Energiewende ohne Atom Parteien zanken über Kosten des Ausstiegs

Mitte Juni tritt das Atomausstiegsgesetz in Kraft, aber wer soll die Wende bezahlen? Angela Merkels Energiegipfel hat einen heftigen Streit über die Finanzierung entfacht. CDU und FDP sprechen sich gegen Steuererhöhungen aus, die SPD wehrt sich gegen einen Anstieg des Strompreises.
Atomkraftwerk Grohnde in Emmerthal bei Hameln: Kein Finanzierungskonzept, nirgends

Atomkraftwerk Grohnde in Emmerthal bei Hameln: Kein Finanzierungskonzept, nirgends

Foto: Caroline Seidel/ dpa

Berlin - Bis zum 17. Juni soll die Energiewende gesetzlich geregelt sein, bis dahin sollen Bundestag und Bundesrat den Weg freimachen für den Ausstieg aus der Atomkraft und den Einstieg ins Ökozeitalter. Doch wie soll die Wende, vollzogen im Eiltempo, finanziert werden? Nach der Bund-Länder-Einigung auf das Atomausstiegsgesetz haben sich CDU und FDP gegen Steuererhöhungen ausgesprochen.

"Ich bin gegen einen Energie-Soli", sagte der designierte FDP-Vorsitzende Philipp Rösler der "Passauer Neuen Presse". "Ich kann versichern: Mit uns wird es keine Steuererhöhung zur Finanzierung des Umstiegs auf erneuerbare Energien geben."

Auch eine höhere Neuverschuldung komme nicht in Frage, um den notwendigen Netzausbau zu finanzieren. "Das Geld, das wir für die Energiewende benötigen, muss an anderer Stelle im Bundeshaushalt eingespart werden", forderte Rösler.

Auch der CDU-Haushaltsexperte Norbert Barthle versicherte: "Ein neues Sparpaket ist nicht notwendig. Steuererhöhungen schließe ich aus." Die Brennelementesteuer sei bis zum Jahr 2016 vorgesehen, und es gebe kein Junktim zur Laufzeitverlängerung. "Ich gehe davon aus, dass die Einnahmen kommen werden", sagte Barthle der "Passauer Neuen Presse".

Schavan mahnt CDU zu Disziplin

Die im vergangenen Jahr beschlossene Brennelementesteuer soll jährlich 2,3 Milliarden Euro bringen. Allerdings werden allein durch die dreimonatige Abschaltung der ältesten deutschen Atomkraftwerke Millionenverluste für den Bund erwartet.

Zurückhaltender äußerte sich Barthle zu möglichen Strompreiserhöhungen: "Ich kann allerdings nicht ausschließen, dass eventuelle Mehrkosten aus der schnelleren Energiewende auch ein Stück weit von den Verbrauchern zu tragen sein werden", sagte der CDU-Politiker.

Bundesforschungsministerin Annette Schavan (CDU) hat ihre Partei zu "mehr Disziplin" in der Debatte um den Atomausstieg aufgefordert. "Das Letzte, was wir jetzt brauchen, ist die Wiederherstellung alter Fronten", sagte die stellvertretende CDU-Vorsitzende dem SPIEGEL.

Niedersachsens Ministerpräsident David McAllister forderte von den Ausstiegskritikern ebenfalls ein rasches Ende der Debatte. "Kernenergie war nie ein Markenkern der Union - und wird es auch nie sein", sagte der Regierungschef dem SPIEGEL. Auch die Letzten müssten jetzt "von dem toten Pferd absteigen".

"Frau Merkel operiert am offenen Herzen mit wechselnden Diagnosen"

Vor Steuererhöhungen als Preis für einen raschen Ausstieg aus der Kernenergie warnte auch die Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion, Birgit Homburger. "Es kann keine Energiepolitik nach Stimmungslage geben. Versorgungssicherheit ist zwingend. Die Bezahlbarkeit von Energie ist ebenso wichtig", sagte sie der "Leipziger Volkszeitung". "Für das, was jetzt an finanziellen Folgen auf den Bundeshaushalt zukommt, brauchen wir dringend Einsparungen im Haushalt. Steuererhöhungen darf es für den Umbau des Energiekonzepts nicht geben."

Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel warnte die schwarz-gelbe Regierung davor, die Energiewende über höhere Strompreise zu finanzieren. "Es geht nicht, dass die Bundesregierung sagt, wir machen einen schnellen Zeitplan und am Ende zahlen es die Stromkunden. Das wird so nicht funktionieren", sagte Gabriel dem Sender NDR Info.

Der SPD-Chef äußerte die Befürchtung, dass die Energiewende für die Verbraucher und die Wirtschaft teuer werden könne. Um dies zu verhindern, müsse die Bundesregierung mehr Geld für Investitionen bereitstellen, zum Beispiel für die Förderung von hocheffizienten Kraftwerken und für die Förderung der energetischen Gebäudedämmung.

Kritik äußerte der SPD-Vorsitzende an der Energiepolitik von Kanzlerin Angela Merkel: "So überstürzt, wie die Laufzeiten verlängert wurden, versucht sie das rückgängig zu machen. Man muss wissen, dass das Energiesystem in Deutschland das Herz-Kreislauf-System unserer Wirtschaft ist. Und Frau Merkel operiert am offenen Herzen mit wechselnden Diagnosen und wechselnden Instrumenten. Das ist nicht ganz ungefährlich."

Lammert stellt Zeitplan für Energiegesetz in Frage

SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier hat vor einem überstürzten Ausstieg aus der Kernenergie gewarnt. Deutschland sei "nicht irgendein Land, sondern ein bedeutender Energiestandort", sagte er dem "Hamburger Abendblatt". Der Erhalt von Arbeitsplätzen hänge von der sicheren Energieversorgung ab. Energie müsse für alle Verbraucher bezahlbar bleiben.

"Wenn wir jetzt acht Kernkraftwerke abschalten, produzieren wir auf einen Schlag ein Drittel weniger Strom aus Kernenergie", sagte Steinmeier. Dieser sei nicht ohne Weiteres und zu jeder Jahreszeit durch erneuerbare Energien zu ersetzen." Deutschland habe immer den Anspruch gehabt, seinen Energiebedarf selbst zu decken. "Es ist keine Lösung, Atomstrom aus dem Ausland einzuführen."

Bundestagspräsident Norbert Lammert hat den Zeitplan der Bundesregierung zur Energiewende in Frage gestellt. "Der Drei-Monats-Zeitraum ergibt sich nicht aus dem Atomgesetz, sondern ist eine politische Vorgabe", sagte der CDU-Politiker der "Welt".

Zwar sei in der Tat vereinbart, im Mai mit den beiden Kommissionen für Reaktorsicherheit und Ethik zu Schlussfolgerungen zu kommen, sagte Lammert weiter. "Wie viel Zeit der Bundestag anschließend braucht, um ein Gesetzgebungsverfahren sorgfältig zu beraten, entscheiden wir dann, wenn der Gesetzentwurf vorliegt."

EnBW-Chef Hans-Peter Villis warnte vor akuten Engpässen im Stromnetz. "Erstmals seit Jahrzehnten wird Deutschland ernste Probleme mit der Sicherheit der Stromversorgung bekommen", sagt der 52-Jährige der "Süddeutschen Zeitung". Neben den ohnehin für drei Monate stillgelegten sieben älteren Kernkraftwerken gingen im Mai und Juni fünf weitere für Revisionen vom Netz. "Dann werden zeitweise nur 30 Prozent der Atomkapazitäten zur Verfügung stehen." Villis forderte ein Festhalten an der Atomkraft: "Für einige Jahre ist sie in Deutschland einfach unverzichtbar."

han/dapd/dpa/AFP
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten