, dass die Geburt gut verlief, und es uns beiden gut ging. Aber das ist ja nicht bei jeder Frau so."

Und natürlich, sagt sie, käme es auch auf den Partner an: Würde ihr Mann, ein Arzt im Schichtdienst, sie nicht unterstützen, könnte sie den Job im Stadtrat nicht stemmen.

14.25 Uhr: Wiepcke lässt sich auf eine Bierbank im Hof des Kindergartens fallen. In den Bäumen hängen gelbe, weiße, rote Luftballons, und ganz vorne, auf dem kleinen Hügel, baut sich eine Gruppe Kinder auf, auch ihr Sohn ist dabei. Manche halten sich an den Händen. Und jetzt singen sie.

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Artikels fehlte die Einordnung, dass Stadträte in München zwar ehrenamtlich arbeiten, allerdings eine Vergütung von knapp 2300 Euro brutto im Monat erhalten. Wir haben dies nachträglich ergänzt.

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