Energiegipfel Merkel drängt zum Turbo-Ausstieg

Kernkraftwerk Isar 2: Einstieg ins Ökozeitalter
Foto: dapdBerlin - Vier Minuten und fünfeinhalb Sekunden - so viel Redezeit steht rechnerisch jedem zu, wenn sich 22 Damen und Herren für anderthalb Stunden zur Diskussion versammeln. Viel ist das wahrlich nicht, vor allem, wenn bei einem hochkomplexen Thema verschiedene Meinungen aufeinanderprallen.
Bahnbrechendes war vom Energiegipfel an diesem Freitag in der Berliner Regierungszentrale also nicht zu erwarten. Alle Ministerpräsidenten der Länder hat Angela Merkel eingeladen, dazu ihren Umweltminister, die Kollegen aus den Ressorts Wirtschaft und Verkehr, den Chef des Kanzleramts und den für die Länderkoordination zuständigen Staatsminister.
Eine große Runde, die sich schließlich doch eine halbe Stunde mehr Zeit nimmt - und dennoch mit kleinem Ergebnis wieder auseinandergeht: Einen Zeitplan für die Energiewende präsentiert die Kanzlerin anschließend bei der Pressekonferenz, Gott sei Dank im deutlich geschrumpften Kreis, als "positive Botschaft" des Treffens.
Bis zum 17. Juni soll die Energiewende gesetzlich geregelt sein, sollen Bundestag und Bundesrat den Weg freimachen für den Ausstieg aus der Atomkraft und den Einstieg ins Ökozeitalter. Merkel sieht das Land vor einer "anspruchsvollen Aufgabe". Dabei muss ihr klar sein, dass sie sich den Druck selbst auferlegt hat, als sie nach dem Beginn der Fukushima-Katastrophe hektisch das dreimonatige Atommoratorium ausrief. Das läuft Mitte Juni aus, dann brauchen alle Rechtssicherheit.
Schöne Schlagworte
Wie nun innerhalb weniger Wochen die schönen Schlagworte vom beschleunigten Ausbau regenerativer Energien, von Netzausbau und schnelleren Genehmigungsverfahren, von Energieeffizienz, Wettbewerbsfähigkeit und Versorgungssicherheit mit Inhalt gefüllt werden, das bleibt nach dem Spitzentreffen vage. "Wir alle wollen schnellstmöglich aus der Kernenergie aussteigen", sagt Merkel. Was aber heißt schnellstmöglich? Und wie ist das zu bewerkstelligen? Was kostet das alles? Und wer bezahlt es? Diese Antworten stehen noch aus, sie müssen nun binnen weniger Wochen gefunden werden. Ein Kraftakt.
Denn es gibt viele "Unterschiede zu bewältigen" und "durchaus Differenzen, wer wann welche Entscheidungen zu treffen hat", wie Merkel es ausdrückt. Sie spricht von einem "recht konstruktiven Gespräch" mit den Ministerpräsidenten, was so viel heißen dürfte wie: Wirklich weitergekommen sind wir noch nicht. "Extrem enttäuschend" findet der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) das Treffen deswegen. Beck allerdings ist auch sauer, weil er eine Staatsministerin als Vertretung nach Berlin schicken musste - er selbst eröffnete in Koblenz die Bundesgartenschau. Bei der nächsten Konferenz will Beck dabei sein, und dann müsse "Butter bei die Fische".
Immerhin betont Becks Parteifreund und Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsident Erwin Sellering, der nach dem Energiegipfel vor den Journalisten die SPD-Seite vertritt, mehrfach seinen Willen, "gemeinschaftlich" nach Lösungen zu suchen. Den Sechs-Punkte-Plan "für eine beschleunigte Energiewende in Deutschland", den CDU-Umweltminister Norbert Röttgen und Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) jüngst vorlegten, haben die Sozialdemokraten jedoch bereits als "völlig unkonkret" verworfen. Und Parteichef Sigmar Gabriel zeigte sich im SPIEGEL-ONLINE-Interview zwar bereit zum Energiekonsens, stellte aber zugleich Bedingungen. Die Genossen wollen
- den Atomausstieg bis spätestens 2020 vollziehen,
- alle sieben im Rahmen des Atommoratoriums vorübergehend abgeschalteten Altmeiler sowie den Pannenreaktor Krümmel dauerhaft vom Netz nehmen,
- in ganz Deutschland ergebnisoffen nach einem Endlager für Atommüll suchen.
Auf keinen der Punkte lässt sich die Kanzlerin am Freitag ein. Als Ziel für die Restlaufzeiten nennt Merkel nur "eine deutliche Verkürzung", Jahreszahlen aber bleiben für sie tabu, genauso wie Prognosen zu den älteren Reaktoren, denen nach der Prüfung durch die Reaktorsicherheitskommission teure Nachrüstungen drohen. Auch zur Endlagerfrage gibt es keine Zusagen - nur, dass die bestehenden Lager "zeitnah" in die Sicherheitschecks miteinbezogen werden sollen.
Auch in der Frage der Kosten und deren Finanzierung will sich die Regierung weiter nicht festlegen. Mächtige Investitionen in erneuerbare Energien, in Tausende Kilometer neue Stromautobahnen und ins Energiesparen werden nötig sein, das steht fest. Einen Bericht der "Süddeutschen Zeitung", wonach die Energiewende drei Milliarden Euro pro Jahr verschlingen soll, weist Wirtschaftsminister Rainer Brüderle jedoch als Spekulation zurück.
"Entscheiden, entscheiden, entscheiden"
Mehr Geld für die Gebäudesanierung soll es wohl geben, das Fünf-Milliarden-Förderprogramm, das Umweltminister Röttgen für die Entwicklung von Windparks auf hoher See anpreist, findet sich dagegen schon im alten Energiekonzept, das noch von einer Laufzeitverlängerung ausgeht. Die Kanzlerin verweist am Freitag erst einmal auf ihren Finanzminister, mit dem nun geklärt werden müsse, was möglich ist. Wolfgang Schäuble aber hatte zuletzt schon angemahnt, dass am Sparkurs nicht gerüttelt werde.
Überhaupt wird Merkel auch in den eigenen Reihen noch Überzeugungsarbeit für ihre Turbo-Wende leisten müssen. Denn dort melden sich die Zweifler immer lauter zu Wort, je länger die Explosion am japanischen AKW Fukushima zurückliegt. Röttgen kommt kaum nach damit, die Warnungen vor Versorgungsengpässen oder steigenden Strompreisen zu zerstreuen. Zudem wird beim Energiegipfel klar, dass auch die Länderfürsten der Union nicht vorhaben, einfach nur freundlich abzunicken, was die Bundesregierung ihnen vorlegt. Thüringens Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (CDU) etwa fordert einen Ausgleich dafür, dass ihr Land künftig durch wenig ansehnliche Stromtrassen verschandelt wird.
Bei aller Kritik, allen Vorbehalten und Bedenken - Kanzlerin Merkel scheint fest entschlossen, die Kehrtwende in der Energiepolitik durchzuziehen. Kein Wort mehr von der Verlängerung der Laufzeiten, für die sie sich im von ihr selbst ausgerufenen "Herbst der Entscheidungen" noch voller Überzeugung eingesetzt hat. Als SPD-Mann Sellering am Freitag neben ihr süffisant daran erinnert, dass es ja längst einen Ausstiegskonsens gegeben habe, den Schwarz-Gelb aufgekündigt habe, zieht Merkel nur einmal kurz die Augenbrauen hoch.
Was soll's, sie will sich jetzt ihrem neuen "unglaublich spannenden Projekt" widmen. Viele Fragen würden ja schon lange besprochen, sagt Merkel, und vielleicht sei es ja jetzt einfach mal an der Zeit zu sagen: "Entscheiden, entscheiden, entscheiden, entscheiden."