EU-Klimaschutzziele Söder protestiert gegen Biosprit-Wahn

Zehn Prozent Biosprit in Treibstoffen bis 2020: Die EU-Kommission will in Kürze ehrgeizige Pläne präsentieren. Jetzt regt sich Widerstand: "Ökologischer Unfug", sagt Bayerns Europaminister Söder und warnt vor mieser CO2-Bilanz wegen abgeholzter Regenwälder.

München - Es war der Durchbruch für Kanzlerin Angela Merkel. Unter ihrer Ratspräsidentschaft verordnete sich die Europäische Union im März verbindliche Klimaziele: Der Ausstoß an Treibhausgasen soll bis 2020 europaweit um 20 Prozent unter den Stand von 1990 gesenkt werden.

Das hehre Ziel war verkündet. Wie aber soll es realisiert werden? Die Antwort will EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso am 23. Januar mit einem Umsetzungspaket für die Klimabeschlüsse vorlegen. Eine darin enthaltene Vorschrift: Die EU-Staaten sollen Treibstoffen für den Verkehrssektor bis zum Jahr 2020 mindestens zehn Prozent Biosprit beimengen.

Rapsfeld in Deutschland: Für Bedarf an Biosprit nicht ausreichend?

Rapsfeld in Deutschland: Für Bedarf an Biosprit nicht ausreichend?

Foto: obs/UFOP e.V.

Umweltschutz- und Entwicklungshilfeorganisationen fürchten, die Zehn-Prozent-Regelung könne zu steigenden Nahrungsmittelpreisen und zu Wasserknappheit in anderen, ärmeren Teilen der Welt führen.

Hinzu kommt ein Klima-Problem: Biokraftstoffe werden aus Mais, Raps, Soja oder Zuckerrohr gewonnen. Die EU wird ihren Bedarf kaum über eigene Anbauflächen decken können, so dass Urwaldflächen und damit wichtige Aufnahmespeicher für das klimaschädliche CO2 gerodet werden könnten. Im Endeffekt würde die europäische Zehn-Prozent-Biosprit-Regelung somit die Umwelt be- statt entlasten.

Genau dies befürchten einem Bericht der "Süddeutschen Zeitung" zufolge Wissenschaftler der "Gemeinsamen Forschungsstelle der Europäischen Kommission" in einer internen Stellungnahme an Barroso und Co. Riesige neue Ackerflächen zum Anbau von Getreide, Soja und Ölpalmen müssten weltweit geschaffen werden, um die EU-Quote zu erreichen, heiße es darin. Es sei deshalb unmöglich zu sagen, ob Biosprit Treibhausgase spare oder nicht.

Bayerns Europaminister Markus Söder (CSU) fordert nun auf SPIEGEL ONLINE eine offene Diskussion über diese Erkenntnisse: "Dieser Bericht darf keinesfalls unter den Tisch gekehrt werden." Söder: "Wir dürfen die Klimaproblematik bei der Erzeugung von Biokraftstoffen für die geplanten EU-Regelungen nicht ausblenden." Es sei "ökologisch fragwürdig und für die CO2-Bilanz alarmierend", wenn die EU eine drastische Ausweitung von Biokraftstoffimporten begünstigen würde.

"Es ist ökologischer Unfug, wenn in Brasilien der Regenwald abgeholzt wird, um Autofahrer in Europa mit Biosprit zu versorgen", so Söder. Einen Anstieg der Treibhausgasemissionen durch Biosprit "darf es nicht geben". Söder setzt auf "ein strenges, verpflichtendes Zertifizierungsystem für pflanzliche Ölprodukte", das ökologische Standards und soziale Fragestellungen berücksichtige.

Die Warnungen von der eigenen Forschungsstelle und aus Bayern werden bereits in der EU-Kommission geteilt: Der wachsende Anbau von Pflanzen für den Biosprit sei mit größeren ökologischen und sozialen Problemen verbunden als gedacht, sagte EU-Umweltkommissar Stavros Dimas auf "BBC Online".

Dem müsse die EU-Kommission mit strengen Kriterien für einen nachhaltigen Einsatz von Biosprit in ihrem Gesetzentwurf zu Energie und Klimawandel Rechnung tragen: "Wir müssen sehr vorsichtig vorgehen", so Dimas. Es sei besser, das EU-Ziel für Biokraftstoffe zu verfehlen als es auf Kosten von Umwelt oder armen Bevölkerungsgruppen zu erreichen.

Kommissions-Sprecher Johannes Laitenberger versicherte dagegen, der EU-Entwurf enthalte zu Umweltaspekten bei der Produktion von Biokraftstoffen bereits ausführliche Regeln. Und wenn soziale Kriterien oder Lebensmittelpreise nicht in der Richtlinie enthalten sein werden, "dann heißt das nicht, dass die Kommission diese beiseite lässt", so Laitenberger.

Im kritischen Bericht der eigenen Forscher erkennt Kommissions-Sprecherin Antonia Mochan auf SPIEGEL ONLINE nichts Ungewöhnliches. Wenn die Kommission eine Richtlinie vorbereite, würden sich die verschiedenen Abteilungen beteiligen: "Die Gemeinsame Forschungsstelle hat einen wissenschaftlichen Beitrag geleistet." Dieser sei "nicht öffentlich". Man dürfe dies nicht als Generalkritik auslegen. Mochan: "Das ist das normale Vorgehen, so machen wir hier in der Kommission Politik."

Söders Vorstoß in Richtung EU-Kommission ist indessen nicht der einzige aus Bayern. Jüngst hat die CSU Brüssel schon vor einem "Autokrieg" gegen Deutschland gewarnt. Hintergrund sind Kommissionspläne gegen klimaschädliche Autos: Demnach soll der CO2-Ausstoß von Neufahrzeugen bis zum Jahr 2012 auf durchschnittlich 120 Gramm pro Kilometer begrenzt werden. Falls nicht, drohen den Autobauern Geldstrafen. Und da besonders in deutschen Landen große, schwere Kraftfahrzeuge gebaut werden, beträfe dies Hersteller wie Mercedes oder BMW deutlich stärker als etwa die französischen Konkurrenten.

Nach Informationen des SPIEGEL versucht die bayerische Landesregierung derzeit, einen Pakt gegen die EU-Pläne für Kohlendioxid-Grenzwerte bei Autos zu schmieden. Mit einem Brief an elf EU-Mitgliedsländer will die Münchner Staatskanzlei das EU-Vorhaben torpedieren. Die vorgesehenen Sanktionen gegen Autohersteller seien "innovationsfeindlich und helfen nicht dem Klimaschutz", heißt es in einem Schreiben Söders.

Bayerns Europaminister will unter anderem erreichen, dass der Vorschlag der Kommission nicht im Rat der Umweltminister debattiert wird, sondern im sogenannten Wettbewerbsfähigkeitsrat. Dort wäre ein effektiverer Widerstand möglich. Söders Brief geht an Länder wie Schweden und Großbritannien, die über eigene Autohersteller verfügen, aber auch an osteuropäische Staaten wie Ungarn oder Rumänien, in denen sich eine umfangreiche Zulieferindustrie angesiedelt hat.

Einen ersten Dämpfer für ihre automobilen Klimaschutzauflagen erhielt die EU-Kommission am Dienstag. Das Europaparlament sprach sich in Straßburg mehrheitlich für die Einführung verbindlicher CO2-Grenzwerte erst ab 2015 statt 2012 aus. Abgestimmt wurde allerdings noch nicht über den eigentlichen Gesetzentwurf zu den Auto-Abgasen, sondern über einen unverbindlichen Bericht zur Wettbewerbsfähigkeit des Automobilsektors.

Mit Material von Reuters, dpa und AP

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