Streit über Haushalt und Rechtsstaat EU stellt Polen und Ungarn Ultimatum

Polen und Ungarn sollen sich entscheiden: Lassen sie ihr Veto gegen den Haushalt nicht sofort fallen, legen die anderen 25 EU-Staaten das Corona-Wiederaufbaupaket ohne sie auf. Doch die beiden Ostländer bleiben stur.
Von Markus Becker, Brüssel
Polens und Ungarns Regierungschefs Morawiecki und Orbán: Vereint gegen den Rest der EU

Polens und Ungarns Regierungschefs Morawiecki und Orbán: Vereint gegen den Rest der EU

Foto: Czarek Sokolowski / AP

Im Streit um den EU-Haushalt und den Schutz des Rechtsstaats zeichnet sich keine Lösung ab, im Gegenteil: Drei Tage vor dem entscheidenden Treffen der Staats- und Regierungschefs verschärft sich der Ton gegenüber Ungarn und Polen. Die anderen 25 EU-Staaten stellen den beiden Ländern jetzt ein Ultimatum: Entweder, sie lassen ihr Veto gegen den nächsten Sieben-Jahres-Haushalt der EU fallen, oder die anderen 25 Länder werden das Corona-Wiederaufbaupaket aus dem Budget herauslösen und unter sich neu auflegen.

»Wir brauchen heute oder spätestens morgen eine Vereinbarung oder klare Signale von Ungarn und Polen«, sagte ein hochrangiger EU-Diplomat am Montag. Geschehe das nicht, »werden wir zu Szenario B übergehen«. Das bedeute, dass die anderen EU-Länder das Corona-Paket entweder mithilfe des Instruments der verstärkten Zusammenarbeit oder aber im Rahmen einer multilateralen Vereinbarung neu auflegen. Polen und Ungarn würden dann leer ausgehen.

Beim Gipfel am Donnerstag und Freitag wurde zunächst mit dem Showdown gerechnet. Nun aber soll das Thema nach dem Willen der EU-Führung dort gar nicht mehr groß diskutiert werden. Polen und Ungarn müssten schon vorher einlenken, sagte der Diplomat. Geschehe das nicht, müsse man eben Vorbereitungen treffen, »die in eine andere Richtung gehen«.

»Nukleare Option« wird EU-Politik

Warschau und Budapest blockieren derzeit mit ihrem Veto den nächsten Sieben-Jahres-Haushalt und damit auch das Corona-Wiederaufbaupaket der EU. Sie wollen die restliche EU so dazu zwingen, den geplanten Rechtsstaatsmechanismus fallenzulassen. Er soll es ab 2021 ermöglichen, Verstöße gegen rechtsstaatliche Standards mit der Kürzung von EU-Geldern zu ahnden.

Die Idee, im Gegenzug das Corona-Paket aus dem Gesamthaushalt herauszulösen und ohne Polen und Ungarn neu aufzulegen, war zunächst von Hardlinern als letzte Möglichkeit vorgeschlagen worden, Warschau und Budapest zum Einlenken zu zwingen. Dass dieses auch als »nukleare Option« bezeichnete Szenario nun zur offiziellen Linie der EU wird, markiert nicht nur eine deutliche Eskalation des Streits. Es zeigt auch, dass man in Brüssel die Geduld mit Ungarn und Polen verliert. Nachdem die nationalkonservativen Regierungen beider Länder in den vergangenen Jahren systematisch kritische Medien ausgeschaltet, die Unabhängigkeit der Justiz untergraben und Minderheiten sowie kritische Organisationen schikaniert haben, ist die EU zu weiteren Kompromissen offenbar nicht mehr bereit – sondern dazu, die Sache auszufechten.

Sollten die anderen 25 Länder Ernst machen und das 750 Milliarden Euro schwere Corona-Paket unter sich neu auflegen, würde Ungarn nicht nur sechs Milliarden und Polen rund 24 Milliarden Euro verlieren, die sie nach bisherigen Planungen  aus dem Programm bekämen. Ihnen würde auch ihr Druckmittel aus der Hand genommen, das darin bestand, die anderen EU-Länder mit der Not der Corona-Krisenländer zu erpressen.

Zwar stünde dann immer noch das Veto Ungarns und Polens gegen den regulären Sieben-Jahres-Haushalt der EU im Raum, der mit 1074 Milliarden Euro noch umfangreicher ist als das Corona-Paket. Doch auch hier droht Brüssel mit harten Maßnahmen. Schon arbeitet die Kommission an einem Notbudget für 2021. In einem Gespräch mit den Fraktionschefs des EU-Parlaments hat Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kürzlich nach Angaben von Teilnehmern erklärt, dass ihre Behörde im nächsten Jahr 50 bis 75 Prozent der für Polen und Ungarn besonders wichtigen Strukturfördermittel zurückhalten könnte.

Polens Regierungschef spricht Machtwort

Budapest und Warschau aber zeigen sich bisher unbeeindruckt, zumindest rhetorisch. Beide Länder würden bei ihrem Veto gegen den Haushalt bleiben, sagte Ungarns Außenminister Péter Szijjártó am Montag nach einem Treffen mit seinem polnischen Amtskollegen. »Wir haben bekräftigt, dass wir uns gegenseitig beistehen«, erklärte Szijjártó in einem auf Facebook verbreiteten Video. Versuchen, dieses Bündnis aufzubrechen, werde man »keinen Raum geben«.

Einen solchen Bruch aber hatte kürzlich ausgerechnet Polens Vizeministerpräsident Jarosław Gowin signalisiert: Er hatte angedeutet, dass Polen sein Veto fallen lassen könne, wenn die EU den Rechtsstaatsmechanismus mit einer zusätzlichen Erklärung versehe, die sicherstelle, dass er nicht ungerechtfertigt gegen einzelne Länder zum Einsatz komme.

Das Lager um Justizminister Zbigniew Ziobro war anderer Meinung. Regierungschef Mateusz Morawiecki sah sich daraufhin genötigt, ein Machtwort zu sprechen: In der angespannten Verhandlungssituation dürfe Polen mit nur einer Stimme sprechen, sagte sein Berater Krzysztof Szczerski. »Es darf jetzt keine Vorschläge von irgendjemand anderem geben.«

Auch in Budapest hält man wenig von der Idee der Zusatzerklärung. »Dass man irgendeine Erklärung hinzufügt, wie man auf eine Wandzeitung mit einer Reißzwecke irgendein kleines Memo anbringt – das wird nicht gehen«, sagte Orbán einem ungarischen Radiosender. Zugleich übte er scharfe Kritik an Manfred Weber, dem Chef der Europäischen Volkspartei im EU-Parlament – zu der auch Orbáns Fidesz gehört.

Orbán wirf Weber »Eselei« vor – und bietet Fraktionsaustritt light an

Der CSU-Politiker Weber hatte gesagt, dass kein Land, das sich an Recht und Gesetz hält, Angst vor dem Rechtsstaatsmechanismus haben müsse – und sich notfalls an den Europäischen Gerichtshof wenden könnte. »Jeder erzählt irgendeine Eselei. Das gilt auch für Herrn Weber«, sagte Orbán. »Die Ungarn sind zahlenmäßig vielleicht nicht so viele wie die Deutschen, aber wir sind nicht blöd, und wir sind nicht naiv.«

Am Sonntag ging Orbán noch einen Schritt weiter und bot Weber eine Art Fraktionsaustritt light an. Die Mitgliedschaft der Fidesz in der EVP ist bereits seit einiger Zeit ausgesetzt; zuletzt gab es in der Fraktion im EU-Parlament Forderungen nach dem Rauswurf von Tamás Deutsch, dem Leiter der Fidesz-Delegation, weil er Weber in die Nähe von Naziideologie gerückt habe. In dem Brief an Weber, der dem SPIEGEL vorliegt, bietet Orbán nun eine »neue Form der Zusammenarbeit« an, ähnlich der Allianz zwischen der EVP und den Europäischen Demokraten (ED), die von 1999 bis 2009 bestand.

Was Orbán damit bezweckt, war zunächst unklar. Das EVP-ED-Bündnis war vor allem dazu gedacht, die britische Konservative Partei, die Teil der ED war, an die EVP zu binden. Der Austritt der Tories aus der Fraktion im Jahr 2009 war nach Meinung vieler in der EVP der erste Schritt zum Brexit. Will Orbán die EVP also mit dem Gespenst eines EU-Austritts Ungarns ängstigen? Vielleicht, sagt ein EVP-Insider. Vielleicht wolle Orbán aber auch nur den Eindruck erwecken, Herr des Geschehens zu sein – und, dass ein paar Tage lang alle über ihn sprechen.

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