Energiekonzept Ministern gelingt erste Einigung im Milliardenpoker

Die Entscheidung über das Energiekonzept der Koalition rückt näher: Umweltminister Röttgen und Wirtschaftsressort-Chef Brüderle haben sich SPIEGEL-Informationen zufolge auf Details beim Klimaschutz geeinigt, auch bei der AKW-Laufzeitenfrage geht es voran. Aber die Nerven mancher Beteiligten liegen blank.
Die Minister Röttgen und Brüderle: Einigkeit bei Klimaschutz-Maßnahmen

Die Minister Röttgen und Brüderle: Einigkeit bei Klimaschutz-Maßnahmen

Foto: Robert Schlesinger/ dpa

Hamburg/Berlin - Sicher, ein Generalsekretär darf das. Denn es gehört zu den Aufgaben eines Generals - wie dieses Amt im Politiksprech genannt wird - ordentlich gegen den politischen Gegner zu holzen. Doch die Art und Weise, mit der sich CDU-General Hermann Gröhe an diesem Samstag SPD-Chef Sigmar Gabriel vornahm, ist schon bemerkenswert: Einen "schäbigen Hetzer" nannte er Gabriel. Und zwar deshalb, weil der SPD-Chef am Vortag die Haltung der Bundesregierung gegenüber den Atomkonzernen scharf kritisiert hatte. Kanzlerin Angela Merkel "sorgt gerade dafür, dass die deutsche Politik endgültig als käuflich erscheint", hatte Gabriel in einem Interview erklärt.

Atomkraftwerke

Der Streit dreht sich um das geplante Energiekonzept der Bundesregierung. Das klingt so harmlos, so technisch. Tatsächlich steht in der Auseinandersetzung mit der Atomindustrie eine Menge auf dem Spiel: hier Milliarden Euro für die Wirtschaft, dort das politische Ansehen der Regierung, möglicherweise sogar ihre Zukunft. Im Kern geht es um die Frage, wie viele zusätzliche Jahre Deutschlands laufen dürfen. Zuletzt hatten die Energiekonzerne mit einer Anzeigenkampagne Druck auf die Koalition ausgeübt.

Gröhes Attacke zeigt, wie blank in dieser Auseinandersetzung die Nerven manches Koalitionärs liegen.

Dabei scheint es so, als sei die Koalition bei ihrem Energiekonzept nun ein ganzes Stück weitergekommen. So hat sich die Regierung offenbar bereits auf Maßnahmen zum Klimaschutz verständigt. Nach SPIEGEL-Informationen sind sich Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) und Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) in Detailfragen einig. Geplant seien etwa Verfahrens-Beschleunigungen für neue Stromleitungen und Wasserkraftwerke, Staatsbürgschaften für Investitionen in Offshore-Windparks und die Förderung von Hausbesitzern beim Austausch von Ölheizungen. Die Regierung veranschlage rund drei Milliarden Euro pro Jahr zusätzlich, um diese Energieziele durchzusetzen.

Röttgen will AKW vor Flugzeugen schützen

Zudem präzisierte Röttgen erstmals, wie stark die CO2-Emissionen nach 2020 fallen sollen: Um 55 Prozent gegenüber 1990 bis zum Jahr 2030, um 70 Prozent bis 2040. Außerdem will der Umweltminister vorschreiben, dass alle deutschen Kernkraftwerke baulich gegen Flugzeugabstürze geschützt werden. AKW sollen grundsätzlich gegen den Crash eines Passagierflugzeugs vom Typ A320 geschützt sein, das Terroristen in einen Meiler lenken könnten.

Bisher hatten die Konzerne darauf gesetzt, im Fall einer Terrorattacke die Meiler zu vernebeln, bis die Bundeswehr das Flugzeug abschießen kann. Solche Abschüsse seien aber durch das Bundesverfassungsgericht verboten, argumentiert das Umweltministerium - deshalb sollen Meiler nun baulich nachgerüstet werden. Eine ganze Reihe von ihnen bräuchte eine komplett neue Schutzhülle aus Beton. Das könnte gerade bei den ältesten Anlagen einen Weiterbetrieb unrentabel machen.

Das Energiekonzept der Regierung

In der Laufzeitfrage hat sich Wirtschaftsminister Brüderle zu Wort gemeldet. Seinen Worten zufolge sollten die Laufzeiten mindestens um zwölf Jahre verlängert werden. "Die Szenarien haben ergeben, dass der volkswirtschaftliche Nutzen bei einer Laufzeitverlängerung zwischen zwölf und 20 Jahren höher ist als bei den Extrem-Varianten zwischen vier und 28 Jahren", sagte der FDP-Politiker der "Wirtschaftswoche".

Am Freitag hatten Experten der Bundesregierung vier durchgerechnete Szenarien einer Laufzeitverlängerung übergeben - die Unabhängigkeit der Gutachter wird jedoch angezweifelt. Ihre Expertise soll Grundlage der Entscheidung über die Dauer der Laufzeitenverlängerung sein. Nach jetzigem Ausstiegsbeschluss müsste das letzte AKW 2021 vom Netz gehen.

Angela Merkel

Anderen Medienberichten zufolge erwägt die Bundesregierung eine Laufzeitverlängerung um zehn Jahre. Der "Stuttgarter Zeitung" zufolge haben Kanzlerin , Finanzminister Schäuble, Umweltminister Norbert Röttgen und Brüderle in einer internen Runde am Donnerstagabend eine eine entsprechende Frist erwogen. Allerdings sagte Merkel am Freitagabend bei einem Auftritt in Darmstadt, es seien weder Vorentscheidungen über den Weg oder gar verlängerte Laufzeiten von Atomkraftwerken getroffen worden. "Es gibt keine Entscheidung", sagte sie.

Wer profitiert von längeren Laufzeiten?

Nach einem Bericht des Magazins "Focus" hat die Expertise ergeben, dass bei einer Laufzeitenverlängerung um 20 Jahre der Strompreis für die Industrie um 35 Prozent niedriger läge, als wenn die Laufzeiten nur um vier Jahre verlängert würden. Bei einer Verlängerung um zwölf Jahre würde die Industrie einen um 20 Prozent niedrigeren Strompreis zahlen. Der Preis für private Verbraucher würde allerdings bei einer Verlängerung um 20 Jahre nur um sieben Prozent niedriger ausfallen als bei einer Verlängerung um vier Jahre.

Große Unklarheit gibt es nach wie vor in der Frage, wie die zusätzlichen Belastungen für die Atomkraft-Betreiber aussehen werden. Selbst eine entsprechende Brennelemente-Steuer scheint noch nicht fix zu sein, alternativ wäre eine Abgabe über einen Vertrag denkbar. Allerdings gibt es auch Stimmen wie die von Umweltminister Röttgen, die sowohl die Steuer als auch eine zusätzliche Abgabe der Konzerne fordern. Brüderles Position lautet so: "Es gibt eine klare Reihenfolge: erst ein modernes Energiekonzept inklusive Laufzeitverlängerung, dann die Frage der Spielräume, die sich daraus ergeben." Zur Förderung des Umstiegs auf eine Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien sei er dafür, dafür die Hälfte der Gewinne aus der Laufzeitverlängerung abzuschöpfen.

Die Opposition hat für die Energiepolitik der Koalition ohnehin nur noch Hohn und Spott übrig. Renate Künast, Chef der Grünen-Bundestagsfraktion, erklärte am Samstag: "Merkel, Röttgen und Co. liefern gerade ganz großes Kino. Die Laufzeitverlängerung ist längst ideologisch beschlossen und nun wird nach einer Begründung gesucht, die es aber nicht gibt."

Und SPD-Generalsekretärin schoss am Samstagnachmittag gegen ihren CDU-Counterpart Gröhe zurück: Dessen Gabriel-Attacke sei "beschämend für eine einstmals stolze Partei wie die CDU". Der Christdemokrat glaube offenbar, "Anleihen beim Wörterbuch des Unmenschen nehmen zu müssen". Nahles' Forderung: CDU-Parteichefin Merkel müsse jetzt klarmachen, "dass das nicht die neue Sprache der Union ist".

flo/dpa/Reuters
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