
Erhard Eppler: Vom Kanzlerkritiker zur Integrationsfigur
Zum Tod von Erhard Eppler Seiner Zeit weit voraus
Nur wenigen Politikern ist im fortgeschrittenen Alter das Glück beschieden, dass sich die eigene Partei auf sie zubewegt und ihnen das Schicksal erspart, in die Ecke der Unzeitgemäßen und Ewiggestrigen abgeschoben zu werden. Erhard Eppler hatte dieses Glück. Die SPD des Jahres 2019 ist wahrscheinlich die SPD, die sich Erhard Eppler so oder so ähnlich immer gewünscht hatte: eine eher linke, ökologisch und friedenspolitisch engagierte Partei.
Umso mehr litt er in seinen letzten Jahren unter der dramatischen Erfolglosigkeit der deutschen Sozialdemokratie, die von Wahl zu Wahl, von Umfrage zu Umfrage immer mehr an Zustimmung verliert. Bei seinem letzten SPIEGEL-Gespräch 2016 antwortete er auf die Frage, wie diese Misserfolge endlich gestoppt werden könnten, mit einer Empfehlung, die seine Parteifreunde allerdings wenig gefreut haben dürfte: "Um eine Wahl wirklich zu gewinnen", so Eppler, werde die SPD "auf eine ganz starke Spitzenfigur angewiesen sein", andernfalls werde sie "mit einer wohlwollenden Nichtachtung bestraft".
Eine "starke Spitzenfigur"? Jeder Genosse weiß heute nur zu gut, dass diese charismatische Person derzeit nirgends zu sehen ist, und schon gar nicht unter den Teilnehmern des aktuellen Kandidatenrennens um den nächsten Parteivorsitz. "Wohlwollende Nichtachtung"? Da kannte sich Eppler selbst sehr gut aus. Wann immer er in seiner aktiven Zeit zu wichtigen Wahlen antrat: Er hat sie verloren, zweimal gleich als Spitzenkandidat der SPD bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg, 1976 und 1980.
Intellektueller Außenseiter im Kampf um die Macht
Erhard Eppler war eben nie diese starke Spitzenfigur, und er war sich dessen auch bewusst. Vom Beginn seiner politischen Karriere an, von der Gründung der Gesamtdeutschen Volkspartei zusammen mit Gustav Heinemann, über den Eintritt in die SPD 1956 und den Einzug in den Deutschen Bundestag 1961, spielte Eppler immer die Rolle des intellektuellen Außenseiters im Kampf um die Macht.
Der 1926 geborene Sohn eines Gymnasialdirektors aus Schwäbisch Hall arbeitete ebenfalls zunächst als Lehrer. Seinen Aufstieg verdankte er nicht zuletzt der Förderung durch den späteren Bundeskanzler Willy Brandt. 1968, noch während der ersten Großen Koalition, übernahm Eppler das Amt des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit - ein Ministerium, das ganz auf sein politisches Profil zugeschnitten war. Ein massiver Ausbau der Entwicklungshilfe für die "Dritte Welt", wie es damals hieß, zählte nach Epplers Überzeugung zu den Kernelementen linker, emanzipatorischer Außenpolitik.

Erhard Eppler: Vom Kanzlerkritiker zur Integrationsfigur
Die deutsche Sozialdemokratie war in den frühen siebziger Jahren durch eine parteiinterne Konkurrenz zwischen den Gefolgsleuten Brandts und Helmut Schmidts gezeichnet. Wenige Wochen nach Schmidts Regierungsantritt 1974 schied Eppler denn auch aus dem Bundeskabinett aus. Schon den Zeitgenossen war klar: Schmidt und Eppler konnten nicht miteinander. Und die beiden zelebrierten diesen Konflikt nun über mehr als ein Jahrzehnt als parteiinternen Richtungskampf. Eppler stand für all das, was Schmidt ablehnte.
Eppler wollte die Ökologie zum großen Thema der Sozialdemokratie machen, um die Grünen kleinzuhalten - Schmidt spottete nur über die "grünen Spinner". Eppler wollte die Nachrüstung verhindern und den Ost-West-Konflikt deeskalieren - Schmidt ließ die Raketen bauen und machte seine Partei erstmals zum Feindbild für eine ganze Generation junger Menschen.
Helmut Schmidt schmähte Eppler als "Gesinnungsethiker"
Eppler verlor wieder und wieder gegen Schmidt. Am Ende aber war zumindest ihm durchaus klar, dass sein Gegner nicht mit allem Unrecht gehabt hatte. Von Helmut Schmidt ist so viel Einsicht nicht überliefert. Stets schmähte Schmidt seinen Kontrahenten als naiven "Gesinnungsethiker", dem er, der "Verantwortungsethiker" im Sinne Max Webers, bei weitem überlegen sei.
Was Eppler mehr als viele andere Attacken verletzte, und zu Recht. Denn tatsächlich war diese Form der programmatischen Kontroverse für die Sozialdemokratie äußerst fruchtbar. Und natürlich hatte Eppler auf das richtige Thema gesetzt; die Umweltzerstörung diente eben schon in den achtziger Jahren als Hauptmotiv junger Menschen, die sich politisch engagieren wollten.
Eppler war ehrlich genug, um am Ende seines Lebens einzugestehen, dass auch er nicht wisse, ob ein dezidiert ökologischer Kurs der SPD das Aufkommen der Grünen am Ende gestoppt hätte. Aber einen Versuch wäre es allemal wert gewesen.
Dem zutiefst protestantischen Schwaben fehlte ohnehin jenes Gen der Besserwisserei, das machthungrige Politiker nun einmal auszeichnet. Eppler konzentrierte sich fortan aufs Schreiben kluger politischer Bücher und auf seine Arbeit im Präsidium des Deutschen Kirchentages. Eine seiner letzten Einmischungen in die aktuelle Politik kam ausgerechnet Gerhard Schröder zugute, also einem Sozialdemokraten, der zumindest in dessen Kanzler-Jahren ganz im Schmidt-Lager verankert war.
Eppler unterstützte den deutschen Einsatz im Kosovo-Krieg ebenso wie Schröders Agenda 2010 und bewies damit eine aus Sicht von Epplers Weggefährten ziemlich überraschende Wendigkeit. Den Führungskräften der Sozialdemokratie heute könnte das vielleicht ein Vorbild sein - ein Vorbild dafür, wie man seine Zeitgenossen mit Gesten politischer Beweglichkeit und Unabhängigkeit beeindrucken kann.