Jan Fleischhauer

S.P.O.N. - Der Schwarze Kanal Wo die Möhre Montessori lernt

Eine teure Uhr kann sich jeder kaufen - vom Pöbel unterscheidet sich nur noch, wer alles über die Herkunft seines Gemüses weiß. Genfood gehört abgeschafft, auch wenn hungernde Kinder dringend darauf angewiesen wären.

Was ist ein Paket Spinat wert? Ich habe am Wochenende 5 Dollar für einen Beutel von der Größe einer Spucktüte bezahlt. Ich war echt schockiert, als mir der Spinatmann auf dem Farmers Market in Stonington das Gemüse abpackte. Ich wollte schließlich Spinat und nicht Marihuana kaufen. Wer hätte gedacht, dass Grünzeug, das bei uns in jedem Tiefkühlregal zu finden ist, so im Wert steigen kann, dass es mit der Goldwaage abgewogen wird.

"Aber der Farmer sah wirklich süß aus", sagte meine Patentochter anschließend. Wir wissen jetzt, auf welchem Bauernhof der Spinat aufgewachsen ist, dessen Blätter wir am Abend einzeln kauten, um uns dieser Kostbarkeit würdig zu erweisen. Wir kennen den Namen des Spinatanbauers (Jonathan) und den seiner Frau (Hilda), weil sie jedem verkauften Beutel einen Zettel beilegen, auf dem man alles über den Familienbetrieb und seine Geschichte lernt. Außerdem haben wir mit dem Kauf zur Ausweitung der internationalen "GMO Free Zone" beigetragen.

Das Kürzel steht für "Genetically Modified Organisms", wie mich die Frau vom Karottenstand aufklärte, die ich um eine Übersetzung bat. Ich kannte bislang nur atomwaffenfreie Zonen, wobei in Deutschland an erster Stelle Freiburg genannt werden muss. Ich hatte keine Ahnung, dass sich das Konzept auch auf die Nahrungsmittelabgabe übertragen lässt. "They can end up in your liver", fügte die Karottenfrau über die GMO-Gefahr hinzu, als sie meinen zweifelnden Blick bemerkte. Mit Leberschäden ist nicht zu spaßen, das weiß sogar ich.

Farm to Table heißt der Trend

Es heißt immer, zwischen den Deutschen und den Amerikanern läge kulturell ein Ozean. Was die Furcht vor Genfood angeht, nähern wir uns an. Wer sich zu den Menschen zählt, denen Nachhaltigkeit am Herzen liegt, lehnt genverändertes Essen mit nahezu religiöser Inbrunst ab. Die Glaubenskomponente ist in jedem Fall verbindend. Menschen, die an nichts glauben, sind den Amerikanern von vornherein suspekt.

Wenn man sich auf diese Form der alternativen Landwirtschaft einlässt, tut sich eine ganz neue Welt auf. Farm to Table heißt der Trend, dem der Farmers Market seine Existenz verdankt. Es reicht nicht mehr, dass die Karotte so frisch ist, dass sie einem aus dem Mund zu springen droht, wenn man hineinbeißt. Entscheidend ist, dass man auch ihre Kindheitsgeschichte kennt und weiß, wer sie aufgezogen hat.

Die Menükarten in vielen Restaurants an der Ostküste sind inzwischen doppelt so lang wie noch vor ein paar Jahren, weil hinter jedem Gericht die Provenienz aller Zutaten vermerkt werden muss. Wer als Koch etwas auf sich hält, ist stolz darauf, dass er seinen Kunden sagen kann, aus welcher Reihe in welchem Beet das Gemüse stammt, das sie auf dem Teller wiederfinden.

Zu wissen, dass die Möhre die Montessori-Schule besucht hat, bevor sie zum Salat wurde, ist die ultimative Bauernhoffantasie von Städtern, deren Kontakt zum Land sich auf gelegentliche Wochenendausflüge ans Meer oder in die Berge beschränkt. Je weiter entfernt Menschen von der Nahrungsmittelproduktion sind, desto romantischer fallen oft ihre Vorstellungen aus, wie Landwirtschaft idealerweise aussehen sollte.

Für den Goldenen Reis ist die Sache gelaufen

Es liegt auf der Hand, dass mit dieser Form der personalisierten Signatur-Landwirtschaft keine Nation, geschweige denn eine stetig wachsende Weltbevölkerung ernährt werden kann. Tatsächlich liegt die einzige Hoffnung, die viele Menschen am Existenzminimum auf Besserung ihrer Lebensumstände haben, in der Entwicklung von Pflanzen, die auf Böden gedeihen, die für den Ackerbau ungeeignet erscheinen, und die so robust sind, dass sie auch mit wenig Pflege auskommen.

Für den Goldenen Reis ist die Sache trotzdem gelaufen. Da können Ernährungswissenschaftler noch so oft darauf hinweisen, dass man den Hunger in der Dritten Welt nur wirksam bekämpfen kann, wenn man Grundnahrungsmittel so anreichert, dass sie für die Armen genug Vitamine und Nährstoffe enthalten. Wenn es um Genfood geht, sind uns die hungernden Kinder in Indien herzlich egal. Vom deutschen Boden wird nie wieder ein grüner Gentest ausgehen.

Eigenartigerweise verspricht gerade der nahrungstechnische Luxuskonsum moralischen Mehrwert. Man sollte meinen, dass ein Lebensstil, der Leuten vorbehalten bleibt, die 5 Dollar für eine Tüte Spinat ausgeben können, etwas Anrüchiges hat. Aber das Gegenteil ist der Fall: Wer bewusst einkauft, wie es in dem Zusammenhang heißt, kann für sich in Anspruch nehmen, im Gegensatz zur Mehrheit vorbildlich zu leben.

"Eat like an idealist", heißt einer der Werbesätze, mit denen "Whole Foods", das Mekka jedes Biokostlers, für seine Produkte wirbt. Besser lässt sich das Versprechen, dass es beim Essen in den hoch entwickelten Ländern statt um Proteinaufnahme vielmehr um die Akkumulation kulturellen Kapitals geht, nicht in Worte fassen. Sich ein schnelles Auto zulegen, das kann jeder. Auch der Erwerb einer teuren Uhr oder einer exquisiten Handtasche bieten heute keinen wirklichen Distinktionsgewinn mehr. Aber zu wissen, was es mit diesen mexikanischen Supersamen auf sich hat, die sie neuerdings in den Smoothies in New York und München verarbeiten, das verrät den wahren Connaisseur.

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Foto: SPIEGEL ONLINE
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