Erstmals Beobachter-Mission OSZE begutachtet Wahl-Stopp für Pauli-Partei
Hamburg - Die Entscheidung des Bundeswahlleiters, Dutzenden Splitterparteien einen Platz auf dem Wahlzettel zu verwehren, hat eine Debatte über das Parteienrecht ausgelöst - jetzt erregt das umstrittene Zulassungsverfahren internationales Interesse. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) bestätigte SPIEGEL ONLINE einen Bericht der "Financial Times Deutschland", dem zufolge erstmals Wahlbeobachter nach Deutschland kommen werden - und dabei auch die Entscheidung des Bundeswahlausschusses begutachten werden.

Freie-Union-Chefin Pauli: "Viel zu tun für die OSZE in Deutschland"
Foto: A3833 Bodo Marks/ dpa"Wir schicken in diesem Jahr zum ersten Mal ein Expertenteam zur Beobachtung einer Bundestagswahl nach Deutschland", sagte Jens-Hagen Eschenbächer, Sprecher des OSZE-Büros für demokratische Institutionen und Menschenrechte, zu SPIEGEL ONLINE. Die Ablehnung von Kleinparteien wie der Freien Union Gabriele Paulis werde dabei "einer von vielen Aspekten" sein.
Eine solche Mission sei nicht ungewöhnlich, sondern "Standard", sagte der Experte. Wahlen in Westeuropa würden häufiger durch die OSZE beobachtet. Außerdem liege eine ständige Einladung der Bundesregierung an die OSZE-Inspekteure vor, sich selbst ein Bild machen zu können.
Pauli äußerte sich erfreut über die Ankündigung der Organisation. "Es gibt bestimmt viel zu tun für die OSZE in Deutschland", sagte sie SPIEGEL ONLINE. Deren Vertreter könnten dann sehen, "wie hier etablierte Parteien versuchen, kleine Parteien aus dem demokratischen Entscheidungsprozess herauszuhalten."
Der Bundeswahlausschuss unter Führung von Bundeswahlleiter Roderich Egeler hatte am Donnerstag den Grauen und der Satirepartie Die Partei (siehe Video unten) den Parteienstatus aberkannt und Paulis Freier Union die Zulassung zur Wahl verweigert
"Wir werden uns das ansehen"
Die Bundesregierung hatte die OSZE-Wahlbeobachter in der Tat zu einer Reise nach Deutschland eingeladen. In einer Mitteilung im Januar wies die Ständige Vertretung der Bundesrepublik Deutschland bei der OSZE darauf hin, dass Wahlen zum Deutschen Bundestag öffentlich sind.
Es gebe keinen konkreten Anlass, der Wahlmanipulationen befürchten ließe, sagte Eschenbächer weiter. Die Mission stehe zwar nicht in direktem Zusammenhang mit der Nichtzulassung einiger Splitterparteien, "das war für uns nicht der Anlass" - aber "natürlich werden wir uns auch damit beschäftigen", sagte er. Die Inspektoren der OSZE sollten sich vor allem die Abläufe vor und während der Wahlen anschauen und Verbesserungsvorschläge erarbeiten.
Angesichts der öffentlichen Debatte dürfte das umstrittene Zulassungsverfahren von Kleinparteien nun aber in den Fokus der Experten gerückt sein. So erklärt es auch OSZE-Mitarbeiter Eschenbächer: "Wenn die Nichtzulassung mehrerer Parteien in Deutschland ein Thema ist, werden sich unsere Wahlbeobachter diesem Thema auch widmen."
Üblicherweise stehen bei einer Beobachtermission nicht nur Gespräche mit Parteivertretern und Medienmachern auf dem Programm - sondern auch mit der Behörde, die im jeweiligen Land die Abstimmungen koordiniert. In Deutschland ist dies das Statistische Bundesamt in Wiesbaden - dessen Chef gleichzeitig als Bundeswahlleiter fungiert. "Es wird sicherlich ein Treffen mit Herrn Egeler geben", sagte Eschenbächer. Ob die Experten mit dem Wahlleiter über die Ablehnung der Kleinparteien sprechen werden, ließ er offen.
Dem OSZE-Mitarbeiter zufolge werden zwölf Wahlbeobachter von Mitte September bis Anfang Oktober durch Deutschland reisen und den rechtlichen Rahmen der Wahl, den Wahlkampf, die Berichterstattung in den Medien sowie den Ablauf am Wahlsonntag untersuchen. "Die Experten werden dann einen Bericht schreiben, der nach der Wahl veröffentlicht wird." Sollte es Anlass dazu geben, werde man in dem Bericht auch auf das Zulassungsverfahren eingehen.
Muss die Bundestagswahl wiederholt werden?
Als Begründung für die Ablehnung der Pauli-Partei hatte der Wahlausschuss einen Formfehler in den Unterlagen angeführt. Nach der Entscheidung durch Bundeswahlleiter Egeler hatte Pauli angekündigt, gegen das "Fehlurteil" vorgehen zu wollen. Eigenen Angaben zufolge prüft sie nun eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Die Seniorenpartei Die Grauen war mit dem gleichen Vorhaben Ende Juli allerdings gescheitert.
Juristisch ist das Bewerbungsverfahren für einen Platz auf dem Wahlzettel nicht unproblematisch. Der Düsseldorfer Parteienrechtsexperte Martin Morlok sagte im SPIEGEL, den Grauen und der Satire-Partei Die Partei habe der Bundeswahlausschuss die Parteieigenschaft "auf Grundlage falscher Annahmen" aberkannt. Damit hätte der Ausschuss, anders als von Bundeswahlleiter Egeler angenommen, bei seiner zweiten Sitzung am vergangenen Donnerstag "nicht nur das Recht, sondern die Pflicht gehabt, eine erkennbar falsche Entscheidung zu revidieren".
Auch bei der Ablehnung der Freien Union habe der Ausschuss den "wesentlichen rechtlichen Aspekt überhaupt nicht diskutiert": Paulis fehlende Unterschrift hätte im Prinzip auch nach Fristablauf noch nachgeholt werden können. Um so schlimmer sei, dass abgelehnte Parteien vor der Wahl kein Gericht anrufen könnten. Morlok betonte: "Das ist rechtsstaatlich nicht hinnehmbar - im Nachhinein können diese Fehler dazu führen, dass die Wahl wiederholt werden muss."
"Verfahren einfach abschaffen"
Ein Mitglied des Bundeswahlausschusses, der von den Grünen nominierte Rechtsanwalt Hartmut Geil, spricht sich im SPIEGEL sogar dafür aus, "das Verfahren der Partei-Anerkennung einfach abzuschaffen". Er bezeichnete es als "schwierigen Zustand", dass der Ausschuss ad hoc eine so heikle Entscheidung treffen müsse, zumal es dafür "keine guten und griffigen Kriterien gibt".
Der Bundeswahlleiter verteidigte sein Vorgehen. Die Ablehnung der Freien Union sei vom Bundeswahlausschuss nach intensiver Diskussion entschieden worden, erklärte Egeler. Er stellte zugleich klar, das einzig zulässige Rechtsmittel gegen Entscheidungen des Ausschusses sei der Einspruch innerhalb einer Frist von zwei Monaten nach dem Wahltag.
Splitterparteien in Deutschland haben es äußerst schwer, wenn sie sich gegen eine Ablehnung des Wahlleiters wehren wollen.Zwar darf eine Vereinigung nach dem Bundeswahlgesetz Einspruch beim Bundestag einlegen, und in einem nächsten Schritt mit einer Wahlprüfungsbeschwerde vor das Bundesverfassungsgericht ziehen. Möglich ist dies allerdings erst nach der Wahl. Eine endgültige Entscheidung fällt oft erst nach Jahren und hängt davon ab, ob sich ein möglicher Verstoß überhaupt auf die Sitzverteilung hätte auswirken können.