Corona-Hilfspaket "Die Troika kommt nicht zurück"

Der Showdown beginnt: Die EU-Staats- und Regierungschefs diskutieren über den Corona-Hilfsplan der EU-Kommission. Vizechef Dombrovskis erklärt, wie eine Einigung auf das 750-Milliarden-Paket gelingen soll.
Ein Interview von Markus Becker und Peter Müller, Brüssel
EU-Kommissionsvizepräsident Dombrovskis: "Dies ist eine außergewöhnliche Krise, und sie braucht eine außergewöhnliche Antwort."

EU-Kommissionsvizepräsident Dombrovskis: "Dies ist eine außergewöhnliche Krise, und sie braucht eine außergewöhnliche Antwort."

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Costas Baltas/ REUTERS

Am Freitag diskutieren die 27 Staats- und Regierungschefs der EU beim Videogipfel erstmals über das 750 Milliarden Euro schwere Programm, das Kommissionschefin Ursula von der Leyen für Europas Wirtschaft nach der Coronakrise vorgelegt hat. Zugleich muss auch der nächste Sieben-Jahres-Haushalt der EU mit einem Volumen von rund 1,1 Billionen Euro festgezurrt werden, da der aktuelle Etat zum Jahresende ausläuft. Es geht also um die ungeheure Summe von fast zwei Billionen Euro.

Das Streitpotenzial ist groß: Die "Sparsamen Vier" - die Niederlande, Schweden, Dänemark und Österreich - sind strikt dagegen, Mittel aus dem EU-Wiederaufbauprogramm als nicht rückzahlbare Zuschüsse zu gewähren. Die südlichen EU-Staaten wollen das Geld dagegen so weit wie möglich ohne Bedingungen erhalten, während die östlichen Mitgliedsländer darauf pochen, auch weiterhin großzügige Fördergelder aus Brüssel zu bekommen. Und mittendrin ist Deutschland, das im Juli die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt. 

Zudem drängt die Zeit: Haushalt und Wiederaufbaupaket müssen möglichst noch im Sommer vereinbart werden, damit die Mitgliedsländer alles bis zum Jahresende ratifizieren können. Deshalb wird es voraussichtlich Mitte oder Ende Juli einen weiteren Gipfel geben, bei dem sich die Staats- und Regierungschefs erstmals seit Beginn der Coronakrise wieder persönlich treffen. Der für die Wirtschaft zuständige EU-Vizekommissionschef Valdis Dombrovskis erklärt im Interview, wie in so kurzer Zeit eine Einigung gelingen soll.

SPIEGEL: Herr Vizepräsident, Alexander Hamilton hat 1790 dafür gesorgt, dass die US-Regierung die Kriegsschulden der Bundesstaaten übernimmt - es war einer der Gründungsmomente der USA. Jetzt nimmt die EU in der Coronakrise erstmals gemeinsam Schulden auf. Ist das der "Hamilton-Moment" Europas?

Dombrovskis: Ich glaube, ich habe diesen Vergleich vom deutschen Finanzminister Olaf Scholz zum ersten Mal gehört. Er ist inzwischen weitverbreitet, aber ich würde es mit den Parallelen nicht übertreiben. Schauen Sie, der Etat der US-Bundesregierung macht rund 20 Prozent des Bruttoinlandsprodukts der Vereinigten Staaten aus. Das EU-Budget beträgt dagegen gerade mal ein Prozent der Wirtschaftskraft der Mitgliedsländer. Laut unserem Vorschlag könnte es auf maximal zwei Prozent steigen. Unser Wiederaufbauprogramm ist nur als Antwort auf die Coronakrise gedacht und auf gut vier Jahre begrenzt. Die Kredite müssen hinterher zurückgezahlt werden. Die EU wird sich also auch nicht dauerhaft verschulden, so wie es die US-Regierung kann.

SPIEGEL: Ihre Chefin, Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, hat ein Wiederaufbauinstrument in Höhe von 750 Milliarden Euro vorgelegt, eine gewaltige Summe. Ist eigentlich klar, wofür das Geld genau gebraucht wird, oder geht es einfach darum, dass jeder etwas bekommt?

Foto: Olivier Hoslet/ picture alliance/dpa

Valdis Dombrovskis, geboren im August 1971, ist Vizepräsident der EU-Kommission unter Ursula von der Leyen und Kommissar für Wirtschaft und Kapitaldienstleistungen. Zuvor war er in der Kommission von Jean-Claude Juncker Finanzmarktkommissar. Der Politiker der liberalkonservativen Partei Vienotiba war von 2002 bis 2004 Finanzminister und von 2009 bis 2013 Ministerpräsident Lettlands.

Dombrovskis: Wir haben eine sehr klare Vorstellung davon, wie dieses Geld ausgegeben werden soll. Die Idee ist, Investitionen und Reformen in den Mitgliedsländern zu finanzieren - gemäß ihrer eigenen Aufbau- und Resilienzpläne. Bei deren Aufstellung können die Länder aber nicht einfach machen, was sie wollen: Sie müssen sich an das Europäische Semester halten…

SPIEGEL: …die jährlichen länderspezifischen Empfehlungen der Kommission zur Wirtschafts- und Fiskalpolitik…

Dombrovskis: …und ihre Pläne müssen auch zu den EU-Zielen zu Klimaschutz und Digitalisierung passen. Wir wollen nicht dahin zurück, wo wir vor der Krise waren, sondern die Gelegenheit für einen Schritt in die Zukunft nutzen.

SPIEGEL: Wie wollen sie kontrollieren, ob die Länder diese Reformpläne wirklich umsetzen? Müssen wir uns das so vorstellen, dass demnächst in Rom oder Madrid EU-Beamte die Behörden kontrollieren, so wie die berüchtigte Troika während der Finanzkrise in Griechenland?

Dombrovskis: Natürlich nicht. Die Troika kommt nicht zurück, allein das Wort ist vielen Ländern nicht positiv in Erinnerung geblieben. Die Mitgliedsländer erstellen ihre Aufbau- und Resilienzpläne selbst und schlagen auch die Schritte zu deren Umsetzung vor. Natürlich wird die Kommission prüfen, ob die Pläne mit den EU-Prioritäten übereinstimmen. Aber das ist ein ganz normales Vorgehen, die Auszahlung von Regionalfördermitteln etwa funktioniert genauso.

SPIEGEL: 500 Milliarden Euro des Wiederaufbaupakets sollen als Zuschüsse vergeben werden, 250 Milliarden als Kredite. Einige Länder sind aber strikt dagegen, auch nur einen Cent als nicht rückzahlbaren Zuschuss auszuzahlen. Sie sagen: Italien oder Spanien sind zwar nicht für die Pandemie verantwortlich, wohl aber für ihre Haushaltspolitik, die sie für die Krise anfälliger gemacht hat. Jetzt fragt man sich in den Niederlanden und anderswo, warum man selbst sparsam war und nun denen helfen sollte, die über ihre Verhältnisse gelebt haben. Was antworten Sie darauf?

Dombrovskis: Ich glaube nicht, dass diese Argumentation hier weiterhilft. Die Pandemie ist ein externer Schock, der alle Mitgliedsländer hart trifft. Es stimmt natürlich, dass hoch verschuldete Länder im Süden der EU zu den größten Empfängern der Wiederaufbaugelder gehören werden. Aber das gilt auch für Länder im Osten, die wirtschaftlich weniger gut entwickelt sind. Wir müssen sicherstellen, dass wir diese Ungleichheiten nicht noch vergrößern, sondern dass die Erholung so gleichmäßig wie möglich verläuft. Und vergessen Sie nicht: Eine gute Entwicklung der Schwächeren ist auch im Interesse der Stärkeren, der Exportnation Deutschland ganz besonders.

SPIEGEL: Die Rückzahlung des Geldes soll erst 2028 beginnen, also mit dem nächsten Mehrjahresbudget und 30 Jahre später, also 2058 enden. Warum starten sie nicht früher mit der Rückzahlung? Auch die Bundesregierung fordert dies.

Dombrovskis: Unsere Überlegung ist, dass das kommende Mehrjahresbudget mit voller Kraft in den Wiederaufbau nach der Krise geht. Und danach machen wir uns an die Rückzahlung. Wichtig ist, dass es dafür zwei Möglichkeiten gibt: Man kann einerseits die Einzahlung der Mitgliedstaaten in das Mehrjahresbudget ab 2028 erhöhen. Oder wir können andererseits neue eigene Ressourcen für die EU einführen, also etwa eine Abgabe auf nicht recyceltes Plastik, eine CO2-Grenzsteuer oder eine Digitalsteuer.

SPIEGEL: Mit Verlaub, ob diese Eigenmittel jemals Realität werden, ist doch völlig offen. Wann rechnen sie denn damit, dass der erste Euro aus Plastiksteuer, CO2-Grenzsteuer oder der Digitalsteuer fließt?

Dombrovskis: Sie dürfen nicht vergessen, dass wir nicht von vorn anfangen. All die Ideen sind bekannt. Jetzt geht es darum, sie umzusetzen. Ich könnte mir beispielsweise gut vorstellen, dass die Plastiksteuer Teil der Verabredung wird. Sie bringt zwar nicht viel Geld, und ihre Einnahmen sinken auch noch, wenn sie ihren Zweck erreicht – nämlich Plastik einzusparen. Aber es wäre ein guter Start. Und an der CO2-Grenzsteuer arbeiten wir ohnehin, egal, ob deren Beiträge in die Haushalte der Mitgliedstaaten oder in die EU-Eigenmittel fließen werden. Sie muss so oder so mit den Regeln der Welthandelsorganisation übereinstimmen.

SPIEGEL: Auf die Reaktion von Donald Trump freuen wir uns schon. Er wird die EU des Protektionismus beschuldigen, egal wie Ihre Prüfung ausfällt.

Dombrovskis:  Ich kann Ihnen versichern: Die EU wird nichts vorschlagen, was nicht internationalen Regeln und Gesetzen entspricht. Das sind wir uns auch schuldig. Wir sind es doch, die uns für ein regelbasiertes System starkmachen.

SPIEGEL: Die US-Regierung hat erst diese Woche erneut erklärt, dass sie die WTO in ihrer jetzigen Form ablehnt – und eine EU-Digitalsteuer notfalls mit Strafzöllen bekämpfen würde.

Dombrovskis: Wir diskutieren die Digitalsteuer schon länger auch im Rahmen der Industrieländerorganisation OECD. Sich hier zu einigen, also mit den USA, wäre uns am liebsten. Wenn das nicht klappt, werden wir zu einer Lösung innerhalb der EU kommen. Die Steuer muss kommen, so oder so. Die Wirtschaft wird immer digitaler, trotzdem zahlen Digitalunternehmen in der EU im Schnitt nur ein Drittel der Steuern, die normale Unternehmen zahlen. Da ihr Anteil aber weiter steigt, fehlt den Mitgliedstaaten immer mehr Einkommen.

SPIEGEL: Wie geht es jetzt weiter? Beim EU-Gipfel am Freitag ist, nach allem, was man hört, kein Durchbruch zu erwarten. Und dann?

Dombrovskis: Entscheidend ist: Wir müssen liefern. Gerade in der Krise. Es ist immer schwierig, sich auf das Mehrjahresbudget zu einigen. Aber am Ende hat die EU das immer geschafft. Jetzt ist es schwieriger, klar. Da ist der Brexit, der ein Loch reißt. Und da ist die Coronakrise. Aber die grundsätzliche Logik unserer Idee stellt zum Glück bislang keines der EU-Mitglieder infrage: Dies ist eine außergewöhnliche Krise, und sie braucht eine außergewöhnliche Antwort.

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