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Alexander Neubacher

Energieexpertin Kemfert und ihre Irrtümer Noch und nöcher

Alexander Neubacher
Eine Kolumne von Alexander Neubacher
Claudia Kemfert ist nicht nur die bekannteste Energieexpertin Deutschlands, sondern auch die wendigste.
aus DER SPIEGEL 39/2022
Kemfert bei einer »Fridays for Future«-Demonstration 2020 in Hamburg

Kemfert bei einer »Fridays for Future«-Demonstration 2020 in Hamburg

Foto: Martin Ziemer / REX / epa-EFE

Nein, Sie müssen sich keine Sorgen machen, dass im Winter der Strom knapp wird. Sagt Prof. Dr. Claudia Kemfert, Deutschlands »berühmteste Energieexpertin« (»Stern«). Sie kennen sie bestimmt aus dem Fernsehen, von »Anne Will« und »Markus Lanz«. Allein bei der »Tagesschau« war Kemfert dieses Jahr schon mindestens ein halbes Dutzend Mal zum Interview. Der »Rheinischen Post« sagte sie: »Die Energieversorgung in Deutschland ist gesichert, auch ohne Atomkraft.«

Aus: DER SPIEGEL 39/2022

Vom Wohnzimmer in den Krieg

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Ich würde mich freuen, wenn Kemfert recht behielte. Die Erfahrung spricht allerdings dagegen. Mir scheint, Claudia Kemfert ist nicht nur die bekannteste Energieexpertin Deutschlands, sondern auch die mit den meisten Fehlprognosen.

Einem größeren Publikum wurde Kemfert im Sommer 2008 bekannt, als sie drastische Preisschübe beim Erdöl voraussagte. Kemfert wurde daraufhin als »200-Dollar-Kassandra durch die Talkshows gereicht«, schrieb seinerzeit der SPIEGEL. Dummerweise sank der Ölpreis kurze Zeit später unter 40 Euro und die Talkshow-Termine wurden vorübergehend seltener.

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Kemfert war erst dafür, die deutschen Atomkraftwerke laufen zu lassen, und dann dafür, sie abzuschalten. Beim Gas änderte sie ihre Meinung von »Gaskraftwerke sind wirkliche Brückentechnologien« (März 2011) zu »Warum Erdgas keine Brückentechnologie ist« (Juli 2022). Für das Jahr 2020 sagte sie zehn Jahre zuvor eine EEG-Umlage von »etwa 3,5 Cent« pro Kilowattstunde voraus; tatsächlich wurden es mehr als 6,7 Cent.

Zweimal wollte Kemfert in die Politik eintreten, erst für die Schwarzen, dann für die Roten. Inzwischen scheint sie Richtung Grüne zu wandern.

»Die Angst vor dem Blackout wird nur von Ewiggestrigen geschürt«, sagte Kemfert im Oktober 2021. Neun Monate später: »Wir müssen uns leider Gedanken über einen Blackout machen.«

Gleich zweimal wollte Kemfert in die Politik eintreten, erst für die Schwarzen, dann für die Roten. 2012 war sie Schattenministerin des CDU-Kandidaten Norbert Röttgen bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen. Das ging schief, also versuchte sie es im Jahr darauf im Team des SPD-Kandidaten Thorsten Schäfer-Gümbel für die Landtagswahl in Hessen. Wieder erfolglos.

Inzwischen scheint Kemfert Richtung Grüne weitergewandert zu sein. Kurz vor der jüngsten Bundestagswahl erschien eine von ihr verantwortete Analyse, wonach das Wahlprogramm der Grünen beim Klimaschutz das beste sei.

Erstaunlicherweise hat Kemferts Medienpräsenz in den Jahren nicht gelitten, im Gegenteil. Seit Putin Krieg führt, ist sie gefragt wie kaum je zuvor. Aus der Kassandranummer ist sie allerdings raus, ihre neue Rolle ist die der Optimismusbeauftragten, vielleicht wegen Robert Habeck. Ihr Tenor: Wir brauchen die Russen nicht, wir haben ja andere Quellen und außerdem Ökostrom.

Ende 2019 hatte Kemfert die USA allerdings noch scharf dafür kritisiert, dass diese den Bau der Ostseepipeline Nord Stream 2 mit Sanktionen bekämpften. Und auch ihre jüngste Botschaft, Deutschland habe Stromspeicher »noch und nöcher«, beißt sich mit Berechnungen der Bundesnetzagentur, wonach bei einem Blackout sämtliche Energiespeicher nach einer halben Stunde erschöpft wären.

»Angst und Panik ist nie eine gute Stimmung«, sagt Kemfert. Immerhin damit hat sie eindeutig recht.

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