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Deutsche Politiker reagieren auf Erdogans Tiraden "Infam, abstrus, inakzeptabel"

Verstört reagieren deutsche Politiker auf den Nazi-Vergleich des türkischen Präsidenten Erdogan. Die CSU wettert über "den Despoten vom Bosporus", die Linke fordert ein Ende des Flüchtlingsdeals. Justizminister Maas will auf Dialog setzen.

Wie umgehen mit den neuesten Provokationen des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan?

Der hatte am Sonntag auf eine Veranstaltung in Istanbul gegen die Absage von Auftritten türkischer Minister in Deutschland gewettert; diese Handlungen seien "nichts anders als das, was in der Nazi-Zeit getan wurde".

Die Reaktionen aus den deutschen Parteien sind unterschiedlich: Justizminister Heiko Maas (SPD) sagte zu Erdogans Nazi-Vergleich: Die Äußerungen seien "infam, abstrus, inakzeptabel und aufs Schärfste zurückzuweisen", so Maas am Sonntagabend in der ARD-Sendung "Anne Will".

Gleichzeitig mahnte Maas dazu, sich nicht provozieren zu lassen und wandte sich gegen ein Einreiseverbot für Erdogan. "Die Verhängung eines Einreiseverbots würde nichts verbessern", sagte Maas bei "Anne Will". Offenbar gehe es Erdogan gar nicht mehr um Wahlkampf für das Referendum über eine Stärkung des Präsidialsystems in der Türkei. "Es geht ihm jetzt darum zu provozieren. Und wir müssen aufpassen, dass wir uns nicht provozieren lassen", sagte Maas. Erdogan wolle so etwas wie eine nationale Front in der Türkei aufbauen gegen den Rest der Welt. Auf Twitter schrieb Maas außerdem: Man werde weiter sehr klar Rechtsstaatlichkeit anmahnen und jegliche "Überdrehung" zurückweisen. "Aber nur im Dialog können wir was erreichen."

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Grünen-Chef Cem Özdemir bewertete Erdogans Äußerungen in der ARD als irrational und mahnte dazu, kühlen Kopf zu bewahren. Er forderte die Bundesregierung aber auf, die Entscheidung über Wahlkampfauftritte türkischer Politiker in Deutschland nicht bei den Kommunen abzuladen. Am besten wäre eine gemeinsame, abgestimmte europäische Antwort auf diese Frage.

Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag Norbert Röttgen wandte sich im "Deutschlandfunk" klar gegen solche Auftritte türkischer Politiker. Juristisch unterbinden will er sie aber ungeachtet dessen nicht. "Das wäre falsch", sagte der CDU-Politiker. Einreiseverbote würde nur zu einer weiteren Eskalation führen. Er rate daher davon ab. "Wir eskalieren nicht und wir lassen uns auch nicht provozieren", sagte er. Man sollte aber gegenüber der Türkei deutlich machen, dass man solche Auftritte in Deutschland nicht wünscht und die Respektierung dieser Meinung erwarte.

CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer sprach in der "Passauer Neuen Presse" nach Erdogans Nazi-Vergleich von einer "ungeheuerlichen Entgleisung des Despoten vom Bosporus" und verlangte eine Entschuldigung.

Fraktionschef Volker Kauder (CDU) wies am Sonntagabend ebenfalls im ARD-"Bericht aus Berlin" die Äußerungen Erdogans zurück. "Das ist ein unglaublicher und nicht akzeptabler Vorgang, dass der Präsident eines Nato-Mitgliedes sich so über ein anderes Mitglied äußert. Und vor allem einer, der mit dem Rechtsstaat ja erhebliche Probleme hat." CDU-Vize Julia Klöckner schrieb auf Twitter über Erdogan: "Unverschämt, geschichtsvergessen, anmaßend!"

Erdogan: "Wenn ihr mich nicht reinlasst, dann werde ich einen Aufstand machen"

Im Streit über Wahlkampfauftritte türkischer Politiker in Deutschland hatte Erdogan am Sonntag den Ton noch einmal verschärft. Er warf den deutschen Behörden bei einer Rede in Istanbul Nazi-Methoden vor. Stunden später legte der türkische Präsident mit einer weiteren Bemerkung sogar noch nach. "Ich habe gedacht, der Nationalsozialismus in Deutschland ist vorbei, aber er geht noch immer weiter", sagte er am Sonntagabend in Istanbul nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu.

Zu Berichten, dass er einen Auftritt in Deutschland plane, sagte Erdogan Anadolu zufolge: "Wenn ich will, komme ich morgen. Ich komme, und wenn ihr mich nicht hereinlasst oder mich nicht sprechen lasst, dann werde ich einen Aufstand machen."

Mehrere Kommunen hatten zuletzt Auftritte von türkischen Ministern abgesagt - hauptsächlich wegen Sicherheitsbedenken. (Lesen Sie hier eine Analyse zu Erdogans neuesten Tiraden.)

Dietmar Bartsch, Linken- Fraktionsvorsitzender

Dietmar Bartsch, Linken- Fraktionsvorsitzender

Foto: Bernd von Jutrczenka/ dpa

Der Chef der Linksfraktion im Bundestag, Dietmar Bartsch, forderte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wegen des Kurses der türkischen Regierung von Erdogan auf, den Flüchtlingspakt mit der Türkei zu beenden. "Der mit der Türkei vereinbarte Deal hat Europa erpressbar gemacht", sagte Bartsch dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). "Deutschland muss darauf hinwirken, ihn aufzukündigen."

Außenminister Sigmar Gabriel will seinen türkischen Amtskollegen treffen

Bartsch, der zusammen mit Sahra Wagenknecht die Linke als Spitzenkandidat in die Bundestagswahl führt, verlangte von der Kanzlerin, Konsequenzen zu ziehen. "Sie sollte die deutschen Bundeswehrsoldaten aus Incirlik abziehen und die sogenannten EU-Vorbeitrittshilfen einfrieren. Kein Geld mehr für den Autokraten Erdogan, nicht nur kritische Worte: Das müsste die konsequente Haltung der Bundesregierung sein", sagte der Linken-Politiker. Ähnlich äußerte sich Bartsch gegenüber der "Welt". Die Linke hatte den Flüchtlingsdeal mit der Türkei von vornherein kritisiert.

Die Linken-Abgeordnete Sevim Dagdelen sagte in der ARD, Erdogan betreibe eine Verharmlosung des Faschismus. "Wenn etwas hier irgendwie an den früheren Faschismus erinnert, dann ist das doch die Methode Erdogans: Nämlich Journalisten, Presse und auch die Opposition auszuschalten, seine Gewaltpolitik und gleichzeitig auch die Säuberung des Staatsapparates und seine Hetztiraden." Die Bundesregierung müsse endlich "eine rote Linie ziehen".

Erdogan strebt ein Präsidialsystem an, das ihm deutlich mehr Macht verleihen und das Parlament schwächen würde. An der Volksabstimmung dazu am 16. April können auch im Ausland lebende wahlberechtigte Türken teilnehmen, darunter rund 1,41 Millionen in Deutschland.

Die jüngsten Äußerungen des Präsidenten konterkarierten auch Bemühungen um eine Verständigung zwischen Ankara und Berlin. Ministerpräsident Binali Yildirim hatte am Samstag in einem einstündigen Telefonat mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) auch über die Wahlkampfauftritte gesprochen, wie die Nachrichtenagentur Anadolu meldete. Die Türkei werde ihre "Taktik beim Wahlprogramm etwas ändern", sagte Yildirim demnach.

In dieser Woche will sich Außenminister Mevlüt Cavusoglu mit seinem deutschen Kollegen Sigmar Gabriel treffen. Der SPD-Politiker warnte vor einer weiteren Eskalation. "Wir dürfen das Fundament der Freundschaft zwischen unseren Ländern nicht kaputt machen lassen", schrieb er in der "Bild am Sonntag".

anr/AFP/dpa
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