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Energiewende Merkel will Atommeiler nun doch schrittweise abschalten

Angela Merkel knickt ein, die Bundesländer haben sich durchgesetzt: Beim Atomausstieg soll nun doch jedes AKW ein eigenes Abschaltdatum bekommen. An ihrem Plan, einen Altmeiler als Notreserve zu erhalten, hält die Kanzlerin jedoch fest.

Hamburg/Berlin - Jahrzehntelang währte der Dauerstreit über die Atomkraft, jetzt steht Deutschland vor einer historischen Einigung: Die Bundesregierung hat den von den Ländern geforderten Stufenplan für die Abschaltung von Atomreaktoren bis 2022 akzeptiert. Jedem Atomkraftwerk soll ein Enddatum zugeordnet werden. Damit werde es keine gehäufte Abschaltung der neun noch laufenden Reaktoren in den Jahren 2021 und 2022 geben, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Freitag nach einem Treffen mit den Ministerpräsidenten in Berlin.

Die verbliebenen Atommeiler in Deutschland sollen demnach schrittweise zwischen 2015 und 2022 abgeschaltet werden. Merkel und Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff nannten in dem Zusammenhang die Jahreszahlen 2015, 2017, 2019 und 2021/22. Der "absolute Endpunkt" sei das Ende des Jahres 2022. Dann sollen die letzten drei - das sind die neuesten Meiler - abgeschaltet werden.

Nach Informationen von SPIEGEL ONLINE ist folgende Reihenfolge geplant:

  • 2015: Grafenrheinfeld
  • 2017: Gundremmingen B
  • 2019: Philippsburg 2
  • 2021: Grohnde, Brokdorf, Gundremmingen C
  • 2022: Isar 2, Neckarwestheim 2, Emsland

Die derzeit abgeschalteten sieben ältesten Meiler und der Pannenreaktor Krümmel sollen nicht mehr ans Netz gehen.

Mit der Entscheidung der stufenweisen Abschaltung kommt Merkel den Wünschen der Länderchefs entgegen und räumte einen der wichtigsten Stolpersteine für einen Energiekonsens aus. "Wir wollen nicht gegen die versammelte Meinung der Länder agieren", sagte sie nach den Beratungen. Merkel betonte, die gefundene Regelung solle das Vertrauen in den Atomausstieg erhöhen. Zuletzt hatte insbesondere die Opposition kritisiert, dass im Entwurf für die Änderung des Atomgesetzes die Betriebsgenehmigungen für die noch laufenden Meiler erst 2021 und 2022 enden sollen.

Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) honorierte die Entscheidung zum stufenweisen Abschaltungsszenario mit den Worten, es gebe die Möglichkeit zu einem "breiten parteipolitischen Konsens" über den Ausstieg aus der Atomkraft. Entscheidend sei, dass der Prozess unumkehrbar angelegt werde und es keine Hintertüren gebe, sagte Kraft nach dem Treffen.

Länder gaben beim Streit um die atomare Notreserve nach

Beim Streit um die sogenannte Kaltreserve gaben die Länder offenbar nach. Vor dem Treffen mit Merkel hatten die Ministerpräsidenten noch erklärt, es solle dafür keiner der alten Atomreaktoren vorgehalten werden. Nun sagte Merkel, man sei sich einig, dass möglichst konventionelle Kraftwerke als Reservekapazität gegen etwaige Stromausfälle in den kommenden beiden Wintern genutzt werden sollen. Allerdings sagte Haseloff, Merkel habe ausdrücklich erklärt, wenn es technisch möglich sei, solle diese Kaltreserve konventionell über Kohle oder Gas sichergestellt werden.

Die Koalition hatte zuletzt beschlossen, eines der älteren, im Rahmen des Moratoriums vom Netz genommenen AKW noch nicht endgültig abzuschalten, sondern bis zum Ende der Wintermonate 2012/2013 in einer Art Stand-by-Betrieb zu halten.

Differenzen gibt es nach Darstellung beider Seiten noch beim Planungsrecht für den Ausbau der Stromnetze und Kraftwerkskapazitäten. Dieses will der Bund, die Länder wollen es aber behalten. Eine Arbeitsgruppe von Bund und Ländern soll klären, wie die Kompetenzen verteilt werden sollen.

Bund und Länder einigten sich Merkel zufolge zudem auf ein Gesetz zur Endlagersuche bis zum Jahresende. Außer der "ergebnisoffenen Erkundung" des Salzstocks Gorleben soll damit auch die "Untersuchung neuer Formationen" anberaumt werden.

Bundesländer wollen unabhängig von den Koalitionen "zusammenstehen"

Die schwarz-gelbe Koalition hatte am Sonntag das Zieldatum 2022 für die Stilllegung der letzten Meiler beschlossen, aber noch keinen zeitlichen Verlauf der einzelnen Abschaltungen festgelegt. Hintergrund des Kurswechsels ist die Atomkatastrophe in der japanischen Anlage Fukushima. Die Ministerpräsidenten hatten sich direkt vor dem Treffen mit Merkel auf die Forderung nach einem Stufenplan geeinigt. Der bisherige Entwurf der Atomgesetznovelle sah dies nicht vor, sondern eine Welle von Abschaltungen 2021 und 2022.

Bei dem geplanten Atomausstieg ist der Bund nicht auf die Zustimmung der Länder angewiesen, will die Energiewende aber im Konsens mit dem Bundesrat beschließen. Der Kanzlerin zufolge besteht jetzt auch Klarheit über den Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens bis Anfang Juli: Am 17. Juni soll der Bundestag mit seinen Beratungen beginnen, die Abstimmung im Parlament ist für 30. Juni geplant. Abschließend beraten soll der Bundesrat am 8. Juli.

Die 16 Bundesländer haben angekündigt, beim schwierigen Atomausstieg unabhängig von ihren jeweiligen Koalitionen zusammenzustehen. Haseloff (CDU) sagte nach dem Treffen mit Merkel in Berlin: "Wir haben uns 16 zu null auf wesentliche Punkte des Vorgehens auch im Bundesratsverfahren verständigt. Es ist ganz wichtig, dass wir 16 Länder zusammenbleiben." Auch der neue baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) will den Kompromiss nach eigenen Worten mittragen. "Es ist eine Energiewende, die von historischer Dimension ist", sagte Haseloff.

lgr/dpa/dapd/AFP/Reuters
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