Empörung in Regierung und Opposition Proteststurm gegen Seehofers Ausländer-Offensive

CSU-Chef Seehofer: Blick auf den rechten Rand
Foto: Jens Wolf/ dpaBerlin - Den Antrittsbesuch beim neuen Chefredakteur des "Focus" nutzte gleich für klare Worte. "Es ist doch klar, dass sich Zuwanderer aus anderen Kulturkreisen wie aus der Türkei und arabischen Ländern insgesamt schwerer tun. Daraus ziehe ich auf jeden Fall den Schluss, dass wir keine zusätzliche Zuwanderung aus anderen Kulturkreisen brauchen." Die meisten Zuwanderer seien gut integriert. "Die Integrationsverweigerer müssen wir aber härter anpacken." Seehofer forderte eine härtere Gangart: Wer ein Arbeitsplatzangebot oder eine Qualifizierung ablehne, dem müssten die Sozialleistungen gekürzt und im Wiederholungsfall gestrichen werden.
Das saß. Im Klartext heißt das: Der CSU-Chef warnt vor Zuwanderung aus der Türkei und den arabischen Ländern. Ausgerechnet an jenem Wochenende, an dem Kanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel den türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan in Berlin empfing. Beide riefen zu einer besseren Integration der Türken in Deutschland auf - dann wurden Seehofers Sätze bekannt.
Es ist eine zusätzliche Drehung in einer ohnehin aufgeregten öffentlichen Debatte. Seit dem Buch des früheren Berliner SPD-Finanzsenators und Ex-Bundesbankers Thilo Sarrazin vergeht kaum ein Tag, an dem das Thema Integration nicht diskutiert wird - zuletzt anlässlich der Feststellung des Bundespräsidenten Christian Wulff, der Islam gehöre zu Deutschland. Doch noch kein Politiker hat sich in jüngster Zeit so weit vorgewagt wie nun der bayerische Ministerpräsident Seehofer.
Am Sonntag legte Generalsekretär Alexander Dobrindt noch mal kräftig nach. "Es darf in Deutschland künftig keine zusätzliche Zuwanderung aus Kulturkreisen geben, die unsere deutsche Leitkultur ablehnen. Integrationsverweigerung und Ablehnung unserer deutschen Leitkultur sind zwei Seiten einer Medaille", sagte er. Dass man eine Million Integrationsverweigerer habe, könne doch nicht zur Konsequenz führen, "dass wir uns noch mehr potentielle Integrationsverweigerer ins Land holen". In Zukunft dürfe es nicht mehr möglich sein, Zuwanderung ohne Rücksicht auf die kulturelle Herkunft zu regeln: "Deutschland ist ein Land mit einer christlich geprägten Kultur, und das soll auch so bleiben."
Prägnanter formulierte es der bayerische Umweltminister Markus Söder im ZDF: "Natürlich braucht Deutschland Zuwanderer - aber die, die Deutschland nützen."
Die will das Thema Islam und Zuwanderung offenkundig im Gespräch halten - aber wieso? Dass es ihr um konkrete Gesetze geht, wird auch in der Union bezweifelt. CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach sagte sichtlich irritiert der "Saarbrücker Zeitung", wenn Seehofer hinter geltendes Recht zurückwolle, habe er Zweifel, ob das verfassungsrechtlich und völkerrechtlich überhaupt möglich sei. Als Beispiel nannte er den Ehegattennachzug oder den Schutz politisch Verfolgter.
So erscheinen Seehofers markige Sätze in erster Linie als Absicherung beim Wähler - nach dem Motto des CSU-Urpolitikers Franz Josef Strauß: Rechts von der Union darf es keine erfolgreiche Partei geben.
Teile der Union sind alarmiert durch Sarrazins Buchpräsentationen und jüngst den ersten Deutschlandauftritt des niederländischen Islamgegners Geert Wilders. Beide erreichen ein Publikum, das aus der Mitte der Gesellschaft zu kommen scheint. Viele Anhänger der Union haben auf die islamfreundlichen Töne des Bundespräsidenten vergrätzt reagiert. Abgeordnete berichteten in der Fraktionssitzung, an der Basis gebe es Unruhe.
Integrationsbeauftragte Böhmer schockiert
Die CSU bezieht sich auf konkrete Zahlen angeblicher Integrationsverweigerer - laut Bundesinnenministerium können rund 1,1 Millionen Menschen die deutsche Sprache nicht gut genug. Doch ausgerechnet aus dem Bundesinnenministerium muss sich Seehofer jetzt die schärfste Kritik anhören.
"Die Forderung von Seehofer geht am eigentlichen Problem vorbei", sagte der Parlamentarische Staatssekretär Ole Schröder (CDU) der "Financial Times Deutschland". "Unser Problem ist vor allem die schlechte Integration der Migranten, die in dritter und vierter Generation in Deutschland leben." Durch den Sprachnachweis beim Ehegattennachzug "verhindern wir den Zuzug von Integrationsverweigerern". Nicht jede Zuwanderung aus dem arabischen Raum führe zu Integrationsproblemen, stellte Schröder klar. "Die politisch Verfolgten aus dem Iran etwa sind häufig hoch gebildet und glühende Anhänger unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung."
Auch die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer, hat Seehofers Forderung nach einem Zuwanderungsstopp scharf zurückgewiesen. "Ich bin sehr schockiert über die Äußerungen des bayerischen Ministerpräsidenten", sagte die CDU-Politikerin der "Bild"-Zeitung. Menschen aus einem anderen Kulturkreis dürften nicht unter einen Generalverdacht gestellt werden: "Das grenzt aus und läuft allen Integrationsbemühungen zuwider." Außerdem stellt Seehofer nach Böhmers Ansicht das grundgesetzliche Recht auf Ehegatten- und Familiennachzug sowie den Schutz politisch Verfolgter in Frage.
Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, als bayerische FDP-Chefin Koalitionspartner von Seehofers CSU-Landesregierung, zeigte sich ebenfalls kritisch. "Unser Land braucht eine rationale Integrations- und Migrationspolitik", sagte sie, "keine bewusst vereinfachende populistische Debatte über einen Zuwanderungsstopp." Der Vorsitzende der Jungliberalen, Lasse Becker, sprach von "vollkommen unsinnigen Äußerungen". Deutschland brauche qualifizierte Zuwanderung, um den Fachkräftemangel auszugleichen: "Manchmal habe ich den Eindruck, Seehofer stammt selbst aus einem anderen Kulturkreis."
Gezielte Attacke gegen die Grünen - SPD zwischen allen Fronten
Die CSU will mit ihrer Offensive allerdings nicht nur ein Signal in der Union nach rechts setzen - sondern auch die Grünen angreifen, die zusehends als Hauptkontrahent in der Opposition angesehen werden. Die Grünen liegen infolge der Stuttgart-21-Proteste in Baden-Württemberg nach einer SPIEGEL-Umfrage bei 32 Prozent knapp hinter der CDU und legen auch im Bundestrend zu, weil sie immer mehr bürgerliche Wähler erreichen. Dobrindt wandte nun seine integrationspolitische Kritik auch gegen die Grünen-Spitze. Renate Künast, Fraktionschefin Bundestag, müsse aus ihren "Multikulti-Träumereien erwachen", sagte er. Die Grünen mit ihrem "gestörten Verhältnis zu christlichen Werten und zur deutschen Leitkultur tragen gehörige Mitschuld daran, dass wir eine Million Integrationsverweigerer in Deutschland haben".
Die Kritik aus der CSU wurde von den Grünen umgehend pariert. Künast warf Seehofer vor, den "Rechtspopulisten" zu geben. Ein Ende der Zuwanderung sei schon lange eingetreten. Grünen-Chefin Claudia Roth forderte Seehofer auf, sich bei allen türkischen und arabischen Einwanderern zu entschuldigen. Er trage "den Sarrazinschen Rassismus und Sozialdarwinismus" in die bundesdeutsche Spitzenpolitik. Seehofer müsse "seine hetzerischen Worte" zurücknehmen und Merkel sich von ihm distanzieren.
Zwischen allen Fronten stehen die Sozialdemokraten. Ihre Anhängerschaft hatte sich entrüstet, als die Parteispitze das Ausschlussverfahren gegen Sarrazin ankündigte. SPD-Parteichef Sigmar Gabriel ließ dann auf dem vergangenen Bundesparteitag in Berlin einen Antrag für schärfere Maßnahmen gegen Integrationsverweigerer mehrheitlich durchbringen.
Seehofers Worte gingen zumindest den Sozialdemokraten aus jener Stadt zu weit, in der die meisten Türken und Araber wohnen. Berlins SPD-Innensenator Ehrhart Körting sagte, eine auf bestimmte Nationalitäten begrenzte Zuwanderungspolitik stigmatisiere hier lebende Menschen - "und dient nicht dem inneren Frieden". Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit warf Seehofer in der ARD Rechtspopulismus vor und sagte auf einer Parteiveranstaltung, eine aktive Integrationspolitik sei vor allem deshalb unterblieben, weil CDU und CSU starr an ihrer Position festgehalten hätten, Deutschland sei kein Einwanderungsland. Wowereit: "Natürlich sind Muslime Teil Deutschlands und gehören zu diesem Land. Es ist respektlos, sie nicht als Teil der Gesellschaft anzuerkennen."