Transparenzdebatte EU-Kommission will Chats nun vielleicht doch archivieren

EU-Kommissionsvizepräsidentin Jourová
Foto: ERIC VIDAL/ REUTERSDie EU-Kommission will ihre internen Leitlinien für den Umgang mit Dokumenten ändern. EU-Kommissionsvizepräsidentin Věra Jourová deutete an, dass künftig – anders als bisher – auch mit Messengerdiensten wie WhatsApp, Signal oder Telegram gesendete und empfangene Nachrichten archiviert werden sollen. »Wir kommunizieren heute anders als noch vor zehn Jahren«, sagte Jourová auf einer Diskussionsveranstaltung in Brüssel. Dies sollten die neuen Regeln widerspiegeln.
Der SPIEGEL hatte zuvor darüber berichtet, wie die EU-Kommission auf Basis ihrer internen Richtlinien Monat für Monat Tausende E-Mails löscht und SMS- oder Chatnachrichten überhaupt nicht archiviert . Davon betroffen sind womöglich auch Nachrichten zwischen Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Albert Bourla, dem Chef des US-Pharmakonzerns Pfizer, die eine Rolle beim Abschluss eines milliardenschweren Coronaimpfstoff-Vertrags gespielt haben sollen.
Der Umgang der EU-Institutionen mit Dokumenten wird von einer Verordnung geregelt, die noch aus dem Jahr 2001 stammt. Das erste iPhone lag damals sechs Jahre in der Zukunft, SMS wurden noch auf der Zehnertastatur des Handys getippt. Allerdings schreibt die Verordnung der EU-Kommission und den anderen Institutionen vor, zu allen Dokumenten – egal in welcher Form – weitreichenden Zugang zu gewähren, von einigen Ausnahmen abgesehen. Einen Unterschied zwischen E-Mails und Sofortnachrichten macht sie nicht.
E-Mails werden massenhaft gelöscht
Laut ihren internen Richtlinien archiviert die Kommission aber nur einen kleinen Teil aller E-Mails, die von ihren Diensten empfangen und gesendet werden. Alle anderen Mails, die älter als sechs Monate sind, werden automatisch gelöscht. Kurznachrichten archiviert die Kommission überhaupt nicht – weil diese politisch nicht relevant und »kurzlebig« seien – eine Praxis, die etwa der Berliner Europarechtler Alexander Thiele »rechtlich für mehr als bedenklich« hält.
Jourová würde nach eigenen Angaben am liebsten die von 2001 stammende Verordnung umfassend ändern und für alle EU-Institutionen verbindlich machen. Einen ähnlichen Vorstoß hat die Kommission bereits 2008 unternommen. Die damals vorgeschlagene Novelle hat es aber nie durch die Verhandlungen mit dem EU-Parlament und dem Rat der Mitgliedsländer geschafft.
Auch ein neuer Versuch könnte wieder am Widerstand von Parlament und EU-Staaten scheitern. Vor allem im Parlament gibt es Befürchtungen, dass eine neue Version der Verordnung die Transparenz sogar einschränken statt vergrößern würde.
Wahrscheinlicher sei deshalb »Option B«, wie Jourová sagte: Die Kommission werde wohl zunächst ihre eigenen internen Regeln ändern – »als Maßstab und Ausgangspunkt für die Verhandlungen mit den anderen Institutionen«. Wann dies geschehen soll, ließ die Tschechin allerdings offen.
»Wir leben in einer Zeit, in der die Menschen nach mehr Informationen verlangen«, sagte Jourová. Zugleich schränkte sie ein, dass die Kommission keine totale Transparenz versprechen könne. Dokumente etwa, in denen es um die Verhandlungen mit dem Parlament und den Mitgliedsländern gebe, könne man nicht ohne Weiteres ohne deren Erlaubnis veröffentlichen.