Erpressungsaffäre Piraten streiten über Parteiausschluss

Piraten auf Parteitag: Undurchsichtige Erpressungsaffäre
Foto: Fredrik Von Erichsen/ dpaHamburg/Berlin - Eine vermeintliche Erpressungsaffäre beschäftigt die Berliner Piraten erneut. Wer dabei Opfer und wer Täter ist, wird immer unübersichtlicher.
Vor zwei Monaten hatte der Berliner Pirat Sebastian Jabbusch Alarm geschlagen: Er warf in einem langen offenen Brief einem anderen Parteimitglied vor, Piraten in Berlin zu erpressen. Der Betroffene, noch keine 18 Jahre alt, soll private Daten gehackt und mit der Veröffentlichung gedroht haben. Es ging um Nötigung, Datendiebstahl und - so beschrieb es Jabbusch - "ein Klima der Angst" im Berliner Landesverband. Andere Piraten berichteten ebenfalls davon, dass der minderjährige Pirat wiederholt mit Hackerattacken geprahlt habe.
Das war im Dezember. Mittlerweile steht Jabbusch, der die Vorwürfe öffentlich machte, am Pranger - und sein Landesverband will ihn loswerden. Denn die Partei, die so viel Wert auf Transparenz und Offenheit legt und sich für Whistleblower einsetzt, hätte diesen Streit lieber unter sich ausgemacht. Auch deswegen hat der Berliner Landesvorstand beantragt, Jabbusch aus der Piratenpartei auszuschließen, weil er "erheblich gegen die Ordnung der Partei verstoßen hat und der Partei dabei schweren Schaden zugefügt hat", wie es in dem Antrag heißt.
In dem zwölfseitigen Schreiben, das SPIEGEL ONLINE vorliegt, wird Jabbusch hart angegangen. Durch seine Veröffentlichung habe er "in aller Öffentlichkeit einen Akt von Selbstjustiz begangen und sich dabei über geltendes Recht und die zuständigen Organe der Partei hinweggesetzt". Er habe dabei "eigene Interessen über das Wohl der Partei und vieler ihrer Mitglieder gestellt und ohne Rücksicht auf absehbaren Schaden für die Partei gehandelt."
Vorgeworfen wird Jabbusch, die Rechte des Minderjährigen verletzt und die Piratenpartei durch die von ihm ausgelöste Berichterstattung in Misskredit gebracht zu haben. Sein Ziel sei es gewesen, den Ruf des minderjährigen Piraten "nachhaltig zu zerstören". In der Tat hatte Jabbusch in seinem offenen Brief die Identität des minderjährigen Piraten nur unzureichend unkenntlich gemacht.
Wer ist Täter und wer Opfer?
Im Antrag heißt es, bei Jabbusch handele es nicht "um ein unschuldiges Opfer, sondern um einen Mittäter". Der Minderjährige soll sich mit Zustimmung Jabbuschs in ein Firmennetz gehackt haben. Der Landesvorstand wirft Jabbusch vor, den Jugendlichen selbst zu Straftaten angestiftet zu haben: Jabbusch wollte mit dem jungen Hacker auf einem Parteitag der SPD vor Kameras eines Fernsehsenders zeigen, dass Wahlcomputer manipulierbar seien.
Der Angegriffene sagt nun dazu: "Ich habe zu keinem Zeitpunkt jemanden zu einer Straftat angestiftet." Bei dem Termin habe man zeigen wollen, dass Wahlcomputer unsicher sind. "Wir wollten zeigen, dass W-Lan-Verkehr mitgeschnitten werden kann. Strafbar wäre, dann wirklich eine Abstimmung zu hacken. Das hatten wir nicht vor."
In dem Ausschluss-Antrag wird Jabbusch immer wieder "Schaden für das Ansehen der Partei" und "die mediale Wucht des Skandals" vorgehalten. Bislang hatten sich die Piraten in aller Öffentlichkeit gestritten und parteiinterne Kämpfe geliefert.
Und mit Ausschlussverfahren hatte man sich stets zurückgehalten. Es gab bislang nur eine Handvoll Vorgänge bei der Partei, die mittlerweile über zwanzigtausend Mitglieder hat. "Wir greifen nur ganz selten zu diesem sehr harten Mittel", sagt Pressesprecher Christopher Lang.
Vor allem wenn Parteimitglieder unter Verdacht stehen, rechtsextrem zu sein: In einem Fall geht es gegen Matthias Bahner, Spitzenkandidat bei der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern. Er hatte seine frühere Mitgliedschaft in der NPD verschwiegen. Und es geht um Pirat Bodo Thiesen, dem vorgeworfen wird, den Holocaust relativiert zu haben. Das Verfahren gegen ihn läuft seit über zwei Jahren. Es gibt aber auch viele Verteidiger Thiesens, die ihn im Namen der Meinungsfreiheit bei den Piraten halten wollen.
Über den Antrag gegen Jabbusch entscheidet nun das Landesschiedsgericht Berlin. Pressesprecher Lang ist einer der Schiedsrichter, die entscheiden müssen. Noch steht kein Termin fest, an dem erstmals verhandelt wird. Jabbusch selbst hatte zuvor ein Ausschlussverfahren gegen den minderjährigen Piraten beantragt. Das Schreiben liegt bereits beim Schiedsgericht, die Bearbeitung steht jedoch noch am Anfang.
Der Bundesvorstand der Piratenpartei wurde am Dienstagmorgen informiert und steht seitdem in regem Telefonkontakt mit der Berliner Landesspitze. Vizechef Bernd Schlömer befürwortete die Entscheidung indirekt und bezeichnete den Wirbel um Jabbusch als "keinen schönen Vorgang". Die Regelung der Angelegenheit obliege aber allein dem Berliner Landesverband: "Der Landesvorstand wird berechtigte Beweggründe haben, warum er das äußerste Mittel der Sanktion, die Einleitung eines Parteiausschlussverfahrens, wählt", sagt Schlömer. Die Entscheidung, die Sache in die Hände einer neutralen Instanz wie dem Landesschiedsgericht zu geben, sei klug und richtig.
Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Artikels stand Matthias Bahner, Spitzenkandidat der Piraten in Mecklenburg-Vorpommern, in einer Aufzählung von Mitgliedern, denen rechtsextreme Äußerungen vorgeworfen werden. Grund für sein Parteiausschlussverfahren war jedoch, dass er eine frühere Mitgliedschaft in der NPD verschwiegen haben soll. Wir haben den Fehler korrigiert und bitten, ihn zu entschuldigen.